Wie wichtig ist das EU-Parlament für jeden einzelnen von uns in Österreich? Wer kann wen wählen und welche Partei hat welche Forderungen im Programm? Hier einige Antworten auf grundlegende Fragen.
Was ist das EU-Parlament?
Im EU-Parlament werden ab Juni 2024 insgesamt 720 Abgeordnete sitzen, das sind 15 mehr als jetzt. Jedes der aktuell 27 EU-Mitgliedsländer entsendet nach den Wahlen, die alle fünf Jahre stattfinden, je nach Bevölkerungszahl eine bestimmte Anzahl an Delegierten. Deutschland ist als größtes Mitgliedsland mit 96 Mandatar:innen vertreten, Österreich mit 20. Der Sitz des EU-Parlaments ist in Straßburg/Frankreich. Plenartage und Ausschüsse finden in Brüssel statt. Das ist kompliziert und sorgt für Kritik, weil die Abgeordneten mit ihren Mitarbeiter:innen einen großen – und teuren – Reiseaufwand haben. Frankreich lässt sich das Vorrecht, Sitz des EU-Parlaments zu sein, aber nicht nehmen. Der Frauenanteil im EU-Parlament liegt bei 39,8 Prozent.
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Wie viel hat das EU-Parlament mitzureden?
Ursprünglich hatte das Parlament – es existiert seit 1958 – nicht viel zu sagen und eher beratende Funktion. Die Gemeinschaft musste sich deshalb vorwerfen lassen, unter einem Demokratiedefizit zu leiden. Also wurde die Macht der versammelten Abgeordneten in den letzten Jahrzehnten sukzessive ausgebaut, zuletzt 2009 durch den Vertrag von Lissabon. Generell werden die Maßnahmen und Gesetze, die dann in der ganzen EU gelten, von Parlament, EU-Rat und Kommission beschlossen. Das Parlament hat eine Reihe von Kontrollmöglichkeiten zur Überwachung der anderen EU-Institutionen. Es wählt den Präsidenten oder die Präsidentin der EU-Kommission und hat das Recht, die Kommission als Kollegium abzulehnen. Das EU-Parlament redet bei wichtigen Dingen wie der Regelung von Arbeitsbedingungen, bei internationalen Handelsverträgen, bei der Anwendung von KI und der Geschlechtergleichstellung mit.
Was hat das EU-Parlament in den letzten Jahren beschlossen?
Die Abgeordneten haben nach der Corona-Pandemie die Mittel für einen nachhaltigen Aufschwung der Wirtschaft bewilligt – unglaubliche 750 Milliarden Euro unter dem Namen „NextGenerationEU“. Auch die Gelder, mit denen die Ukraine unterstützt wird, wurden vom EU-Parlament bewilligt. Bis dato waren das 88 Milliarden Euro. Ein zusätzliches Großprojekt ist der „Green Deal“: Mit einer Fülle an Gesetzen und Verordnungen soll dem Klimawandel effektiv entgegengewirkt werden. Das Ziel lautet, bis 2050 Klimaneutralität erreicht zu haben.
Welche Gruppierungen gibt es im EU-Parlament?
Im Parlament sitzen die Abgeordneten der verschiedenen Mitgliedsländer je nach politischem Programm und politischer Übereinstimmung zusammen. Die stärkste Fraktion ist die EVP, die Christdemokraten, zu denen sich die ÖVP zählt. Es folgen die Sozialdemokraten, SPE, hier ist die SPÖ heimisch, die Liberalen unter der Bezeichnung „Renew Europe“, hier sitzen die Neos. Dann kommt die nationalistische Fraktion Identität und Demokratie, ID, hier zählt sich die FPÖ dazu. Es folgen die Grünen, die Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) und die Linke.
Wer wird die EU-Wahl gewinnen? Was sagen die Umfragen?
Was Österreich betrifft, liegt laut letzter OGM-Umfrage die FPÖ mit 26 Prozent weiterhin klar auf Platz eins. Dahinter folgen mit jeweils 22 Prozent SPÖ und ÖVP. Die Neos liegen bei 14 Prozent noch vor den Grünen, die knapp dahinter liegen. Europaweit könnten Rechtsparteien und Gegner:innen des europäischen Einigungsgedankens gestärkt aus der Wahl hervorgehen. Die Fraktion Identität und Demokratie (ID) und die Rechte und die Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (ECR) könnten zusammen mehr als 20 Prozent der Abgeordneten stellen – so viel wie noch nie. Die Mehrheit dürfte aber einmal mehr die bürgerlich-konservative EVP bekommen, gefolgt von den Sozialdemokraten SPE und den liberalen Kräften. Diese drei proeuropäischen Gruppen hätten dann im EU-Parlament klar die Mehrheit.
Wie stehen die einzelnen Fraktionen in Österreich zur EU und was haben sie im Programm?
Der FPÖ unter ihrem Spitzenkandidaten Harald Vilimsky geht die europäische Einigung schon viel zu weit, sie will die Zusammenarbeit auf den Wirtschaftsbereich beschränken und politisch den Nationalstaat stärken. Die Freiheitlichen plädieren dafür, EU-Kommission und Parlament zu halbieren, generell soll das „EU-Bürokratiemonster“ verkleinert werden. Flüchtlinge sind aus Sicht der FPÖ in Europa nicht willkommen.
Die ÖVP mit Spitzenkandidat Reinhold Lopatka hält die EU auch nicht überall für nötig, sie wendet sich gegen „Überregulierung“ in „nebensächlichen“ Fragen. In Sachen Migration sieht die ÖVP „Fehlentwicklungen“, hier will man mehr Außengrenzschutz durch Zäune und Überwachung. In Fragen der Umweltpolitik ist man gegen allzu radikale Maßnahmen, die ÖVP ist gegen ein Aus für Verbrennungsmotoren ab 2035.
Die SPÖ mit Andreas Schieder an der Spitze hat sich den Slogan „Europe First statt made in China“ auf die Fahne geschrieben. Es sollen grüne und soziale Arbeitsplätze in der EU geschaffen werden und die Industrie müsse, so die Forderung, in Innovationen investieren. Die CO2-Emissionen sollen reduziert werden – unter anderem dadurch, dass Privatjets auf europäischen Flughäfen verboten werden und ein besseres Schnellzugsystem etabliert wird.
Die Grünen mit der wegen Lügen- und Trickserei-Vorwürfen unter Druck geratenen Lena Schilling als Frontfrau sind „für das Klima und gegen rechte Hetze“. Zentrales Anliegen ist der Umweltschutz, die Grünen weisen darauf hin, dass es hier um „Überlebensfragen“ geht. In Abgrenzung zur ÖVP sind die Grünen gegen das „zwanghafte“ Festhalten am Verbrennungsmotor. Überdies wollen sich die Grünen mit aller Kraft dem drohenden Rechtsruck entgegenstemmen.
Die Neos mit Helmut Brandstätter an ihrer Spitze verstehen sich als begeisterte Pro-Europäer:innen. Ziel sind die „Vereinigten Staaten Europa“, wie es heißt. Man ist für einen Ausbau des Binnenmarktes und die Neos treten angesichts der russischen Bedrohung für ein wehrhaftes Europa mit einer eigenen EU-Armee ein. Brandstätter ist dafür, in diesem Zusammenhang die österreichische Neutralität „neu zu definieren“.
Außerdem treten die coronamaßnahmenkritische Partei DNA und die KPÖ an.
Wie wird gewählt? Und wer darf in Österreich wählen?
Gewählt wird am 9. Juni persönlich im Wahllokal mit Stimmzettel. Bis zum 7. Juni können zudem Wahlkarten am Gemeindeamt bzw. Magistrat persönlich beantragt werden, bis zum 5. Juni geht es auch schriftlich. Erstmals kann die abgeholte Wahlkarte auf der Gemeinde bzw. dem Magistrat sofort zur Briefwahl verwendet und vor Ort wieder abgegeben werden. Zur Wahl zugelassen sind Personen, die spätestens am Tag der Wahl das 16. Lebensjahr vollendet haben. Wahlberechtigt sind Österreicher:innen bzw. Unionsbürger:innen mit Hauptwohnsitz in Österreich. Man muss in der Europa-Wählerevidenz einer österreichischen Gemeinde eingetragen sein. Es ist bei der Europawahl möglich, eine Vorzugsstimme abzugeben. Für eine tatsächliche Vorreihung müssen fünf Prozent der Wähler:innen einer Partei einer Kandidatin/einem Kandidaten ihre Vorzugsstimme gegeben haben.
Ist es sinnvoll, an der EU-Wahl teilzunehmen?
Ja, auf alle Fälle. Das EU-Parlament spielt eine große Rolle im EU-Gesetzwerdungsprozess. Gesetze, die dann in Österreich und somit für jeden Einzelnen hier zur Anwendung kommen. Wobei die EU nicht nur zahllose Normen und Richtlinien beschließt, sondern auch dafür sorgt, dass Mitgliedsländer nicht gegen grundlegende, demokratiepolitisch wichtige Werte verstoßen.
Wie geht es nach der Wahl weiter?
Nach der Wahl werden die Mandatar:innen im EU-Parlament daran arbeiten, Fraktionen zu bilden. Bei der ersten Plenartagung wird ein Parlamentspräsident/eine Parlamentspräsidentin gewählt.
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Infos und Quellen
Daten und Fakten
Die mächtigste Einzelperson im politischen Institutionen-Gefüge der Europäischen Union sitzt eindeutig nicht im EU-Parlament. Es ist die deutsche CDU-Politikerin Ursula von der Leyen als Kommissionspräsidentin. Dass das auch protokollarisch gilt, ist spätestens nach der „Sofagate“ genannten Affäre im April 2021 allgemein anerkannt. Damals durfte EU-Ratspräsident Charles Michel bei einem Staatsbesuch direkt neben dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan sitzen, Von der Leyen wurde auf die Couch verbannt. Michel hat seinen Fehler später eingestanden.