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Wenn der Urlaub kein Urlaub mehr ist

6 Min
Nunu Kaller schreibt zweimal im Monat eine Kolumne für die WZ.
© Illustration: WZ, Bildquelle: Privat

Tourismus als Wirtschaftsfaktor, Overtourism als Belastung für Mensch und Umwelt – der Verlauf ist fließend.


Vor vielen Jahren war ich mal auf Teneriffa. Damals lebten meine Großeltern noch, und Oma erzählte mir mit leuchtenden Augen von der kleinen Fischerhütte direkt am Strand in der kleinen Hauptstadt, in der wir übernachten wollten. „Schauts dort hin, die haben den am selben Tag aus dem Meer geholten Fisch gebraten, vor unseren Augen, mit ein bisschen Gemüse, dazu gab es einen Weißwein, es war herrlich!“ Nur: Oma sprach von den frühen Sechzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts. Ihr klarzumachen, dass diese Hütte gut fünfzig Jahre später sehr wahrscheinlich nicht mehr stehen würde, und auch der Fischer, der sie damals bediente, wohl ziemlich sicher nicht mehr täglich aufs Meer rausfuhr, war gar nicht so einfach. „Schauts dort hin, direkt bei dem Platz! Vielleicht gibt es sie ja noch, die Hütte!“ Natürlich gab es sie nicht mehr. Dafür standen dort hässliche Betonbauten mit langen Auslagenfronten, und in den Auslagen lagen ausschließlich Produkte, die auf Touristen ausgerichtet waren: Plastikschmuck, nachgemachte Parfums, Polyesterkleidung.

Die Hütte am Strand

Die Hütte war Omas Geheimtipp. Das ist genau das, was wir immer suchen, diesen einen Spot, den wir entdecken, der etwas ganz Besonderes ist und von dem wir, zurück in Wien, schwärmen können. Der uns zu etwas Besonderem macht, schließlich haben WIR und nur wir ganz allein dieses ganz besondere Fleckchen Erde entdeckt. Aber leider sind diese Geheimtipps heutzutage in der Sekunde tot, in der sie jemand auf Instagram postet. Denn dann müssen alle hin und das exakt gleiche Foto machen, egal, ob es am Grünen See in Österreich, auf den Game-of-Thrones-Stufen in Dubrovnik oder im Lavendelfeld in Frankreich ist (das nach der Instagram-Tourist:innen-Invasion dann kaputt ist).

Natürlich ist Tourismus ein sehr wichtiger Wirtschaftsfaktor. Allein in Österreich lag 2023 – die direkte Wertschöpfung aus dem Tourismus bei etwas mehr als 20 Milliarden Euro (6,2 Prozent der gesamten Wertschöpfung des Landes). Das ist nicht nichts. Und Menschen reisen gern.

2023 war das absolute Urlaubs-Rekordjahr in Österreich: 5,91 Millionen Menschen ab 15 Jahren unternahmen 27,01 Millionen Urlaubsreisen mit mindestens einer Übernachtung, mehr als die Hälfte davon im Ausland. Rechnet man da die sehr wahrscheinlich vielfach mitgenommenen Kinder dazu, waren locker sieben von neun Millionen Einwohner:innen Österreichs vergangenes Jahr mindestens einmal auf Urlaub. Das sind um mehr als 27 Prozent mehr als 2019, dem letzten vollen pandemiefreien Jahr. Auf der einen Seite verständlich, gerade nach der Pandemie und den dazugehörigen Reiseeinschränkungen war die Lust auf neue Eindrücke und andere Länder wohl noch höher als sonst – aber hatten wir nicht auch so etwas wie Rekordinflation? Spannend – für Urlaub ist also immer Geld da (auch wenn die Urlaube mittlerweile kürzer dauern).

Was vor der Pandemie als Problem langsam drängender wurde, ist spätestens seit vergangenem Jahr explodiert: Overtourism. Die Welttourismusorganisation UNTWO definiert Overtourism als „die Auswirkung des Tourismus auf ein Reiseziel oder Teile davon, die die wahrgenommene Lebensqualität der Bürger und/oder die Qualität der Besuchererfahrungen übermäßig beeinflusst, und zwar in einem Ausmaß, dass sie das tägliche Leben der Einwohner und/oder die Fähigkeit der Besucher, das Reiseziel zu genießen, stört.“

Overtourism sorgt für eine häufig überlastete Verkehrsinfrastruktur, knapper werdenden Wohnraum und steigende Lebenskosten für Einheimische (Airbnb in Städten ist ja fast schon ein eigenes Thema für eine Kolumne), Kommerzialisierung von lokaler Kultur und lokalen Traditionen, rein touristisch ausgerichtetes Warenangebot, Lärm, Müllberge, Wasserknappheit und – siehe Lavendelfelder – Zerstörung von Naturräumen. Das geht so weit, dass manche Sehenswürdigkeiten bereits für Tourist:innen wieder gesperrt wurden, beispielsweise der Strand in Thailand, an dem „The Beach“ mit Leonardo DiCaprio entstand.

Protest gegen Tourismus

Vielerorts reicht es den Einheimischen inzwischen. Auch auf Teneriffa. Dort macht der Tourismus heute 35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus, fast die Hälfte der Arbeitsplätze hat mit dem Tourismus zu tun. Dennoch verlangte man bei den Protesten eine vorübergehende Begrenzung der Besucher:innenzahlen durch lokale Behörden, um den Druck auf Umwelt – immer mehr Flächen werden versiegelt und die Abfallmengen sind enorm –, Infrastruktur und den Wohnungsmarkt zu verringern. Passiert ist diesbezüglich noch nichts, der wirtschaftliche Nutzen scheint wichtiger zu sein.

Während sich Wälzer wie „1000 Orte, die man gesehen haben muss“ verkaufen wie geschnittenes Brot, bringen manche Verlage inzwischen spannende Gegenprogramme raus: Plätze, die man sich sparen sollte, weil komplett übertouristisiert. Dazu gehören das Taj Mahal, der Mount Everest, die Chinesische Mauer und Kuba (verdammt, das wollt’ ich unbedingt mal sehen…), aber auch Santorin, Dubrovnik, Barcelona und Venedig.

Und so sehr ich es mag, neue Orte kennenzulernen, durch fremde Städte zu spazieren oder an traumhaften Stränden zu liegen: Ist es noch reizvoll, sich jedes Jahr zwei Wochen mit Massen von Leuten per Flug an einen entfernten Ort zu begeben, sich dort am Strand zu stapeln oder durch die Altstadt zu schieben, und zuhause den Freund:innen dann was von „Geheimtipp“ vorzufaseln? Ist es nicht traurig, dass der einzige Laden, in dem man noch wirklich ein bisschen das Flair des jeweiligen Ortes atmen kann, der lokale Supermarkt ist, weil sonst überall entweder internationale Ketten oder rein touristische Läden die Straßen füllen?

Ich war noch nie in Prag. In einem Anfall von Gönnung nach Auszahlung eines hohen Honorars buchte ich mir vor ein paar Monaten drei Nächte für diese Woche in einem zentralen Hotel in dieser Stadt. Vor ein paar Tagen stornierte ich wieder. Der Gedanke, mich im Juli bei 30 Grad mit Menschenmassen über die Karlsbrücke zu schieben, hatte nichts mit Urlaub, Erholung oder Freude an neuen Eindrücken zu tun.

Leeres Wien statt volles Prag

Aber was mich inzwischen wirklich erholt, ist das leere Wien, wenn die Stadt in der ersten Juliwoche sich schlagartig verlangsamt (Disclaimer: Wenn man die Innenstadt und Schönbrunn großräumig meidet, denn auch in Wien: Overtourism is a thing.). Der kleine Garten der Freundin am Stadtrand. Die verlangsamten Tage, die hellen Abende. Der Kurzbesuch im Strandbad Kritzendorf samt Erfrischung im Wasser. Die Farben der Felder und des Himmels bei der Hunderunde um sechs in der Früh im Weinviertel. Hin und wieder das Meer in Norditalien oder Istrien, möglichst schnell erreichbar von Wien aus. Urlaub ist kein Ort, es ist ein Zustand. Den man sich überall schaffen kann.

Urlaub ist kein Ort, es ist ein Zustand.

Aber nein, ich bin nicht päpstlicher als der Papst und möchte mich auf keinen Fall so darstellen. Auch ich werde in meinem Leben wohl noch einige Male weiter weg verreisen. Weil ich neue Kulturen kennenlernen will oder an neuen Plätzen am Meer sitzen wollen werde. Aber überlasteten Orten möchte ich ausweichen. Städte sind im Winter sowieso schöner.

Nunu Kaller schreibt alle zwei Wochen eine Kolumne zum Thema Nachhaltigkeit. Alle Texte findet ihr auch in ihrem Autor:innenprofil.


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Infos und Quellen

Genese

2023 war ein Reise-Rekordjahr, nicht nur in Österreich. Über sechs Millionen der über 15-jährigen Österreicher:innen fuhren auf Urlaub, mehr als die Hälfte davon ins Ausland. Einige Orte sind aber bereits touristisch komplett überlastet – mit Auswirkungen auf Bevölkerung und Umwelt. Dann spricht man von Overtourism, einer Steigerung des Massentourismus. Vielerorts regt sich in der Bevölkerung bereits Widerstand gegen die hohe Menge an Tourist:innen, trotz des bedeutenden Wirtschaftsfaktors, den der Tourismus darstellt.

Quellen

Das Thema in der WZ

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