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Was macht eigentlich die EU bei einem Defizitverfahren?

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Seit Einführung des Defizitverfahrens vor 28 Jahren kam es 48 Mal zur Anwendung.
© Illustration: WZ

Während der Regierungsverhandlungen galt ein EU-Defizitverfahren gegen Österreich noch als Bedrohungsszenario. Nun ist es Realität –und so schlimm auch wieder nicht, beteuert selbst das Finanzministerium. Wie läuft so ein Verfahren ab?


Österreich ist in diesem Fall eher nicht in guter Gesellschaft: Auch gegen Frankreich, Belgien, Italien, Polen, Malta, Ungarn, Rumänien und die Slowakei laufen derzeit Defizitverfahren der EU. Und es ist auch nicht das erste Mal, dass sich unser Land in diese Liste einreiht: Von 2009 bis 2014 war dies schon einmal der Fall, nun empfiehlt die EU-Kommission erneut die Einleitung eines solchen Verfahrens. Formal beschlossen wird das im Rat der EU-Finanzminister:innen (ECOFIN) mit qualifizierter Mehrheit.

Warum gibt es das Defizitverfahren überhaupt?

Um zu verstehen, was bei einem solchen Verfahren passiert, muss man zunächst wissen, warum sich das überhaupt im Regelwerk der EU findet. Hintergrund ist die gemeinsame Währungs- und Wirtschaftspolitik, die unter anderem im Stabilitäts- und Wachstumspakt der EU ihre Grundlagen findet. Darin verpflichten sich die EU-Länder zu einer soliden, also nicht übermäßig Schulden aufbauenden, Haushaltsführung und Koordinierung ihrer Budgetpolitik. In Zahlen bedeutet das, ihre Staatsschuldenquote unter 60 Prozent der Wirtschaftsleistung – gemessen im Bruttoinlandsprodukts (BIP) – und ihr Budgetminus unter 3 Prozent des BIP zu halten, damit die gemeinsame Währung, der Euro, nicht in Bedrängnis kommt und im EU-Binnenmarkt zumindest ähnliche Bedingungen herrschen.

EU-Kriterien und Österreichs Haushaltslage

Österreichs Schuldenquote wird heuer bei 84,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegen, das Defizit betrug 2024 4,7 Prozent, für heuer rechnet Finanzminister Markus Marterbauer (SPÖ) mit 4,3 Prozent.

Die Einführung dieser Grenzen erklärt Georg Feigl, Budgetexperte der Arbeiterkammer Wien, so: „Es ist auch dem Umstand geschuldet, dass bei Einführung des Euro unter anderem in Deutschland die Sorge aufkam, für die Schulden anderer Länder aufkommen zu müssen, wenn es keine Maximalgrenzen gibt.“ Feigl sitzt in jener AK-Abteilung, in der auch Marterbauer vor seinem Wechsel in die Regierung arbeitete. Dass Anfang der Neunzigerjahre gerade die Grenzen 60 und 3 Prozent festgelegt wurden, „ist eigentlich willkürlich und ein Kompromiss“, sagt Feigl: Bei 60 Prozent lag damals in etwa der Durchschnitt der Staatsverschuldung, „und um die Staatsschuldenquote bei diesem Wert zu stabilisieren, war beim damaligen Wirtschaftswachstum die maximal zulässige Obergrenze für die Neuverschuldung 3 Prozent“. Bei der heutigen Wirtschaftslage müssten die Zahlen eigentlich adaptiert werden, gibt Feigl zu bedenken.

Um die Einhaltung der selbst auferlegten Regeln auch zu garantieren, gibt es eben das Werkzeug des EU-Defizitverfahrens – das gegen Österreich vor allem wegen des zu hohen Budgetlochs eröffnet wird, denn eine höhere Schuldenquote als nach den sogenannten Maastricht-Kriterien vorgegeben hatten mit Ende 2024 sogar zwölf EU-Staaten. Der Schnitt der EU-27 lag bei 81 Prozent, jener der Eurozone bei 87,4, Österreich liegt seit 1993 beständig jenseits der 60 Prozent.

Brüssel bestimmt das Ziel, nicht den Weg

Und wie läuft nun das Verfahren ab? Die Vorgehensweise ist in Artikel 126 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union beschrieben. Formal ruft die EU-Kommission nach der Freigabe durch den Rat das betroffene Land dazu auf, „unverzüglich“ seinen Haushalt zu konsolidieren und macht Vorgaben dazu, bis wann welche Zahlen erreicht werden sollen – in der Regel gibt es dafür vier Jahre Zeit, die Länder können unter gewissen Umständen auf sieben Jahre ausdehnen. Mit welchen Maßnahmen das Budget saniert werden soll, dazu gibt es EU-seitig keinerlei Empfehlungen. Jedes Land, jede Regierung entscheidet also selbst, wie es die gesteckten Ziele erreichen will. Dass Österreich also unter EU-Kuratel gestellt würde, wie es Unionskritiker:innen gerne behaupten, ist nicht richtig.

Mit dem zuletzt beschlossenen Budget für 2025/26 sind die ersten Auflagen im Defizitverfahren erfüllt, bevor dieses offiziell eingeleitet ist, denn es enthält bereits Sparmaßnahmen. Heuer sind Einsparungen in Höhe von 6,4 Milliarden Euro geplant, 2026 sollen es dann insgesamt 8,7 Milliarden sein. Das Budgetdefizit soll laut vom Finanzministerium vorgelegten Finanzrahmen bis 2029 wieder unter die 3-Prozent-Marke, auf 2,8 Prozent des BIP, sinken.

Defizitverfahren erhöht den Druck zur Rechenschaft

Was während eines Defizitverfahrens anders ist als zuvor, ist die stärkere Berichtspflicht. Grundsätzlich sind die EU-Länder mit der Kommission ständig in unterschiedlicher Intensität und Konstellation im Austausch über ihre Budgetentwicklung. Während des Defizitverfahrens sind vierteljährliche, schriftliche Berichte zusätzlich vorgesehen. Aber auch da „wird viel im bilateralen Austausch mit der Kommission und anderen EU-Ländern besprochen“, weiß Feigl aus der Praxis. Als formalen Fixpunkt gibt es dann – Feigl rechnet „Anfang 2027, wenn die Zahlen aus 2026 feststehen“ damit – eine erste Zwischenbilanz der EU-Kommission. Heikel wird es, wenn sich dabei zeigt, dass man vom vorgegebenen Konsolidierungspfad noch immer weit entfernt ist. „Dann gibt es den nächsten Schritt, beziehungsweise geht das Spiel von vorne los: Die Kommission schreibt vor, unverzüglich Maßnahmen zur Konsolidierung zu setzen und wenn das wieder nicht passiert, dann können Sanktionen beschlossen werden“, erklärt Feigl. Bis zu 0,2 Prozent des BIP könnten als Strafzahlung anfallen. So weit ist es aber bisher in keinem einzigen Defizitverfahren gekommen und derer gab es seit Einführung fast 50.

Drohkulisse oder sinnvolle Maßnahme?

Ist dann ein solches Verfahren bloß eine kosmetische Drohgebärde, wenn es lediglich die zusätzliche Berichtspflicht, aber keinerlei Maßnahmen seitens der EU gibt? Es „schadet“ jedenfalls „nicht“ und ist auch „kein Drama“, wie Feigl die Sichtweise seines Ex-Kollegen und nunmehr Budget-Verantwortlichen Marterbauers unterstützt. Dass während der Regierungsverhandlungen zunächst von ÖVP und FPÖ und auch danach noch die Bestrebungen der Parteien dahin gingen, ein solches Defizitverfahren zu verhindern, ist für Feigl nicht nachvollziehbar. „Es war schon da klar, dass das kommt, eigentlich schon viel früher, denn eröffnet wird ein solches Verfahren in der Regel auf Basis des Vorjahres – und dass 2024 deutlich darüber liegt, wusste auch die Regierung schon im Vorjahr“. Atmosphärisch bedeutet die Einleitung freilich einen gewissen „Reputationsschaden, weil schwarz auf weiß festgestellt ist, dass man sich nicht an die EU-Regeln gehalten hat“, so Feigl. Andererseits ist es aber zumindest „für die nationale Debatte“ ein Vorteil, sagt er, „weil sich der Finanzminister bei der Verteidigung der Konsolidierungsmaßnahmen auch ein bisschen auf Brüssel ausreden kann“.

Ob Marterbauer das in seiner AK-Funktion auch so gesehen hätte? Als Amtsinhaber wird er es jedenfalls dementieren, er ist seit der Übernahme im Finanzministerium darauf bedacht, die Notwendigkeit der Kurskorrektur beim Budget mit Argumenten zu unterstreichen.

In der Serie „Was macht eigentlich ein:e…?“ beschreibt Jasmin Bürger alle zwei Wochen die Schaltstellen der Republik. Alle Texte findet ihr in ihrem Autor:innenporträt.


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Infos und Quellen

Gesprächspartner

Georg Feigl, stellvertretender Leiter der Abteilung für Wirtschaftswissenschaften und Statistik in der Arbeiterkammer Wien und Mitglied des Fiskalrats

Daten und Fakten

  • Das Defizitverfahren wurde mit dem Wachstums- und Stabilitätspakt das Instrument, um die Länder bei Missachtung der Maastricht-Kriterien (maximal 60 Prozent Staatsschuldenquote, maximal 3 Prozent Defizit) zurück auf einen soliden Haushaltspfad zu führen. Seit Einführung vor 28 Jahren kam es 48 Mal zur Anwendung, nach der Finanzkrise 2008 waren 24 der 27 Mitgliedsstaaten betroffen, darunter auch Österreich. Die Regeln wurden nach der Corona-Pandemie adaptiert, nachzulesen sind sie im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union.

Quellen

Das Thema in der WZ

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