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Warum wir Lebensstile nicht vergleichen dürfen – und warum doch.
Meine werte Kolumnen-Kollegin Beatrice Frasl hat letzte Woche über Frauen in Afghanistan geschrieben. Frauen in Afghanistan sind rechtlose Sklavinnen. Sie dürfen sich nicht allein in der Öffentlichkeit bewegen, sind von medizinischer Versorgung ausgeschlossen, dürfen nicht allein reisen, keinen Sport betreiben, nicht Autofahren. Sie dürfen nicht sprechen, nicht singen, sich nicht zeigen, keine Männer ansehen, die nicht mit ihnen verwandt sind – das alles im 21. Jahrhundert! Sie sind an ihr Zuhause gefesselt. Ihr Leben spielt sich auf engstem Raum ab. Und alles, weil sie Frauen sind, das ist die einzige Begründung. Es ist ein einziger Alptraum, aus dem diese Frauen mittlerweile seit Jahren nicht mehr aufwachen dürfen.
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Schauen wir uns das Ganze einmal aus Nachhaltigkeitssicht an: Kaum jemand lebt so nachhaltig wie die Frauen in Afghanistan. Ihr persönlicher CO2-Fußabdruck hat wahrscheinlich die Größe eines durchschnittlichen Fußes eines Dreijährigen. Kein Reisen, kein Autofahren, Leben in kleinstem Radius. Eigentlich sollten wir alle so leben, dann wäre der Planet gerettet. Ist doch super, oder? Um sicherzugehen: ICH SCHERZE. Keine Person auf der Welt hat ein Leben verdient wie die Frauen Afghanistans. Es ist massiv menschenrechtsverletzend, was da abgeht, und am liebsten würde ich persönlich jede einzelne Frau Afghanistans aus dem Land holen und die Männer sich selbst überlassen – mal schauen, was dann passiert.
Klimaverträglicher Lebensstil?
Warum schreibe ich das dann? Ich möchte Perspektiven geraderücken. Man kann individuellen Klimaschutz nicht losgelöst von anderen Themen betrachten. Er geht Hand in Hand mit dem Feminismus, mit wirtschaftlichen Privilegien, mit unserem Wohnort. In Afghanistan haben Frauen keine Wahl. Gar keine. Hierzulande haben wir schon allein aufgrund unseres Wohnorts und unserer Herkunft oftmals viele Möglichkeiten. Und wir können uns aktiv für einen Lebensstil entscheiden, der klimaverträglich ist.
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Das Gegenprogramm zur Frau in Afghanistan ist wahrscheinlich der Mann aus dem Silicon Valley, der mit dem SUV täglich Burger essen fährt und es sich aufgrund seines Krypto-Reichtums leisten kann, wöchentlich zu fliegen. Klischee? Vielleicht, aber es gibt sie, diese Menschen.
Wohnen auf engem Raum – in Ländern des globalen Südens aus wirtschaftlichen Gründen oft selbstverständlich, hier manchmal auch – aber manchmal nennen wir es Tiny House und sind stolz auf unseren geringen CO2-Impact beim Wohnen. Vegetarische oder vegane Ernährung – hier Kür, woanders Pflicht. Und ja, alles ist relativ. Natürlich ist ein Leben auf engem Raum mit viel vegetarischer Ernährung und keiner Reisetätigkeit aus Umweltsicht erstrebenswert. Allerdings zeigen uns die Frauen in Afghanistan: Nur weil Menschen so leben, heißt das eben nicht, dass das gut ist. Es kann auch ein Gefängnis sein. Apropos Gefängnis: Wenn man den Gedanken mit dem engsten Raum und null Reisetätigkeit weiterspinnt, dann sind verurteilte Verbrecher:innen ganz schön klimafreundlich!
Emissionen im Globalen Süden
Und: Es gibt schlicht und einfach keinen eindeutig festgelegten „richtigen“ Lebensstil für das Klima – sondern immer nur einen solchen, der an die Gegebenheiten des Landes angepasst ist. Was jedoch auch wahr ist: Dieses Argument darf hier im globalen Norden niemals apologetisch genutzt werden. Wir leben kollektiv auf zu großem Fuß. „19 Prozent der Weltbevölkerung leben im Globalen Norden und sind für 92 Prozent der CO2-Emissionen weltweit verantwortlich. 81 Prozent der Weltbevölkerung im Globalen Süden sind dagegen nur für 8 Prozent der Emissionen verantwortlich, leiden aber am meisten unter den Folgen der Klimakrise“, schreibt der Verein „Gemeinsam für Afrika“. Wir hier müssen uns „verkleinern“ – was im Fall von Österreich im vergangenen Jahr auch gelungen ist: Laut Umweltbundesamt sanken die Emissionen 2023 signifikant. Zum ersten Mal seit Jahrzehnten lag der Wert der Emissionen unter 70 Millionen Tonnen (was vor allem an Maßnahmen der Industrie sowie einer verringerten Heizsaison liegt).
Was bei allem Klimaschutzbewusstsein – das in den kommenden Jahren trotz allem politischen Gegenwind dringend hochgehalten werden muss – jedoch niemals verurteilt werden darf: Wenn Menschen im Globalen Süden ihren Lebensstil verbessern wollen. Denn Menschenrechte sowie Feminismus müssen weiterhin Hand in Hand mit dem Klimaschutz gehen. Niemand will leben wie eine Frau in Afghanistan. Aber niemand sollte leben wollen wie ein Mann im Silicon Valley.
Nunu Kaller schreibt alle zwei Wochen eine Kolumne zum Thema Nachhaltigkeit. Alle Texte findet ihr auch in ihrem Autor:innenprofil.
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Infos und Quellen
Quellen
Gemeinsam für Afrika: Unser Schwerpunktthema -Talk Climate do Justice