Zum Hauptinhalt springen

Was Österreich schon 2024 umsetzen muss, um bis 2040 klimaneutral zu sein

5 Min
Die Zeit drängt − Österreich hat in Sachen Klimaneutralität noch viel zu tun.
© Illustration: WZ, Bildquelle: Adobe Stock

Unser Land kann seine Klimaziele erreichen, wenn es die folgenden Maßnahmen konsequent umsetzt.


Während Europa bis 2050 klimaneutral sein will, will Österreich den Ausstoß klimaschädlicher Treibhausgase schon 2040 vollständig stoppen. Das ist machbar, bedarf aber gehöriger Anstrengungen. Eine Forschungsgruppe nennt drei Maßnahmen, damit die Klimaneutralität bis 2040 gelingt.

Neben dem zügigen Ausbau der Versorgung mit erneuerbaren Energien, etwa aus Wind und Sonne, müssen Mobilität und Wärmeversorgung mit grünem Strom betrieben werden. Die zur Verfügung stehende Energie müsse außerdem effizienter genutzt werden. Und es dürfe keine neue fossile Infrastruktur mehr gebaut werden, schreibt das Team der Universität für Bodenkultur Wien (Boku), der Österreichischen Energieagentur (AEA) und des Internationalen Instituts für angewandte Systemanalyse (IIASA) in einer Aussendung zu einer Projektstudie. „Es sind sehr rasche und tiefgreifende Veränderungen auf struktureller, technologischer, institutioneller, gesellschaftlicher und individueller Ebene notwendig, um den Plan innerhalb der nächsten 17 Jahre zu verwirklichen“, betonen die Forscher:innen.

Im Rahmen des Projekts „Netzero2040“ haben sie drei Szenarien entwickelt, „die erstmals für Österreich einen Pfad zur Klimaneutralität berechnen“, sagt Studienleiter Johannes Schmidt von der Boku. Die Ergebnisse fließen in den nationalen Energie- und Klimaplan ein. Miteinbezogen wurden Daten zu den Auswirkungen des Klimawandels, Veränderungen der Temperatur und Niederschlagsmengen und Möglichkeiten zur Emissionsreduktion. Alle Szenarien erreichen bis 2040 Klimaneutralität.

Schnellerer Ausbau von Windkraft und Photovoltaik

Laut dem Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz (EAG) soll der Anteil der erneuerbaren Energien an der österreichischen Stromproduktion bis 2030 auf 100 Prozent steigen und bis 2040 die Klimaneutralität des Landes erreicht werden. In allen drei Szenarien muss der Ausbau der Stromerzeugung durch Erneuerbare aber um 60 Prozent schneller erfolgen, als im EAG vorgesehen ist.

„Bis 2030 müssen sich die Emissionen im Vergleich zu 2005 halbieren“, sagt Schmidt zur WZ. „Man muss auf allen Ebenen, auf denen man den Erneuerbaren-Ausbau beschleunigen kann, das auch tun. Und es muss unbedingt, sofort und dringendst auf die Landesversorger eingewirkt werden, den Netzausbau voranzutreiben.“

Weniger Autos, kleinere Wohnflächen, klimaverträgliche Industrie.
Martin Baumann

Laut dem kürzlich veröffentlichten „EU Grid Action Plan“, der die Schritte im Ausbau der Netzinfrastruktur in Europa definiert, fehlt die nötige Infrastruktur aus Stromnetzen und Kraftwerken, um den Anteil an Erneuerbaren im europäischen Strommix weiter anzuheben und die grüne Energie an die Verbraucher zu verteilen. Auch Österreich bleibt laut dem Bericht hinter seinen Möglichkeiten zurück.

Je nach Energiequelle sind allerdings unterschiedliche Aspekte zu berücksichtigen. „Zu viel Sonnenenergie kommt im Vergleich zu Windkraft unnötig teuer“, erklärt Daniel Huppmann vom IIASA. Zumal Sonnenstrom mehrheitlich im Sommer erzeugt werden kann, Wind aber das ganze Jahr tagsüber wie nachts weht. Anders als bei der Windkraft, die das Potenzial hat, weitaus mehr Energie abzuwerfen, sei unser Land beim Ausbau der Photovoltaik in der Zielgeraden.

Zügige Umrüstung von Mobilität und Heizungen

Elektroauto statt Verbrennungsmotor, Wärmepumpe statt Gastherme: Mit fossilen Energien betriebene Fahrzeuge und Heizungen müssen so zügig wie möglich umgerüstet werden. Auch Verhaltensänderungen sind erforderlich: „Weniger Auto fahren, kleinere Wohnflächen und ein Rückgang der industriellen Produktion in klimaverträglichem Ausmaß könnten den Energieverbrauch um bis zu 20 Prozent senken“, sagt Martin Baumann von der Österreichischen Energieagentur. Auch Gebäude müssten saniert werden, um weniger Energie zu verschwenden.

Das Ziel müsse sein, spätestens bis 2030 auf 100 Prozent Elektromobilität bei den Kfz- und Lkw-Neuanmeldungen zu kommen. Derzeit sind es 20 Prozent, es gibt also noch viel zu tun. Auch die flächendeckende Einrichtung von Wärmepumpen ist eine Mammutaufgabe. ,,Heizungen bleiben viele Jahre im Bestand − eine neue Heizung läuft 30 bis 40 Jahre. Hier hätte man schon viel früher reagieren müssen. Da der geordnete Ausstieg auch beim Erneuerbare-Wärme-Gesetz nicht gelungen ist, sehen wir hier eine große Hürde. Es ist eine Entscheidung, die man schon jetzt hätte treffen müssen“, erklärt Schmidt.

Rückbau von fossiler Infrastruktur

Was derzeit fast unvorstellbar erscheint, könnte eher früher als später Realität werden: Laut den Forschenden muss das Tankstellennetz für fossile Treibstoffe zunehmend ausgedünnt und zu elektrischen umgebaut werden.

Weiters müssten immer mehr Abschnitte des Gasnetzes nach und nach stillgelegt werden, sodass ab einem gewissen Punkt kein Gas mehr erhältlich sein wird. Auch die Infrastruktur, die Gas und Erdöl nach Österreich bringt, also Ölhäfen und Pipelines, würde überflüssig und müsste einer anderen Verwendung zugeführt oder rückgebaut werden, erklärt Schmid. Und künftig würden auch Öl-Raffinerien, wie die der OMV in Schwechat, nicht mehr benötigt, weil ihre Erdöl- und Erdgas-Produkte nicht mehr benötigt würden und die stofflichen Erzeugnisse, wie etwa Plastik, ohnehin ein massives Umweltproblem darstellen.

Die Erreichung des Klimaneutralitätsziels ist durchaus realistisch.
Hermine Mitter

Darin sind sich Wissenschaftler:innen einig: Es muss radikal vorgegangen werden. Jeder weitere Ausbau von Ölleitungen, Gasheizungen und Gasleitungen führe dazu, dass diese bis 2040 erneut ausgetauscht oder mit äußerst kostspieligen synthetischen Treibstoffen und Gasen betrieben werden müssen. Für den Gebrauch in Haushalten lohnen sich diese teuren Energieträger nicht. Dennoch werden sie ab 2040 in Gasheizungen zum Einsatz kommen, da die derzeitige Bundesvorlage des Erneuerbare-Wärme-Gesetzes (EWG) nur bei Neubauten ein Verbot von Gasheizungen vorsieht, den Einbau in bestehenden Gebäuden jedoch weiterhin erlaubt.

Wie realistisch ist Klimaneutralität bis 2040?

Ob sich Klimaneutralität bis 2040 so durchziehen lässt wie in den Szenarien dargelegt, bleibt abzuwarten. „Seit der Ukraine-Krise sehen wir, wie schnell Veränderung in Österreich passieren kann. Mit der jetzigen Geschwindigkeit können wir unsere Ziele erreichen. Wenn die Politik also die richtigen Entscheidungen trifft, halte ich es für möglich, dass wir in die Richtung kommen − aber dazu braucht es starkes Leadership“, sagt Schmidt.

„In Summe zeigt unsere Studie ermutigende Ergebnisse: Die Erreichung des Klimaneutralitätsziels ist durchaus realistisch“, erklärt Projektmitarbeiterin Hermine Mitter. „Allerdings verdeutlichen die Daten auch, dass zur Verwirklichung dieses Ziels umgehend sehr tiefgreifende Veränderungen auf struktureller, technologischer, institutioneller, gesellschaftlicher und individueller Ebene erforderlich sind.“ Während manche Trends in die richtige Richtung zeigten, sei die derzeitige Geschwindigkeit völlig unzureichend. Immerhin ist das Glas aber zumindest halbvoll.


Dir hat dieser Beitrag besonders gut gefallen oder du hast Hinweise für uns - sag uns deine Meinung unter feedback@wienerzeitung.at. Willst du uns helfen, unser gesamtes Produkt besser zu machen? Dann melde dich hier an.


Infos und Quellen

Genese

Im Rahmen der Recherche, die unter dem Titel „Die CO2-Emissionen in der EU sinken“ in der WZ erschienen ist, tat sich die Frage auf, wie Österreich seine Klimaziele erreichen kann. Klimaforscher Daniel Huppmann und Nachhaltigkeitsexperte Johannes Schmidt hatten Antworten.

Gesprächspartner:innen

  • Johannes Schmidt, Assoziierter Professor, Institut für Nachhaltige Wirtschaftsentwicklung, Universität für Bodenkultur Wien

  • Daniel Huppmann, Klimaforscher, wissenschaftlicher Mitarbeiter, Internationales Institut für angewandte Systemanalyse, und Co-Autor des Weltklimaberichts 2018

  • Gerhard Christiner, Technischer Vorstand der Austrian Power Grid AG, der Betreiber des Übertragungsnetzes Österreichs

Quellen

Das Thema in der WZ

Das Thema in anderen Medien