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Wenn Medikamente im falschen Schnabel landen

5 Min
Arzneimittelverschwendung wird noch nicht oft diskutiert, ist aber dennoch ein Problem.
© Illustration: WZ, Bildquelle: Adobe Stock

Es ist nicht egal, ob Altmedikamente in den Restmüll geschmissen werden, oder ob sie richtig entsorgt werden. Denn es geht um Geld, Ressourcen und Wirkstoffe, die nicht allen guttun.


Es blitzt etwas im Licht der Sonne. Silberne Punkte auf einem großen Müllhaufen − Blisterverpackungen von Medikamenten. Eine Krähe fliegt hinunter, greift eine davon mit ihrem Schnabel und fliegt davon. „Irgendwann lässt sie die Packung fallen, aus welchen Gründen auch immer. Und dann liegt das Medikament, das einen gefährlichen Wirkstoff enthalten kann, irgendwo auf der Straße oder auf dem Gehsteig.“

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Ein Mitarbeiter einer Entsorgungsfirma erzählt von den Risiken, wenn Altmedikamente nicht dort hinkommen, wo sie sollten. Was lustig klingt, hat einen bitteren Beigeschmack: Viele Medikamente landen im Restmüll oder werden achtlos in der Toilette oder sogar in der Öffentlichkeit entsorgt.

Über Lebensmittelverschwendung macht man sich viele Gedanken, über Arzneimittelverschwendung nicht. Dabei kosten Medikamente zwar für den/die Versicherte:n nicht viel, in Wirklichkeit zahlen die Kassen mitunter jedoch hohe Beträge dafür: Bis zu 3.000 Euro für ein Krebsmedikament sind keine Seltenheit.

Die Entsorgung von Arzneimitteln ist in Österreich zumindest aus Konsument:innensicht kein großes Thema. Die Apothekerin nimmt den Sack mit den abgelaufenen oder nicht mehr benötigten Medikamenten stumm entgegen. Aus ihrem Gesicht ist schwer ablesbar: Ist sie dankbar? Hätte ich es mir sparen können? Was macht sie damit? Informationen für einen bewussteren Umgang gibt es nicht – weder bei den Ärzt:innen noch in Spitälern oder auf der Medikamentenverpackung selbst. Die Recherche für diesen Text hat ergeben, dass sich niemand wirklich zuständig fühlt. Das Gesundheitsministerium verweist auf die Pharmig, die Pharmig auf die Apotheken, die Apotheken auf die Entsorger und die Entsorger sammeln die Medikamente zwar ein, bringen diese aber erst recht wieder nach Wien − zur Verbrennungsanlage Simmeringer Haide.

Verbrennen ist Recycling

Dennoch wird diese Art der Entsorgung bei den Befragten als Recycling bewertet. Und zwar im Sinn von: Wir sammeln und verbrennen Altmedikamente und erzeugen Energie damit. Die Sichtweise ist nicht falsch, dennoch werden so unzählige Medikamente, sehr viel Geld einfach verbrannt – und vor allem Ressourcen verschwendet.

„Ich habe mein Medikament um 150 Euro, das ich doch nicht gebraucht habe, ungeöffnet zurückgeben wollen, doch das war leider nicht möglich. Dann heißt es immer Qualitätssicherung“, erzählt ein Betroffener. „Ich habe den Eindruck, dass ich störe, wenn ich in meiner Apotheke Medikamente zurückbringen möchte. Außerdem sagt mir niemand, was dann damit passiert“, erzählt ein anderer. Der eigene Blick in die Hausapotheke zeigt: viele angebrochene Verpackungen, oft doppelt, abgelaufen. Sie sammeln sich, werden zu viel, und dann?

Wie viele Medikamente tatsächlich im Müll oder im Abfluss landen, darüber gibt es nur Schätzungen beziehungsweise Stichproben. In Deutschland etwa gab es eine Umfrage, wonach rund 43 Prozent der Bürger:innen zumindest gelegentlich flüssige Arzneimittel einfach in die Toilette oder das Waschbecken leeren, bei Tabletten waren es 16 Prozent. Abgesehen davon, dass über unsere Ausscheidungen und Körperhygiene ohnehin schon sehr viele Wirkstoffe im Abfluss landen, erhöht diese Art der Medikamentenentsorgung die Umweltbelastung enorm. Gewässer, Böden, Umwelt sind dadurch einer großen Gefahr ausgesetzt, die auf europäischer Ebene eingebremst werden soll: Die Umsetzung einer weiteren Klärstufe bei Kläranlagen wird derzeit erarbeitet und soll dem Problem entgegenwirken.

Auf keinen Fall in den Restmüll

Die richtige Entsorgung von Altmedikamenten verläuft in Österreich auf keinen Fall über den Restmüll. Das ist von Land zu Land jedoch unterschiedlich geregelt. In Deutschland etwa ist die Entsorgung über den Restmüll zumindest nicht verboten. In Österreich sind Mistplätze, Problemstoffsammelstellen, Apotheken, auch die Feuerwehr oder mobile Transporte wie der Giftmüllexpress zuständig. Die Entsorgung über den Restmüll ist untersagt: Dabei können die Medikamente „in falsche Hände geraten“, schreibt die Stadt Wien. Oder auch in falsche Schnäbel, wie anfangs erwähnt.

Die richtige Entsorgung ist auch deshalb wichtig, weil Altmedikamente ein spezielles Verbrennungsverfahren durchmachen müssen, um gefährliche Inhaltsstoffe zu vernichten. Und hier ist die Verbrennungsanlage in Wien die einzige in ganz Österreich, wo dies möglich ist. Viele Gefahrengut-Transporter sind daher von den Bundesländern nach Wien unterwegs. Das Gefahrengut ist nach Schlüsselnummern eingeteilt und wird dementsprechend vor Ort von den MA48-Mitarbeiter:innen aufgearbeitet.

Doch trotz Energiegewinnung durch die Verbrennung liegt die Verschwendung auf der Hand. Ein Blick über die Grenzen Österreichs zeigt, dass es Forschungsarbeiten im Bereich der Wiederverwertung von Medikamenten gibt. Etwa in Deutschland an der Friedrich-Alexander-Universität, wo ein Forschungsteam Altmedikamente einsammelt und Verfahren entwickelt hat, wie Wirkstoffe zurückgewonnen werden können. „Ein allgemeines Verfahren gibt es nicht, das Vorgehen ist für jeden Wirkstoff anders und wir arbeiten ständig an der Optimierung“, sagt Forscher Markus Heinrich zur WZ.

Verschiedene Forschungsansätze

Auch in den Niederlanden wird geforscht. An der Universität Radboudumc stellten Forscherinnen vor rund zwei Jahren eine Methode vor, wie ungenutzte Medikamente abgegeben und erneut verwendet werden können. Dabei sorgt ein spezieller Beutel, in den die Medikamentenpackung hineingegeben wird, für eine sichere Rückgabe. Ein darin enthaltener Temperaturindikator zeigt an, ob das Medikament entsprechend den Vorgaben gelagert wurde. Wenn alles passt, darf das Medikament zurückgegeben werden und wird einem anderen Patienten oder einer anderen Patientin übergeben. Der versiegelte Beutel darf erst geöffnet werden, wenn der Patient oder die Patientin das Medikament auch wirklich einnimmt. Eine der Forscherinnen, Charlotte Bekker, sagte in einem Interview im Rahmen des Elpro Leading Minds Network: „Wir haben festgestellt, dass wir allein in den Niederlanden jedes Jahr Medikamente für den Eigengebrauch im Wert von über 100 Millionen Euro entsorgen. Dies führt zu einem enormen finanziellen Verlust, und wir haben es mit begrenzten Gesundheitsbudgets zu tun.“

Kein Wiedereinsatz für Mensch und Tier

Auch Österreich hat ein begrenztes Gesundheitsbudget. Wird auch bei uns schon geforscht? „In Österreich sind uns keine Forschungen bekannt“, heißt es etwa seitens des Verbands der pharmazeutischen Industrie Österreichs. Der Verband verweist auf Projekte in Deutschland, die Methoden entwickeln, alte Arzneimittel aufzuarbeiten und die Wirkstoffe daraus zurückzugewinnen. Zwei österreichische Entsorger-Unternehmen zeigen sich im WZ-Gespräch zwar interessiert, kennen aber keine Initiativen diesbezüglich. Viele Fragen seien noch zu klären, heißt es, etwa in welcher Reinheit Stoffe zurückgewonnen werden können. Einig sind sich jedoch alle, dass die zurückgewonnenen Wirkstoffe vielfältig eingesetzt werden könnten − je nach Reinheit als Forschungschemikalien, bei der Lebensmittelkontrolle oder für die Wirkstoffentwicklung in der medizinischen Chemie. „Nicht aber für den Wiedereinsatz bei Mensch und Tier“, schreibt der Verband. Zumindest noch nicht.


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Infos und Quellen

Genese

Plastikverpackungen, Metallverpackungen, Altglas, Biomüll, Medikamente. Die Liste der Entsorgungsproblematiken, die WZ-Redakteurin Ina Weber beleuchtet, ist noch lang nicht zu Ende, aber um ein weiteres Stück reicher geworden. Dass es nicht schon längst mehr Awareness-Kampagnen oder Forschungen darüber gibt, wie Medikamente statt im Müll wieder in den Kreislauf gebracht werden können, war bei der Recherche enttäuschend. Ein Grund mehr, erneut darauf hinzuweisen.

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