Die Persönliche Assistenz in der Freizeit wird zum Spießrutenlauf für Menschen mit Behinderung. Ein Interview mit Dorothea Brozek, einer Betroffenen.
Dorothea Brozek ist eine erfolgreiche Unternehmensberaterin - und Rollstuhlbenützerin. Sie benötigt ganztägig persönliche Assistenz, doch das ist seit Jahren eine mühsame Angelegenheit. Immer wieder weist sie öffentlich auf die bürokratischen Hürden hin, gebracht hat es bisher nichts, wie sie im WZ-Interview erzählt.
Wie geht es dir im Moment, Dorothea?
Insgesamt könnte es mir gut gehen, tut es aber nicht. Ich muss gerade wieder zwei Assistentinnen ausbilden. Die letzten hatte ich rund zwei Monate. Die Ausbildung schlägt sich auf die Stimme, weil man ja permanent Anweisungen geben muss. Und sie schlägt sich auf den Körper. Der ist ja gewissermaßen das Arbeitsmaterial der Assistentinnen. Ich muss sagen, ich bin derzeit an meinem Limit und kann durch diese Situation nicht mal mehr arbeiten.
Das Problem ist, dass niemand Assistenz machen will? Weil die Arbeit unangenehm und die Wertschätzung gering ist?
Das wird oft so kolportiert, aber meiner Erfahrung nach ist es anders. Es liegt schlicht an der Art der Beschäftigung.
Klärst du mich auf?
Es ist ganz einfach eine Sache der Bezahlung. Tatsächlich bekäme ich genug Assistentinnen, die den Job hauptberuflich machen würden, aber nur als Angestellte, nicht als freie Dienstnehmerinnen. An der Arbeit selbst liegt es nicht: Ich habe seit 2018 eine Angestellte für meinen Job – und das funktioniert glänzend. Aber sie hat ja einen Angestelltenvertrag.
Du siehst mich verwirrt.
Das glaube ich dir. Die Feinheit an der Sache wissen in der Regel nur Betroffene – aber genau sie ist der Knackpunkt. Es gibt einen Unterschied zwischen Assistenz im Bereich Ausbildung und Berufsausübung und Assistenz im Privatbereich. Die Assistenz im Bereich Beruf zahlt der Bund – damit gibt es kein Problem. Die Assistenz im Privatbereich ist Ländersache. Und da pocht Wien auf das Modell mit den freien Dienstnehmer:innen.
Zur Verdeutlichung: Deine vom Bund bezahlte Persönliche Assistenz ist für dich zuständig, wenn du deinem Beruf als Unternehmensberaterin nachgehst. Deine von der Stadt Wien bezahlte Freizeitassistenz ist für dich sozusagen außerhalb der Arbeitszeit zuständig, also wenn du dich für die Arbeit fertig machst, beim Einkaufen und privaten Aktivitäten.
Genau.
Lässt sich das in allen Fällen überhaupt so genau trennen?
Mitunter ist es eine Gratwanderung. Tatsache ist, dass meine Assistentinnen für den Arbeitsbereich einen Angestellten-Vertrag mit vertraglich geregelten 37 Stunden Arbeitszeit pro Woche und allem anderen haben, was Angestellten-Verträge vorsehen. Die Entlohnung beträgt mindestens 2.140 Euro brutto monatlich. Assistent:innen im Privatbereich haben einen Stundenlohn von höchstens 16 Euro brutto – das mag auf den ersten Blick mehr erscheinen. Doch es ist ohne Abgeltung von Wochenend- und Feiertagsdiensten und Krankengeld erst ab dem vierten Tag. Es gibt auch keine Sonderzahlungen. Dafür will kaum jemand arbeiten – und wenn doch, dann in der Regel nur kurze Zeit als Überbrückung.
Was zu dem häufigen Wechsel führt…
…und zu den immer wieder bei null beginnenden Einschulungen. Außerdem darf man nicht übersehen: Lebt man in Partnerschaft oder in einer Ehe gibt es Abschläge an Stunden. Es wird grundsätzlich der tatsächliche Assistenzbedarf für die Freizeit nicht bewilligt.
In meinem Fall würde ich jemanden brauchen, der den Hund betreut.Dorothea Brozek
Da stellt sich natürlich die Frage, ob es nicht sinnvoll wäre, auf andere Hilfskräfte zurückzugreifen. Man hört und liest immer wieder von Assistenz-Hunden, -Affen und in letzter Zeit immer wieder von Robotern.
Das ist, pardon, sehr naiv. Ich bin keineswegs kategorisch gegen Hunde und gegen Roboter, aber ich will Dir erklären, worin der Denkfehler besteht. Assistenzhunde sind in vielen Bereichen nützlich, nur kommt es darauf an, welche Art von Assistenz man braucht. Der Hund kann sicher Türen öffnen oder bei Diabetiker:innen Über- und Unterzuckerungen anzeigen, aber ich bin mir nicht sicher, ob ich etwas essen will, das der Hund mit seinem Maul in den Kühlschrank gelegt hat. Abgesehen davon: In meinem Fall würde ich jemanden brauchen, der den Hund betreut. Auch der Roboter kann eine feine Sache sein. Er kann Putzdienste verrichten oder mir ein Glas Wasser bringen. Ich weiß, dass es in Japan ein Lokal gibt, in dem Roboter bedienen, die von Menschen mit Behinderung ferngesteuert werden. Das ist ein schönes Projekt, um Menschen mit Behinderung einen Arbeitsplatz zu ermöglichen. Nur ist Persönliche Assistenz etwas ganz Anderes. Wenn die Strumpfhose zwickt, oder mein Bein durch langes Sitzen einschläft, nützt mir der Roboter nichts. Das gilt übrigens auch für den Hund.
Das heißt, dass du de facto warten müsstest, bis die menschliche Assistenz ihren Dienst beginnt.
Sagen wir: Um 9 Uhr 15 beginnt die Strumpfhose zu zwicken, und die menschliche Assistenz tritt um 12 Uhr den Dienst an. Das hat mit selbstbestimmtem Leben nichts zu tun. Und genau darum geht es aber letzten Endes.
Du bist also der Überzeugung, dass man auf den Menschen nicht verzichten kann?
Ja. Und Menschen müssen für ihre Arbeit entsprechend entlohnt werden. In Wien ist das Problem, dass der Gesundheitsstadtrat (Peter Hacker, Anm.) das Bummerl dem Bund zuschiebt und fragt, wieso der Bund meint, dass er nur für die persönliche Assistenz am Arbeitsplatz zuständig ist. Er will ein Gesamtpaket. Natürlich wäre ihm eines am liebsten, bei dem der Bund alle Kosten trägt. Beim aktuellen Pilotprojekt des Bundes, wo die Stadt Wien sich genau für diesen Bereich Geld holen könnte, heißt es, es sei zu wenig ausgereift. Aber es ist eine Eigenschaft von Pilotprojekten, dass sie sich erst mit der Zeit einspielen und nachgeschärft werden. Wenn man nicht einmal anfängt, kommt zwangsläufig wenig heraus. Behindertenbetreuer:innen in Einrichtungen zum Beispiel haben solche Angestelltenverträge. Warum sollen Persönliche Assistent:innen prekär arbeiten müssen?
Was unterscheidet Behindertenbetreuer:innen von Persönlichen Assistent:innen?
Behindertenbetreuer:innen unterstützen behinderte Menschen, etwa in der Tagesstruktur (früher: geschützte Werkstatt, Anm.) oder auch in Wohngemeinschaften. Solche Wohngemeinschaften darf man sich aber nicht als individuelles, selbstbestimmtes Leben vorstellen, das sind eher Klein-Heime.
In diesem Fall geht es also mit einem Angestellten-Vertrag. Du sagst jedoch, dass Hacker im Fall der Persönlichen Assistenz das Modell mit verpflichtenden Angestelltenverhältnissen ablehnt. Liege ich damit richtig?
Er sagt, viele, die solche Assistenzen machen, sind Studierende oder Personen, die einen anderen Job haben, und vielleicht halt einmal pro Woche eine persönliche Assistenzleistung machen wollen. Von mir aus soll es auch diese Möglichkeit der Beschäftigung geben – nur eben auch die einer Anstellung. Aber es kommt ja noch ein anderes Problem hinzu: dass nämlich in diesem Bereich sozialversicherungsrechtlich Anstellungen verpflichtend wären und ich durch die freien Dienstverträge stets das Risiko trage, geklagt zu werden. Eigentlich eine Ungeheuerlichkeit, dass die Stadt Wien so etwas mit öffentlichen Geldern macht.
Die Lösung des Problems?
Im Idealfall zahlt der Bund komplett alle Persönliche Assistenz. Im nächstbesten Fall müssen die Länder eine Anstellung von Persönlichen Assistent:innen mit Angestelltenverträgen auf der Basis des aktuellen Kollektivvertrags ermöglichen. Letztendlich haben wir auch schon Urteile vom Arbeits- und Sozialgericht, die besagen, dass diese Tätigkeit in einer Anstellung zu machen ist. Im Prinzip wäre es ganz einfach…
Danke für das Gespräch.