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Alexander Van der Bellen hat bei dieser Regierungsbildung mit so mancher Norm gebrochen und viele Facetten seiner Rolle als Staatsoberhaupt gezeigt – was darf und was muss der oder die oberste Repräsentant:in der Republik?
Endlich eine Regierung: Der amtierende Bundespräsident darf für sich in Anspruch nehmen, in seiner Funktion die bisher längsten Koalitionsverhandlungen der Republik begleitet zu haben. Sein Anteil daran, dass doch noch eine Zusammenarbeit zustande kommt und keine Neuwahlen anstehen, ist nicht gering – obwohl er formal bei der Regierungsbildung gar keine gesetzliche Funktion hat. Dass eine Regierung nach einer Nationalratswahl ihren Rücktritt anbietet und das Staatsoberhaupt diese mit der Weiterführung der Amtsgeschäfte betraut, ist Usance, ebenso wie das weitere Prozedere. Erst die Angelobung einer Regierung gehört bei diesem Vorgang zu den verfassungsmäßig festgelegten Aufgaben eines Staatsoberhaupts. Das Amt ist ein typisch polit-österreichisches Paradoxon zwischen Macht, die das Gesetz festschreibt, die aber gar nicht ausgeübt wird bzw. werden kann, und solcher, die sich aus den realpolitischen Umständen ergibt.
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Rein nach den Buchstaben der Verfassung ist der/die Bundespräsident:in „durchaus mächtig“, wie Politologe Peter Filzmaier zur WZ sagt. Seine politikwissenschaftlichen Vorlesungen beginne er daher immer mit folgender Einleitung: „Würde ein Politikwissenschaftler vom Mars auf die Erde gebeamt werden und nur die Bundesverfassung lesen, würde er Österreich als semi-präsidentielle Demokratie ähnlich Frankreich einordnen, weil die Kompetenzen so weitreichend klingen.“
Tatsächlich ist das Staatsoberhaupt laut Verfassung nicht nur Oberbefehlshaber:in des Bundesheeres, auch kein Gesetz tritt ohne seine Unterschrift in Kraft. Ebenso kann er oder sie den Nationalrat auflösen, Notverordnungen erlassen und ist eben für die Angelobung – und Entlassung – einer Regierung bzw. Minister:innen verantwortlich. Realpolitisch hat sich in der Zweiten Republik aber ein Konsens entwickelt, der diese Machtfülle auf dem Papier nicht mit Leben erfüllt: Rollenverzicht nennt das die historische Betrachtung, vom „Primat des Parlaments“ spricht Politikwissenschaftler Laurenz Ennser-Jedenastik vom Verhältnis der obersten Staatsorgane. Filzmaier erklärt: „Der oder die Bundespräsident:in ist realpolitisch auf das Zusammenspiel mit den anderen Vertretern des Staats angewiesen, weil er oder sie bei Ausübung seiner oder ihrer vollen Macht Blockaden oder gar Verfassungskrisen riskieren würde.“
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Beispiel Auflösung des Nationalrats: Das kann der/die Bundespräsident:in nur auf Vorschlag der Regierung. Diese könnte er zwar eigenmächtig jederzeit entlassen und eine neue einsetzen, die seinem Wunsch nach Antrag auf Auflösung des Nationalrats nachkommt – allerdings würde diese Regierung dann wohl zuvor durch einen Misstrauensantrag ebendort gestürzt werden – und die Verfassungskrise wäre perfekt.
Beispiel Notverordnungen: In Krisenzeiten kann ein:e Bundespräsident:in solche erlassen, etwa wenn der Nationalrat nicht zum Gesetzesbeschluss zusammentreten kann. Allerdings gilt die Einschränkung, dass sämtliche derartige Verordnungen keine längerfristigen schwerwiegenden Budgetfolgen haben dürfen.
Es ist also ein fein austariertes Machtverhältnis zwischen Staatsoberhaupt, Parlament und Regierung.
Die faktische Macht sitzt hinter der Tapetentür
Dennoch hat Van der Bellen gerade gezeigt, wie in diesem Amt Einfluss auf die Regierungsbildung möglich ist. „Viel seiner Macht spielt der oder die Bundespräsident:in in Gesprächen und Verhandlungen hinter der Tapetentür aus“, sagt Filzmaier.
Dabei hält er oder sie nicht nur in Zeiten der Regierungsbildung Kontakt zu den Vertreter:innen der politischen Parteien, sondern knüpft und pflegt idealerweise seine oder ihre Netzwerke in allen Bereichen der Republik. Grundsätzlich, da sind wir wieder bei der großen formalen Macht, könnte ein:e Bundespräsident:in jede:n, den er oder sie für fähig hält, zum Bundeskanzler, zur Bundeskanzler:in angeloben. Die Person muss lediglich zum Nationalrat wählbar sein. Realpolitisch wäre ein:e Kanzler:in ohne Rückendeckung einer Parlamentsmehrheit schnell wieder Geschichte.
Diese Beschränkung der Macht musste etwa der 2004 verstorbene Thomas Klestil als Staatsoberhaupt im Jahr 2000 anerkennen: Der von ihm mit der Regierungsbildung beauftragte SPÖ-Chef Viktor Klima scheiterte, ÖVP-Chef Wolfgang Schüssel hatte parallel schon die Koalition mit der FPÖ vorbereitet. Klestil blieb nichts anderes als die Angelobung übrig. Immerhin setzte er sich mit der Ablehnung zweier blauer Ministerkandidaten durch, die FPÖ nominierte nach.
Dass der Regierungsbildungsauftrag an den oder die Chefin der bei der Nationalratswahl erstplatzierten Partei gehen muss, ist nur eine Usance – von der Van der Bellen im Vorjahr erstmals abgewichen war. Dass er nach dem Scheitern der ersten schwarz-rot-pinken Verhandlungen doch FPÖ-Chef Herbert Kickl auf die Koalitionssuche schickte, den nicht nur die anderen Parteien zunächst für nicht kanzlerfähig hielten, bestätigt das Amtsverständnis als „Vermittler“, wie Filzmaier sagt. „Die Vermittlerfunktion ist eigentlich auch die wichtigste Aufgabe.“ Das gilt nicht nur zwischen den politischen Parteien, sondern auch im Staatsganzen. Der/die Bundespräsident:in ist direkt vom Volk gewählt, „er oder sie ist als Staatsoberhaupt oberste:r Repräsentant:in des Staats und Integrations- und Identifikationsfigur“. Als solcher vertritt er/sie Österreich im Ausland, bei Staatsbesuchen etwa, denn die EU-Rät:innen sind Regierungssache. Die Kontakte, die ein:e Bundespräsident:in auf Reisen, die stets von Delegationen aus Vertreter:innen von Wirtschaft, Kultur oder Wissenschaft begleitet werden, knüpft, können lang nachwirken.
Kein Grüß-August, aber doch auch ein Staatsnotar
Ein Grüß-August, wie Bundespräsidenten früher bisweilen etwas despektierlich genannt wurden, ist der Mann oder eine künftige Frau in der Hofburg, also längst nicht. Je knapper die Mehrheiten im Parlament, umso mehr Bedeutung hat auch die Rolle des Bundespräsidenten oder der Bundespräsident:n bei der Regierungsbildung, betont Filzmaier. Lediglich was die Gesetzesbeurkundung anlangt, ist das eine rein „staatsnotarielle Funktion. Zu prüfen ist nicht der Inhalt von Gesetzen, sondern nur deren formal korrektes Zustandekommen. „Ob einem Staatsoberhaupt ein Gesetz zusagt, ist nicht relevant“, sagt er.
Politische Akzente, vorgebracht etwa in Reden und Ansprachen, zu setzen, hat sich nicht erst seit Van der Bellens Amtsantritt zum Rollenverständnis der Amtsinhaber entwickelt. Der Bundespräsident – bisher waren es nur Männer – gilt nicht nur als Vermittler, Moderator, sondern auch Mahner, Erklärer und Stabilisator.
In der Serie „Was macht eigentlich ein:e…?“ beschreibt Jasmin Bürger alle zwei Wochen die Schaltstellen der Republik. Alle Texte findet ihr in ihrem Autor:innenporträt.
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Infos und Quellen
Gesprächspartner
Peter Filzmaier, Politologe
Daten und Fakten
Der oder die Bundespräsident:in wird vom Volk direkt gewählt – kandidieren kann jede:r, der zum Nationalrat wählbar und mindestens 35 Jahre alt ist. Die Amtsperiode dauert sechs Jahre, eine neuerliche Kandidatur ist einmalig möglich – bisher wurden alle Bundespräsidenten, die ein zweites Mal antraten, auch wiedergewählt.
Alexander Van der Bellen ist in der Zweiten Republik der neunte Mann im Amt – bisher wurde noch nie eine Frau gewählt. Seine aktuelle Amtszeit begann am 17. Jänner 2016 mit der Angelobung durch die Bundesversammlung, die Nationalrats- und Bundesratsabgeordnete gemeinsam bilden.
Der oder die Bundespräsident:in ist Oberbefehlshaber:in des Bundesheeres. Er oder sie ernennt den/die Bundeskanzler:in und auf dessen oder deren Vorschlag die Minister:innen. Er/sie kann eine Regierung abberufen und den Nationalrat auflösen. Zudem werden Gesetze durch den Bundespräsidenten oder die Bundespräsidentin beurkundet, er kann Notverordnungen erlassen. Auch die Ernennung von Beamt:innen und die Vergabe von Ehrenzeichen der Republik gehören zu den formalen Aufgaben.
Alle Regelungen rund ums Amt und die Befugnisse finden sich in der Bundesverfassung ab Artikel 60.
Quellen
bundespraesident.at: Präsidentschaftskanzlei
bundespraesident.at: Bisherige Amtsinhaber