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„Wenn er dir nichts verbietet, liebt er dich nicht!“

8 Min
„Diese fünf Jahre Ehe bedeuteten für mich, fünf Jahre in Angst zu leben“, erzählt die heute 38-jährige Arjeta, die von ihrem Ex-Mann jahrelang geschlagen und misshandelt wurde - aus Liebe, wie er stets sagte.
© Illustration: WZ / Katharina Wieser

Junge Frauen verwechseln Kontrolle mit Fürsorge und Eifersucht mit echter Zuneigung – auf Social Media wird Gewalt in Beziehungen romantisiert. Die gefährlichen Dynamiken, die sich dahinter verbergen, bleiben dabei oft unerkannt.



Content-Warnung: In diesem Text geht es um psychische, sexuelle und physische Gewalt in Beziehungen. Falls du auf diese Themen sensibel reagierst, lies diesen Beitrag vielleicht mit einer vertrauten Person, mit der du auch unterbrechen kannst, um dich mit ihr über das Gelesene zu unterhalten.

„Nur ein Mann, der dich schlägt, dir Dinge verbietet und dich nur für sich will, ist wirklich in dich verliebt“, hört Arjeta von ihrer damaligen Schwägerin. Dieser Satz brennt sich in ihr Gedächtnis ein. Arjeta ist damals 20 Jahre alt und steckt in einer gewaltvollen Ehe fest. Die Angst, beschimpft, erniedrigt oder sogar geschlagen zu werden, nur weil sie vielleicht eine Stunde zu spät nach Hause kommt, begleitet sie in ihrer Ehe täglich. Sie lebt in ständiger Sorge, dass ihrem Mann etwas missfallen könnte und die Situation eskaliert. Mal sagt er ihr, er handle so nur aus Liebe und im nächsten Moment beschimpft er sie als „H*re“. Rückhalt von weiblichen Familienmitgliedern kann sie kaum erwarten, denn auch sie sind in denselben zerstörerischen Denkmustern gefangen.

Unter Social-Media-Videos von Paaren finden sich Kommentare wie: „Wenn er dir nichts verbietet, liebt er dich nicht!“ oder „So lässt er dich wirklich rausgehen?“ Übertriebene Eifersucht, Drohverhalten und soziale Isolation werden auf Social Media von jungen Frauen, die diese Kommentare verfassen, als Ausdruck von Fürsorge oder starkem Beschützerinstinkt interpretiert. Tatsächlich hat dies mit Fürsorge oder Beschützerinstinkt nichts zu tun – im Gegenteil. Es handelt es sich hierbei um Formen psychischer Gewalt und um Verhaltensweisen, die ernsthafte Gefahren bergen.

In der Hoffnung auf eine glückliche Ehe heiratete die heute 38-jährige Arjeta bereits mit zwanzig Jahren einen Mann aus ihrer Heimat Kosovo. Doch es kam anders als erwartet: Noch bevor ihr damaliger Verlobter nach Österreich einreiste, überschüttete er sie am Telefon mit Vorschriften und Verboten. Sie bräuchte keine Freund:innen und auch ihre Familie müsse sie nicht sehen. Als er dann nach Österreich kam, wurden die Verbote lauter und auch die physische Gewalt begann. „Diese Ehe hat mich nicht nur von meinem Umfeld isoliert, sondern auch von mir selbst“, resümiert Arjeta . Sie funktionierte nur noch, tat, was von ihr verlangt wurde, und passte sich vor allem seiner Familie an: verschlossene Kleidung, keine Widerworte und keinerlei eigene Entscheidungen.

Gefahren der psychischen Gewalt

Für psychische Gewalt gibt es keine eindeutigen Warnsignale – es ist ein schleichender Prozess, wie Psychotherapeutin Sonja Prager-Doujak erklärt. Außerdem kann unter psychische Gewalt vieles fallen: „Von kulturellen Vorgaben, das Einschränken des gesellschaftlichen Lebens – beispielsweise durch Demütigung und Isolation bis hin zu sexuellem Missbrauch.“

Am Anfang steht jedoch häufig das Beschneiden der persönlichen Rechte. Eine Erhebung der Statistik Austria aus dem Jahr 2022 zeigt, dass 37 Prozent der Frauen zwischen 18 und 74 Jahren Erfahrungen mit psychischer Gewalt in Beziehungen gemacht haben.


Es gibt einen Anstieg an Gewaltdelikten bei Mädchen und jungen Frauen. Warum schlagen sie zu?


Prager-Doujak erklärt, dass psychische Gewalt meistens auch zu physischer übergehen kann. Es gäbe Männer, die ganz genau wissen, wo sie hinschlagen müssen, so dass es niemand bemerkt, so die Psychotherapeutin. Zwingend passiert das aber nicht. „Es gibt genug Männer, die gelernt haben, den psychischen Machtmissbrauch so auf die Spitze zu treiben, dass sie den physischen gar nicht brauchen.“ Prager-Doujak macht jedoch unmissverständlich klar, dass psychische Gewalt nicht an Kultur oder religiöse Einstellungen gebunden ist. „Es liegt immer am Täter“, betont sie im Gespräch. Die Gründe, warum Täter ihre Opfer kontrollieren wollen, sind individuell und nicht pauschal erklärbar: „Es gibt eine so große Bandbreite an Gründen. Diese auf ein paar Faktoren zurechtzustutzen, würde dem gar nicht gerecht werden.“

Fünf Jahre in Angst

So war es auch bei Arjeta. „Diese fünf Jahre Ehe bedeuteten für mich, fünf Jahre in Angst zu leben“, so die heute 38-Jährige. Beleidigung, Isolation, Erniedrigung bis hin zu Schlägen gehörten für Arjeta zum Alltag. Auf einen schönen Moment folgte fast immer eine Eskalation. Sie schwieg – aus dem Gefühl heraus, es verdient zu haben. Sie verlor immer mehr das Gefühl dafür, was richtig oder falsch war, und damit sich selbst. Wenn sie heute Fotos aus der Zeit sieht, erkennt sie sich selbst nicht mehr. „Ich habe in dieser Zeit nicht existiert. Das auf den Fotos bin ich nicht“, erzählt sie.

Das Traurige ist: Für mich selbst wäre ich wahrscheinlich nie gegangen.

„Ich hatte Angst, mich zu trennen, weil ich das Gesicht meiner Eltern nicht beschmutzen wollte“, so Arjeta. Sie erklärt, dass es in dem sozialen Gefüge, in das sie hineingeboren wurde, nicht üblich für eine Frau sei, ihren Mann zu verlassen, und dass das oft mit sehr viel Scham in Verbindung steht. Durch die Geburt ihres Sohnes durchbrach sie allerdings dieses „Gefängnis“, wie sie es nennt. „Ich wollte nicht, dass mein Sohn in solchen Verhältnissen, die von Gewalt geprägt sind, aufwächst“, erklärt sie. Als ihr Kind fünf Monate alt war, reichte sie mit Hilfe ihres damaligen Arbeitgebers die Scheidung ein, zeigte ihren Ex-Mann wegen häuslicher Gewalt an und ging für sechs Monate in ein Frauenhaus. Die Zeit danach war geprägt von Beleidigungen, Drohungen und Stalking seitens der Familie ihre Ex-Mannes. Sie mied für eine lange Zeit ihre Heimat, aus Sorge, seine Familie würde ihr Kind entführen. Durch ihren Sohn stiegen wieder ihr Selbstbewusstsein und auch ihre Kraft. „Das Traurige ist: Für mich selbst wäre ich wahrscheinlich nie gegangen.“

Eifersucht ist romantisch?

Wenn Betroffene in solchen Beziehungen stark leiden, drängt sich eine Frage auf: Warum werden solche Dynamiken romantisiert?

Psychotherapeutin Prager-Doujak erkennt dabei zwei zentrale Stränge. Der erste ist ein popkultureller: Bücher aus dem Dark-Romance-Genre, in denen mit sexuellem und physischem Missbrauch im Kontext von Romantik gespielt wird. Auch Filme, in denen der Held ein Gewaltpotenzial mitbringt, das jedoch akzeptiert wird, weil er am Ende „die Welt rettet“. Hinzu kommen toxische Männlichkeitsbilder, die auf Social Media kursieren und jungen Männern sexistische und patriarchale Grundsätze vermitteln.

Der zweite Strang betrifft die gesellschaftlichen Strukturen, in denen Menschen aufwachsen. „Manche erleben psychische Gewalt als normal, weil sie von zu Hause nichts anderes gelernt haben“, so die Psychotherapeutin. Hinzu kommt ein verbreitetes Missverständnis: Eifersucht wird oft als Zeichen von Liebe gedeutet, besonders bei jungen Frauen. In einer Welt, in der kaum jemand gesellschaftlich so relevant ist wie ein Star, bedeutet Eifersucht für manche: Ich werde herausgehoben, ich bin etwas Besonderes. Das erzeugt, zumindest kurzfristig, das Gefühl von Wert.

Wenn Neins zu Jas gemacht werden

Psychische Gewalt kann von jeder Person ausgehen, nicht nur Männer werden zu Tätern. Julia war 16 Jahre alt, als sie in eine Beziehung geriet, in der sie psychische Gewalt durch ihre Partnerin erlebte. „Eigentlich wollte ich keine Beziehung eingehen und das war aber schon das erste ‚Nein‘, das sie nicht akzeptierte“, erzählt sie. Was darauf folgte, war eine Beziehung, in der Julia immer wieder das Gefühl hatte, ihre Meinung zähle nicht. Ihre Ex-Freundin sprach ihr Entscheidungen ab, kontrollierte sie, auch über soziale Medien: Zum Beispiel löschte sie hinter Julias Rücken Bilder von ihrem Facebook-Account, weil sie ihr zu freizügig waren. Julia fiel es schwer, ihre eigenen Grenzen zu wahren. „Einerseits war ich erst sechzehn und andererseits war sie ein sehr dominanter Charakter“, sagt sie rückblickend. Damals habe sie das nicht hinterfragt. Die Beziehung war geprägt von einer Dynamik, in der sie sich glücklich schätzen sollte, dass ihre Partnerin überhaupt mit ihr zusammen sein wollte. Die Gewalt nahm zu, besonders als Julia keinen Sex mehr haben wollte. „Sie sagte, ich solle mich dann wenigstens auf den Rücken legen, damit sie mit mir Sex haben könne, während ich schlafe.“

Mit der Zeit wurde Julia systematisch erniedrigt. „Sie sagte zu mir, ich würde aussehen wie ein kleiner Junge“, erzählt die heute 30-Jährige. Doch selbst als sie versuchte, sich äußerlich zu verändern, traf sie auf Ablehnung: Neue Kleidung wurde als „Alte-Männer-Stil“ verspottet. „Sie hat mir nie wirklich gesagt, was sie möchte, sondern ich musste Fehler machen, die sie dann kritisieren konnte“, sagt Julia.

Sie war emotional stark abhängig und auch ihr Selbstbewusstsein bröckelte. Allein hätte sie es nicht geschafft, sich aus der Beziehung zu lösen. Doch irgendwann ließ ihre Ex sie nicht mehr in die gemeinsame Wohnung – ein brutaler Schnitt, der sich rückblickend als Wendepunkt erwies. „Aus heutiger Sicht war das das Beste, was mir hätte passieren können.“

Arjeta und Julia verarbeiten beide das Geschehene in Therapie. Heute können sie offen darüber reden und sind sich sicher, dass ihnen das nicht mehr passieren könnte. Beiden ist mit der Zeit klar geworden, dass ihr Erlebtes weder romantisch noch ein Zeichen von Liebe war. Arjeta betont: „Hört auf euer Bauchgefühl. Wenn dir schlecht wird, weil jemand was zu dir gesagt hat, dann ist das ein Zeichen von deinem Körper, dass es nicht in Ordnung ist.“

In Wien steht betroffenen Frauen ein dichtes Unterstützungsnetz zur Verfügung:

  • Frauennotruf der Stadt Wien – rund um die Uhr erreichbar –
    Telefon: 01 71719
  • Beratungsstelle der Wiener Frauenhäuser – Telefon: 01 512 38 39
  • Notruf für vergewaltigte Frauen und Mädchen –
    Telefon: 01 523 22 22
  • Netzwerk österreichischer Frauen- und Mädchenberatungsstellen – Telefon: 01 595 3760

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Infos und Quellen

Genese

WZ-Trainee Maria Lovrić-Anušić beobachtet auf Social-Media-Plattformen immer wieder Videos und Kommentare, in denen junge Frauen psychische Gewalt in Liebesbeziehungen verharmlosen und romantisieren. Über die Gefahren, die sich hinter solchen Verhaltensmustern verstecken, wird meist geschwiegen.

Gesprächspartner:innen

  • Mag. Sonja Prager-Doujak: Psychotherapeutin in freier Praxis
  • Arjeta, 38: Betroffene (Name von der Redaktion geändert)
  • Julia, 30: Betroffene (Name von der Redaktion geändert)

Daten und Fakten

  • Viele Frauen schweigen über erlebte Gewalt – aus Scham oder weil sie nicht wissen, wo sie Hilfe finden können. Gewalt an Frauen tritt in vielen Formen auf: körperlich, sexualisiert, psychisch, ökonomisch oder sozial. Besonders häufig geschieht sie im familiären Umfeld, laut Polizeiangaben in rund 90 Prozent der Fälle. Die Dunkelziffer ist hoch. Die Grenzen zwischen den Gewaltformen sind oft fließend. Neben Schlägen oder sexuellen Übergriffen gehören auch Demütigung, Kontrolle, Verbote oder Isolation dazu – alles Ausdruck männlicher Macht. Diese Gewalt betrifft Frauen unabhängig von Alter, Herkunft oder sozialem Status.
  • Psychotherapeutin Sonja Prager-Doujak rät immer, sich an professionelle Stellen zu wenden, die einem echte Sicherheit geben können, und sich nicht darauf zu verlassen, dass Familienangehörige einem helfen werden. Wenn man als außenstehende Person beobachtet, wie jemand Gewalt erlebt, ist es besonders wichtig, nicht wegzuhören oder die Person zu vertrösten, sondern auf professionelle Stellen zu verweisen. Man sollte liebevoll sein.
  • Laut einer Erhebung der Statistik Austria (2022) hat mehr als die Hälfte der Frauen, die in früheren Beziehungen körperliche oder sexuelle Gewalt erlebt haben, körperliche Verletzungen erlitten (54,6 %). Fast ein Drittel (30,9 %) fühlte sich dabei mindestens einmal lebensbedrohlich gefährdet.

Quellen

Das Thema in der WZ

Das Thema in anderen Medien

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