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Schon besser? Wie Psychotherapie wirkt

6 Min
Woran merke ich, dass Psychotherapie wirkt?
© llustration: WZ

Spoiler: Es fühlt sich nicht immer gut an.


Schweißige Hände im Wartezimmer. Der Vorraum für die erste Stunde Psychotherapie. Die Gedanken sind schwammig, die Angst ist da. Bin ich hier, weil ich verrückt bin?

Die Tür geht auf. Ein Blick genügt, die Brust schnürt sich zu. Auch das noch. Die Therapeutin sieht so ähnlich aus, wie jemand, den man kennt.

„Oh Gott, meine Mutter!“


Oh Gott, meine Mutter!
Ein Therapeut

So pointiert formuliert es etwa ein erfahrener Therapeut. Er sagt: Wenn der bloße Anblick des therapeutischen Gegenübers schon Widerstand aufkeimen lässt, dann kann ich darüber nachdenken, ob ich nicht gleich mal wechseln soll. „Ich muss mich nicht in ein Arbeitsfeld begeben, wo die Arbeit schon durch so etwas erschwert wird.“

Außer, man will es als Chance begreifen und auf diese Art konfrontativ seine Mutterbeziehung aufarbeiten.

Die Beziehung muss passen

Nur, weil ich den Mut gehabt habe, in eine Therapiestunde zu gehen, heißt das nicht, dass ich gefangen bin. Die meisten Therapeut:innen machen anfangs eine Kennenlernphase. Klingt nach Dating, ist es ein bisschen auch. Denn Studien haben gezeigt: Die Arbeitsbeziehung zwischen Klient:in und Therapeut:in gilt als der wichtigste Faktor für den Erfolg einer Therapie. Wenn das Vertrauen nicht da ist, wenn die Passung nicht stimmt, dann wird es schwierig werden, sich zu öffnen. Der erfahrenste Therapeut der Stadt kann in einem Widerstand auslösen (erinnert irgendwie an den Lateinlehrer?), und die eine Therapeutin, die alle ein bisschen eigenartig finden, kann genau die richtige für mich sein.

Der oder die Therapeut:in entscheidet dann auch – in Zusammenarbeit mit dem oder der Klient:in, was für ein Behandlungsplan beziehungsweise was für Interventionen sinnvoll sind. Interventionen können alles bedeuten – vom Gespräch, über Ton-Bastelei bis zum gemeinsamen Spaziergang.

Basteln oder Reden?

Moment, Moment, Moment – gibt es Gespräche nicht nur bei Gesprächstherapie? Und Basteln nur bei Kunsttherapie? Und ist der Spaziergang nicht nur etwas für die oder den Waldpädagog:in? Und mit wem rede ich jetzt über diesen eigenartigen Traum? Mit meinem Partner, der darin noch dazu vorkommt?

Grundsätzlich ist in der Psychotherapie alles davon möglich.

Die meisten Therapeut:innen schöpfen aus einem Fächer aus Möglichkeiten, die sie, je nach Richtung, Neigung und Bedarf, anwenden.

Dann sind wir schon beim nächsten Punkt: Welche Richtung ist für mich die richtige?

In Österreich sind verwirrenderweise 23 Psychotherapie-Richtungen zugelassen. Einteilen kann man sie in vier große Bereiche: die Verhaltenstherapie, die tiefenpsychologischen Analytiker (Freud!) sowie die systemische (Aufstellungen!) und die humanistische Richtung.

Wer ist Dodo?

Was passt jetzt? Die Antwort: alle. In der Wissenschaft redet man hier vom Dodo-Bird-Effect, beziehungsweise Dodo-Urteil.

Hier winkt die poetische Metapher. Der Dodo ist ein urzeitlicher Vogel, der eine Schlüsselrolle im Buch Alice im Wunderland hat. Es findet ein Rennen statt, damit die nassen Teilnehmer:innen wieder trocken werden. Am Ende sind alle trocken – egal wie schnell sie gerannt sind. Die Moral: Mit allen Therapierichtungen kann man am Ende trocken werden. Vorausgesetzt, die eingangs erwähnte Arbeitsbeziehung ist tragfähig. Wenn die Therapeut:innen das Gefühl haben, dass sie bei einem Thema nicht genug Erfahrung haben, werden sie das offenlegen und weiter verweisen.

Natürlich gibt es auch Psychotherapeut:innen, die sich auf gewisse Themen spezialisiert haben (etwa Sucht, Trauma, Borderline). Hier kann man aber ins Treffen führen, dass die meisten sogenannten Störungsbilder nicht alleine auftreten. Sucht poppt meistens nicht von selbst auf, sondern weil etwas in einem am Suchen ist.

Was steht jetzt im Vordergrund?

Traumata treten oft im Konvoi mit Panikattacken, Zwängen - vielleicht sogar einer Persönlichkeitsstörung - auf. Bei der Depression muss man abklären, ob es eine Erklärung aus den Lebensumständen gibt, oder ob die Ursache eine akute Stoffwechselstörung ist.

Es heißt in der Psychotherapie, dass es den- oder dieselbe Klient:in nicht zweimal gibt. Jede:r einzelne von uns hat ein eigenes Erleben und bringt verschiedene Erlebnisse mit.

Ja, es gibt sie, die Diagnosen. Aber auch hier sind sich die Diagnose-Handbücher nicht ganz einig. Die zwei Großen - ICD 10 (wird jetzt vom ICD 11 abgelöst) und DSM-5 beschreiben zum Teil unterschiedliche Störungsbilder. Und sie sind auch ein Produkt ihrer Zeit. Früher wurde Homosexualität als Störungsbild erfasst. Heute wird Gaming als Sucht wahrgenommen.

Eine Diagnose kann helfen bei der Einordnung. Und ich brauche sie, wenn ich meine Therapiekosten bei der Krankenkasse zum Teil refundiert bekommen will (wieviel ich anteilsmäßig bekomme, hängt von der Kasse ab). Wann wird es besser?

Das ist ja alles schön und gut. Aber woran merke ich, dass die Therapie hilft?

Die kurze Antwort: Wenn der Leidensdruck stark ist, hilft es, wenn dir zugehört wird. Mit der Zeit wird dann der sogenannte subjektive Leidensdruck besser. Es wird aushaltbarer.

Dazu noch ein kleiner Exkurs: In der Psychotherapie unterscheidet man zwischen den Patient:innen, die freiwillig kommen und denen, die aufgrund eines Gerichtsurteils oder dergleichen zu einer Therapie verdonnert worden sind. Letztere sitzen auch manchmal einfach nur ihre Stunden schweigend ab.


Was führt Sie zu mir?
Berühmte Eröffnungsfrage in der Therapie

Die Freiwilligen kommen ja nur, weil sie einen Leidensdruck haben. Irgendwas stört sie. Da kommt sie auch, klassische Eingangsfrage in der Psychotherapie: „Was führt Sie zu mir?“

Manchmal weiß man es. Manchmal erarbeitet man es erst in den Sitzungen. Man ist jedenfalls da, weil man selbst das Gefühl hat, irgendwas stimmt nicht, oder könnte besser sein. Oder man will mit XY (zum Beispiel: Trinken) aufhören. Aber man braucht das Trinken, weil man sonst mit Z (zum Beispiel: Erinnerungen) nicht klarkommt.

Therapie hilft dann, wenn man irgendwann besser damit leben kann. Die Traumata werden nicht gelöscht, aber sie werden verdaulich. Die Wutanfälle werden weniger. Die Krisen kürzer. Die Beziehungen stabiler. Mittelfristig.

Was ist schlecht an Verdrängung?

Kurzfristig kann es aber sogar sein, dass sich eine Verschlechterung des Zustands ergibt. Wenn die Sachen angegangen werden, die man lieber verdrängt.

Ist Verdrängung dann nicht viel effektiver als Therapie, und kostenlos noch dazu?

Kommt ehrlicherweise auf den Typ an. Und auf die Langzeitbeobachtung. Kann sein, dass man mit Verdrängung sehr lange sehr gut leben kann. Kann aber sein, dass es plötzlich einen Auslöser (das Modewort dafür: Trigger) gibt, und einem der Boden unter den Füßen weggezogen wird. Und man weiß nicht, wieso man plötzlich Panikattacken hat. Angstzustände. Depressionen. Ess-Anfälle.

Hier kann es schon hilfreich sein, herauszufinden, wo die Trigger liegen und wieso es sie gibt. Auch diese Art von Sicherheit gibt in der Verunsicherung Halt. Wenn in das Gefühlschaos ein bisschen Ordnung reingebracht wird.

Aber die Therapeut:innen wissen auch: es muss nicht immer Psychotherapie sein. Die Hauptsache ist, dass es hilft und nicht schadet.


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Infos und Quellen

Genese

Die Wichtigkeit von psychischer Gesundheit ist inzwischen unbestritten. Doch es ist manchmal schwer, im Wildwuchs der Gesundheitsberufe den Schritt in den Dschungel zu wagen. Die WZ möchte mit einer losen Serie einen Schwerpunkt zur Aufklärung machen.

WZ-Redakteurin Konstanze Walther ist selbst in Ausbildung zur Psychotherapeutin.

Daten und Fakten

  • Psycholog:innen haben ein Studium mit dem Schwerpunkt der Diagnosen hinter sich, Psychotherapeut:innen haben eine Ausbildung mit unterschiedlichen Schwerpunkten bei Selbsterfahrung und Interventionen (die Ausbildung wird derzeit umgestellt und universitärer).
  • Beide Berufsgruppen dürfen Diagnosen stellen, aber keine Medikamente verschreiben.
  • Psychiater:innen haben Medizin studiert und dürfen Medikamente verschreiben, und sehen ihre Patient:innen im Regelfall in weniger engmaschigen Abständen, wie die erstgenannten Gruppen.
  • Die weitgefasste Berufsgruppe Coaching ist dagegen nur für gesunde Menschen relevant, die kein psychisches Grundproblem haben.
  • Kosten: Als Selbständige können Therapeut:innen die Kosten selbst festlegen. Manche bieten auch Sozialtarife an. Einige Vereine unterstützen bei den Tarifen.

https://www.psyonline.at/psychotherapeutische-versorgungsvereine

https://www.psyonline.at/psychotherapeutische-vertragsinstitute

https://gesundausderkrise.at/anlaufstelle/

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ORF Tirol: Psychotherapie-Ausbildung bleibt teuer

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