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Was macht eigentlich der Generalstabschef?

8 Min
Generalstabschef Rudolf Striedinger
© Fotocredit: michael indra / SEPA.Media / picturedesk.com

Generalstabschef Rudolf Striedinger steht am Nationalfeiertag Seite an Seite mit den Spitzen der Republik. Was ist seine Aufgabe?


Wien, Heldenplatz, Nationalfeiertag. In voller Kampfmontur, Tarnanzug oder Dienstuniform: Die Männer und Frauen des Bundesheeres marschieren zu den Feierlichkeiten samt Leistungsschau in allen militärischen Bekleidungs-Varianten auf. Ein Mann in Grau sticht heraus, er steht beim offiziellen Part Seite an Seite mit den Spitzen der Republik: Generalstabschef Rudolf Striedinger. Besser in Erinnerung ist er vielen im Tarnanzug. Den trug er zu Corona-Zeiten bei Auftritten als Co-Vorsitzender der Gecko-Expertenkommission als Dienstkleidung.

Gecko ist Geschichte, Striedinger ist aufgestiegen. Die Begutachtungskommission empfahl im Vorjahr mehrere Kandidaten als „in höchstem Maß geeignet“, Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) entschied sich für den Interims-Leiter. In der Vorwoche beging der 62-jährige Wiener Neustädter sein einjähriges Amtsjubiläum. Der Nationalfeiertag bietet einen guten Anlass, die Rolle des Generalstabschefs näher auszuleuchten. Als oberster Soldat des Landes ist er Heeres-Chef – oder? So einfach ist es nicht.

Die Aufgaben des Bundesheeres

Beginnen wir mit den Aufgaben des Bundesheeres. Die sind in Artikel 79 der Bundesverfassung definiert, allen voran steht die militärische Landesverteidigung. In Artikel 80 geht es um die Organisation: „Den Oberbefehl über das Bundesheer führt der Bundespräsident.“ Doch bevor wir Alexander Van der Bellen zum Heeres-Chef ausrufen, lesen wir weiter: „Die Befehlsgewalt über das Bundesheer übt der zuständige Bundesminister aus.“ Und dann gibt es noch Festlegungen im Wehrgesetz und einen Generalsekretär im Verteidigungsministerium, hierarchisch über dem Generalstabschef. Wie gesagt: So einfach ist es nicht.

Deshalb habe ich mir die Sache von Striedinger selbst erklären lassen. Am gläsernen Besprechungstisch in seinem Büro in der Rossauer Kaserne definiert der General seine Aufgabe so: „Dem Generalstabschef obliegt die militärische Führung.“ Klingt nach Chef-Kompetenz. Bedeutet aber nicht, dass er losgelöst von der politischen Führung agieren oder eigenständig Marschbefehle erteilen kann. Das war zu Zeiten Erzherzog Karls, der von einem Ölbild auf uns herabblickt, noch anders: Der war nicht nur auf dem Papier Oberbefehlshaber der österreichischen Truppen, sondern führte diese 1809 auch in die abgebildete Schlacht von Aspern. Das Gemälde hat Striedinger fürs Büro gewählt, weil Karl Namenspatron seines Ausmusterungsjahrgangs 1983 an der Militärakademie ist.

Die Politik hat die Oberhand

Zurück zur militärischen Führung 2023. Mittlerweile hat es sich bewährt, dass die Politik die Oberhand hat. „Die Funktion des Generalstabschefs richtet sich nach oben und nach unten, und dann gibt es noch eine horizontale Ebene. Nach oben geht es um militärische Beratung der vorgesetzten Ebene, damit militärpolitische und -strategische Entscheidungen richtig getroffen werden können“, erklärt Striedinger. Die Heeres-Strukturreform hat seine Rolle aufgewertet: „Ich bin der erste Generalstabschef, der eine Doppelfunktion hat: auf der einen Seite den Generalstab im Ministerium zu leiten, auf der anderen Seite als oberster Kommandant des Bundesheeres zu agieren“. Und doch obliegt das Kommando in vielen Fällen seinen Vorgesetzten, Ministerin Tanner oder Generalsekretär Arnold Kammel – Van der Bellen wird vor allem informiert.

Zum besseren Verständnis der Befehlskette spielen wir ein Bedrohungsszenario durch. Angenommen, die Luftraumüberwachung entdeckt ein nicht identifiziertes Flugzeug im österreichischen Luftraum: „Das wäre ein Priorität-Alpha-Fall, der automatisch einen Einsatz der Eurofighter und Telefonate in der ‚Chain of Command‘ auslöst. Die erste Person, die angerufen wird, ist die Verteidigungsministerin. Wenn sie abhebt, und das ist in der Regel der Fall, wird an sie berichtet, weil sie die Kommandofunktion für alle weiteren Erfordernisse hat. Wenn sie nicht erreichbar ist, wäre der nächste der Generalsekretär und dann ich.“

Eine große Verantwortung für die Nummer 3

Im militärischen Alltagsgeschäft hat die Nummer 3 große Verantwortung, dem Generalstab obliegt Streitkräfte-Entwicklung, Planung und Führung. Striedinger hat „zwölf Personen unter meiner Führung“. Ihm unterstellt sind die Spitzen der beiden Nachrichtendienste, die Kommandanten der Land-, Spezialeinsatz- und Luftstreitkräfte, Logistik- und Cybertruppen, die Spitzen der Bereiche Planung, Ausbildung, Beschaffung und Infrastruktur sowie der Heeres-Sanitätsdienst. Deren Führung bedeutet weniger Befehlsausgabe denn Koordination. Allerdings: „Wenn es offene Fragen oder Unstimmigkeiten gibt, dann bin ich der Entscheider. Nicht Schiedsrichter, sondern tatsächlich der Entscheider.“

Auch wenn über Aufgaben, Vorgaben, Ziele sowie Budget nicht er, sondern die Spitzen des Verteidigungsministeriums beziehungsweise die Bundesregierung entscheiden: Sie tun dies auf Basis von Striedingers Expertise. Er begleitet Tanner zu allen Sitzungen des parlamentarischen Landesverteidigungsausschusses und des Unterausschusses, er ist beratend im Nationalen Sicherheitsrat und der Bundesheerkommission. Er hält Kontakte im In- und Ausland, EU, NATO, KFOR – da wären wir bei der „horizontalen Ebene“. Während Corona war der Austausch mit dem Gesundheitsministerium intensiv, nun erfordert die Lage andere Prioritäten: Während unseres Gesprächs ruft der Generaldirektor für öffentliche Sicherheit, Franz Ruf, an. Er will sich wegen Israel abstimmen.

Die Nähe zur Truppe

Striedinger ist seit Jahren in Führungsfunktionen, versucht aber, Nähe zur Truppe zu zeigen. Etwa, indem er jeden Tag sein einstündiges Fitnessprogramm absolviert, „ich bin ja auch Soldat“. Oder, indem er als Gecko-Leiter im Tarnanzug auftrat, der Arbeitskleidung der Soldaten. Wohl fühlt er sich aber auch im Gesellschaftsanzug, schwingt als Gastgeber am Ball der Offiziere gekonnt das Tanzbein: „Bis zum Gold Star haben es meine Frau und ich schon gebracht.“ Freilich gehört Tanz auch zum Ausbildungsprogramm an der Militärakademie. Die härteste Schule war für Striedinger übrigens die Zeit davor: „Im Vorbereitungssemester ist man körperlich und geistig an die Leistungsgrenzen herangeführt worden, das prägt einen schon“.

Zielstrebig verfolgte der Sohn eines Generalstabsoffiziers und Patchwork-Vater von sechs Kindern seine Karriere: Mit 30 hatte er die Generalstabsausbildung absolviert, es folgten Stationen im Militärkommando, im Generalstab, als Leiter des Abwehramts und Stabschef bei Tanner. Die definiert die Aufgabe des Generalstabschefs so: „Er ist oberster Berater der Bundesministerin in allen militärischen Angelegenheiten und repräsentiert die militärische Führung des Bundesheeres im In- und Ausland.“ Er gebe nach ihren Vorgaben „Ziele für die Planung, Bereitstellung und den Einsatz der Streitkräfte vor“, und lege „die Verteilung der Ressourcen und Prioritäten“ fest.

Die erste Frau im Heer hat damit klargemacht: Der Generalstabschef ist nicht nur oberster Soldat, sondern auch ziemlich einflussreich. Auf eines hat Striedinger keinen Einfluss: Sein Plansoll für die Amtszeit eines Generalstabschefs wird er nicht erfüllen können. Er wird vor Ablauf der fünf Jahre 65 und damit in den Ruhestand versetzt.


"Ruhe, Gelassenheit und Weitsicht": Rudolf Striedinger über seine Arbeit

WZ | Jasmin Bürger

Einen Generalstabschef braucht es, weil…

Rudolf Striedinger

...es militärische Führung braucht.

WZ | Jasmin Bürger

Die drei wichtigsten Dinge, die ich in meinem Job brauche, sind…

Rudolf Striedinger

Ruhe, Gelassenheit und eine gewisse Weitsicht.

WZ | Jasmin Bürger

Meine tägliche Routine ist…

Rudolf Striedinger

Nachdem die körperliche Leistungsfähigkeit für einen Soldaten eine gewisse Bedeutung hat, und ich mich auch zu den Soldaten zähle, ist es eine absolute Routine für mich, jeden Tag in der Früh eine Stunde Sport zu machen. Da muss ich schon krank sein oder es muss schütten, dass ich das nicht mache. Das versetzt mich in die Lage, komplett entspannt und gut aufgelegt in den Dienst zu kommen.

WZ | Jasmin Bürger

Das mache ich im Büro als Erstes…

Rudolf Striedinger

Ich bekomme von meiner Assistentin einen Tee und den trinke ich zu irgendetwas Gemütlichen, im Sinne von Gebäck.

WZ | Jasmin Bürger

Das Spannendste in meinem Job ist…

Rudolf Striedinger

Die vielfältigen Aufgaben, Herausforderungen und Koordinierungen richtig zu machen.

WZ | Jasmin Bürger

Das Langweiligste in meinem Job ist…

Rudolf Striedinger

Pressespiegel lesen.

WZ | Jasmin Bürger

Das Schwierigste in meinem Job ist…

Rudolf Striedinger

Manchmal, auch gegen den Vorschlag von anderen, die trotzdem richtige Entscheidung zu treffen.

WZ | Jasmin Bürger

Als Chef bin ich…

Rudolf Striedinger

Ich beurteile es jetzt einmal großzügig und sag‘, angenehm.

WZ | Jasmin Bürger

Wenn es stressig wird…

Rudolf Striedinger

Werde ich konzentriert und meine Umgebung merkt das sofort.

WZ | Jasmin Bürger

Wenn ich im Job Fehler mache…

Rudolf Striedinger

Ist mir das peinlich, aber das heißt nicht, dass es nicht passiert.

WZ | Jasmin Bürger

Wenn ich nicht Generalstabschef wäre, wäre ich…

Rudolf Striedinger

Leiter des Abwehramts. Das ist die Position, die ich vorher hatte.


In der Serie „Was macht eigentlich ein:e…?“ beschreibt Jasmin Bürger alle zwei Wochen die Schaltstellen der Republik. Alle Texte findet ihr in ihrem Autor:innenporträt.


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Infos und Quellen

Genese

Jasmin Bürger blickt auf fast zwei Jahrzehnte Erfahrung als Innenpolitik-Redakteurin zurück. Sie kennt die politischen Verhältnisse, Österreichs demokratisches System und die Besonderheiten der heimischen Politik bestens. In der Serie „Was macht eigentlich ein:e…?“ beschreibt sie als freie Journalistin für die WZ alle 14 Tage die Schaltstellen der Republik. Ämter, Funktionen, Personen und auch Dinge, die in und abseits der öffentlichen Wahrnehmung eine Rolle im politischen System spielen, werden darin vorgestellt.

Gesprächspartner

  • Rudolf Striedinger, Generalstabschef

  • Marcel Taschwer, Direktion Kommunikation/Presseabteilung im Bundesministerium für Landesverteidigung

Daten und Fakten

  • Aufgaben, Personal, Ausstattung und Budget des Bundesheeres:

    Die Aufgaben des Bundesheeres sind in der Bundesverfassung definiert. In Artikel 79 werden neben der „militärischen Landesverteidigung“ der Schutz der verfassungsmäßigen Einrichtungen, die Aufrechterhaltung der Ordnung und Sicherheit im Land und Hilfe bei außergewöhnlichen Elementarereignissen und Unglücksfällen genannt. Zudem heißt es, dass weitere Aufgaben ebenfalls „durch Bundesverfassungsgesetz geregelt“ werden. Organisation, Kompetenzverteilung und viele weitere Details werden im Wehrgesetz geregelt.

  • Das Bundesheer ist nach den Grundsätzen eines Milizsystems eingerichtet, auch das ist verfassungsrechtlich verankert. Der Personalstand betrug mit Stand September 2023 rund 28.000, der Frauenanteil lag bei zehn Prozent. Das Verteidigungsbudget steigt in den kommenden Jahren deutlich, 2024 liegt es bei rund vier Milliarden Euro, das bedeutet ein Plus von rund 700 Millionen Euro.

  • Mit dem Aufbauplan 2032 wurde auch ein Investitionsplan fixiert, der eine Stärkung der Streitkräfte in personeller und materieller Hinsicht zum Ziel hat. Binnen zehn Jahren sollen rund sechs Milliarden Euro in den Kernbereich Mobilität fließen, sieben Milliarden Euro sind für den Bereich Schutz und Wirkung vorgesehen, weitere drei Milliarden widmen sich Investitionen im Bereich Autarkie und Nachhaltigkeit. Der Punkt Mobilität bedeutet im Wesentlichen einen Tausch bzw. ein Nachrüsten bei Panzern und Fluggeräten, die Typenentscheidungen sind gefallen.

  • Im aktuellen Bestand sind mehr als 600 gepanzerte Fahrzeuge, darunter 58 Kampfpanzer Leopard 2A4, 112 Schützenpanzer Ulan. An Fluggeräten stehen zur Verfügung:

    sechs Pilatus PC-6 „Turbo Porter“ für Transporte und Verbindungsflüge, zwölf Pilatus PC-7 „Turbo Trainer“, die als Schulflugzeug verwendet werden, drei Stück C-130 „Hercules“ die für den Transport von Personal und Versorgungsgütern, vor allem im Rahmen von Auslandseinsätzen des Bundesheeres, verwendet werden. Diese 56 Jahre alten Maschinen werden bis 2027 durch die Embraer C-390 ersetzt. Zudem gibt es 15 Eurofighter EF 2000 und mehr als 40 Hubschrauber, darunter leicht bewaffnete Verbindungshubschrauber OH-58 „Kiowa“, neun Transporthubschrauber S-70 „Black Hawk“ in Österreich, Transporthubschrauber „Agusta Bell“ 212 und die neuen AW-169 „Lion“. In den nächsten Jahren ist ein Zulauf von 36 „Lion“-Hubschraubern geplant. Auch die „Black Hawk“-Flotte des Bundesheeres wird derzeit nachgerüstet und erweitert. Drei zusätzliche Black Hawks wurden bereits gekauft, eine zweite Flotte soll noch dazukommen.

Quellen

Das Thema in anderen Medien