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Sie werden vertuscht und aufgedeckt, niedergeredet und großgeschrieben, niemand will einen haben und dennoch wollen alle davon hören: Skandale. Warum wir als Gesellschaft von Skandalen profitieren könnten und es dennoch oft nicht tun.
In den 80igern gab es international große Nachfrage nach süßem, billigem Wein und genau der wurde in großen Mengen in Österreich produziert. Zu gut, um wahr zu sein? War es auch. Denn tatsächlich wurde dieser Wein mit nicht zulässigen Mitteln hergestellt, sondern durch die Zugabe von Diethylenglycol. Diese farblose, alkoholische Flüssigkeit wird in vielen Produkten wie zum Beispiel Frostschutzmittel eingesetzt, in diesem Fall sollte sie den Wein süßer machen.
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Von Skandal zum guten Wein
Im Sommer 1985 waren die Zeitungen voll mit der Skandalmeldung. Von Österreich bis nach Amerika schrieben alle über den Frostschutzmittel-Wein aus dem Alpenland. Es war die Zeit des Glycol-Skandals. (Anm.: Ausführliche Infos zu allen beschriebenen Skandalen findest du unter Infos&Quellen). Die österreichische Weinwirtschaft lag am Boden. Der Wein-Experte Willi Klinger erinnert sich: „Niemand hat sich diesen Skandal gewünscht, aber dadurch ist auf breiter Front ein Aufbruch in Richtung Qualität erfolgt.“ Durch den Skandal geriet die Weinbranche nämlich derart unter Druck, dass von der Politik bis hin zu den Produzent:innen gemeinsam schnell an Lösungen gearbeitet wurde. Der Weinskandal löste ein Momentum aus. „In dieser Zeit der Krise ist das Land auf die Sprünge gekommen. So wurde das Potenzial, das dem österreichischen Wein ja innewohnt, gehoben. Der Weinskandal war also eine Art Katalysator wider Willen“, sagt Klinger.
Heute ist Österreich ein Land, dessen Wein mit Produktsicherheit, effizienten Kontrollen und dem Bekenntnis zu Qualität assoziiert wird. Durch den Weinskandal wurde Österreich als Weinland besser. „Es war eine Katharsis, eine Phönix-aus-der-Asche-Erzählung. Es gab natürlich auch vorher schon großartige Weine in Österreich, aber durch den Skandal haben dann diese Qualitätsweine Oberhand gewonnen. Weil die Konsument:innen jetzt einfach auf mehr auf Qualität geachtet haben“, findet Klinger.
Der Druck von außen
Doch nicht alle gesellschaftlichen Bereiche agieren auf Skandale so rasch wie die Wirtschaft. Lebensmittelskandale sind ein Schock für die Öffentlichkeit. Konsument:innen zwingen Unternehmen zum Handeln. Die Verantwortlichen müssen rasch reagieren, sonst geht’s ins Geld.
Anders scheint es sich bei Polit-Skandalen zu verhalten. Wir haben uns angeschaut: Was verbesserte sich durch den Skandal im Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) und was veränderte sich durch Ibiza? Wie profitierte Österreich von der Aufdeckung der Inseraten-Affäre? Die Antwort: Es scheint, dass nach politischen Skandalen eher langsam reagiert wird, zögerlich und zuweilen auch nicht besonders gründlich. Eine entsprechende Gesetzgebung dauert und bis zur nächsten Wahl haben viele wohl vergessen, wer denn hier verantwortlich war.
Bettina Knötzl, Vorstandsvorsitzende von Transparency International, sieht das ähnlich: „Nach dem Auftreten von Korruptionsskandalen wird im besten Fall daran gearbeitet, dass mittels Gesetzgebung Lücken geschlossen werden.“ Gesetzgebung allein würde aber oft zu kurz greifen, führt die Juristin aus: „Strenge Korruptionsgesetze gibt es fast überall auf der Welt. Es kommt also eher darauf an, wie sehr man diese auch vollzieht. Und wenn sich jemand nicht daran hält, ob das tatsächlich Konsequenzen hat und auch entsprechend verfolgt wird“, weiß Knötzl.
In der Politik ist es anders als beim Wein
Zumindest bei den jüngeren Polit-Skandalen wie dem Ibiza-Skandal, dem BVT-Skandal oder der Inseraten-Affäre scheint kein Weinskandal-ähnlicher Umbruch erfolgt zu sein. Die großen Würfe, das gemeinsame Zusammenkommen von Handelnden, Betroffenen und Politik, um Verbesserungen voranzutreiben, blieb aus. So folgte auf den Ibiza-Skandal zwar die Novellierung des Korruptionsstrafrechts, der Beschluss dauerte allerdings ganze vier Jahre – unmittelbares Handeln sieht anders aus. Nach dem BVT-Skandal wurde die Behörde zwar neu aufgestellt, die österreichische Sicherheitsarchitektur wurde dennoch nachhaltig beschädigt und ist es bis heute. Einfluss von (Partei-)Politik auf die Justiz ist noch immer möglich. Auch nach der Inseraten-Affäre folgte keine gemeinsame Anstrengung der Medien- und Politbranche gegen Inseratenkorruption. Auch mit dem neuen Medientransparenzgesetz, das seit 2024 in Kraft ist, bleibt die starke Abhängigkeit von Inseraten der öffentlichen Hand bestehen.
Statt umgehender Reaktionen gibt es bei politischen Skandalen eher einen Marathon aus Untersuchungen, denen keine schnelle Lösung folgt. Warum also dieser Unterschied? Bettina Knötzl meint, ähnlich wie bei Lebensmittelskandalen müssten hier die Konsument:innen – in dem Fall wäre das die Wählerschaft – Druck für Veränderung ausüben. Die Juristin sagt:„Wir brauchen nicht nur eine strenge Gesetzgebung, sondern auch Abstrafen an der Wahlurne. Hier müssten Wähler:innen einfach sehr klar zu verstehen geben, Fehlverhalten nicht zu tolerieren.“ Genau daran würde es aber oft scheitern, denn bis zur nächsten Wahl kann so ein Skandal schon mal in Vergessenheit geraten.
Der Weinskandal führte laut Willi Klinger jedenfalls aus drei Gründen zu einer Verbesserung: Erstens wurden strengere Kontrollen durchgeführt, zweitens setzten sich jene Produzent:innen durch, die bereits hohe Standards einhielten, und drittens kam es zu einem Umdenken unter Konsument:innen, die nun vermehrt Wert auf Qualitätswein legten. Wollen wir echte Verbesserungen nach Polit-Skandalen, kann der Katharsis-Moment des Weinskandals vielleicht als Ansatz dienen. Verstärkte Kontrollen, hohe Standards für Politiker:innen und eine Wählerschaft, die vermehrt Wert auf Qualität setzt und weniger vergisst.
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Infos und Quellen
Genese
Der Artikel entstand aus der Idee, dass Skandale auch etwas Gutes sind, weil sich dadurch Dinge verbessern können. Im Zug der Recherche wurde aber klar, dass sich das nicht auf alle Skandale umlegen lässt, sondern sich ein großer Unterschied zwischen der Reiz-Reaktionszeit von Wirtschafts-, insbesondere Lebensmittelskandalen, und politischen Skandalen erkennen lässt.
Gesprächspartner:innen
Bettina Knötzl, Rechtsanwältin und Präsidentin von Transparency International Austria.
Willi Klinger, Wein-Experte. Er arbeitete bei WEIN & CO, Gaja, Domäne Wachau und war Geschäftsführer der Österreichischen Weinmarketing.
Daten und Fakten
Zum Weinskandal
Der Glykolwein-Skandal kam 1985 auf. Einige österreichische Winzer mischten Glykol in ihre Weine, um sie zu „versüßen“ und dieses Produkt massenhaft zu verkaufen. Glykol ist kein zulässiges Mittel in der Weinproduktion. Obwohl keine gesundheitlichen Schäden bekannt wurden, führte der Skandal zu einem Vertrauensverlust in den österreichischen Wein, einem drastischen Rückgang des Absatzes österreichischer Weine und massiven Schäden für die Weinwirtschaft.
Zum Ibiza-Skandal
Der Ibiza-Skandal wurde 2019 durch ein heimlich aufgenommenes Video ausgelöst. In dem Video sieht man den damaligen FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache, wie er politische Gefälligkeiten im Austausch für Wahlkampfhilfe anbietet. Zu dem Zeitpunkt der Videoaufnahme war die Versprechung von Gefälligkeiten erst für Amtsinhaber illegal. Der Skandal führte zum Rücktritt von Strache und dem Ende der Koalition zwischen der FPÖ und der ÖVP. Die Strafrechtsänderung zu Korruption erfolgte 2023 und umfasst nun auch Personen, die noch kein Amt innehaben.
Inseraten-Affäre
2021 wurde die ÖVP-Inseraten-Affäre bekannt und erschütterte die Medien- und Politlandschaft. Dabei geht es um den Vorwurf, dass sich der ehemalige Kanzler Sebastian Kurz mit Steuergeldern positive Berichterstattung in Boulevardmedien gekauft haben soll, um seinen persönlichen Aufstieg zu befördern. Die Inseraten-Affäre zeigt den Zusammenhang zwischen wirtschaftlich stark unter Druck stehenden Medien und deren Abhängigkeit von öffentlichen Aufträgen. Aufgrund der Inseraten-Affäre wurde ein neues Medientransparenzgesetz erlassen, das Ausgaben für Inserate von öffentlichen Trägern genauer erfassen soll.
BVT-Skandal
2018 wurden ungerechtfertigte Hausdurchsuchungen im Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) und in Privatwohnungen von BVT-Beamten durchgeführt. Dabei wurden wichtige Akten und geheime Dokumente unsachgemäß entwendet. Im Zentrum des Skandals standen Vorwürfe des Amtsmissbrauchs, der Datenvergehen und der politischen Einflussnahme auf die Justiz und die Exekutivbeamten. Die Hausdurchsuchung führte zu einer schweren Beschädigung des Vertrauens in den österreichischen Geheimdienst. Als Konsequenz wurde das BVT aufgelöst und durch die Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) ersetzt.
Quellen
Compliance Praxis: Korruptionsstrafrecht wird reformiert
Parlament: Korruptionsstrafrechtsänderungsgesetz 2023
Rechtsinformationsgesetz des Bundes: Medienkooperations- und -förderungs-Transparenzgesetz
Innenministerium: Neuer Verfassungsschutz startklar
Das Thema in der WZ
Das Thema in anderen Medien
Der Standard: Politskandale ohne Konsequenzen: Ist uns Korruption egal?
Die Furche: Weinskandal: Viele Väter