Zum Hauptinhalt springen

Wer soll für sauberes Wasser zahlen?

4 Min
Trotz Kläranlagen landen unzählige Mikroschadstoffe in den Gewässern.
© Illustration: WZ, Bildquelle: Adobe Stock

Die Europäische Union nimmt bei der Klärung der Abwässer erstmals die Hersteller:innen in die Pflicht. Pharma- und Kosmetikbranche sollen für die Reinigung der von ihnen verschmutzten Gewässer zahlen.


Mit dem Drücken der Spültaste ist es für uns getan. Geschäft erledigt. Die Fäkalien samt Klopapier treten eine für uns unbekannte Reise an. Doch im WC, im Waschbecken- oder Duschabfluss und in der Küchenspüle landen weitaus mehr Substanzen als man glaubt: Rückstände von Arzneimitteln wie Hustensäfte, Antibiotika oder Schmerzmittel, von Verhütungsmitteln wie der Pille, Inhaltsstoffe von Duschgels oder Handcremen.

Sag uns bitte, wer du bist:

Was in der Toilette und im Abfluss landet, ist ein geballter Mix. Ausgeschieden und weggespült wird bei den oben genannten Produkten etwa Codein, Sulfamethaxazol, 17-ß-Estradiol, Limonene, Phosphor oder Stickstoff. Rückstände von Medikamenten und Kosmetikartikeln, Zusatzstoffe in Lebensmitteln oder Pestizide landen in der Kanalisation.

Vierte Stufe soll alles klären

Unsere Reise führt in die Kläranlage. Dort wird das Abwasser gereinigt. Zumindest so gut es geht. Herkömmliche Kläranlagen sind meist dreistufig aufgebaut. Zunächst wird mechanisch ausgesiebt, dann folgt die biologische Stufe und schließlich die chemische Reinigung. Das reicht allerdings nicht, um sämtliche Stoffe herauszufiltern. Und so gelangen viel zu viele gefährliche Wirkstoffe in die Umwelt; vor allem eben Arzneimittelrückstände oder Wirkstoffe aus der Kosmetikbranche verunreinigen Flüsse und Gewässer. Die EU will nun mit einer neuen Richtlinie dagegen angehen.

Mit einer neuen vierten Klärstufe soll das Abwasser noch besser gereinigt werden, um die Umwelt zu schützen. Die EU-Gesetzgeber, bestehend aus dem Europäischen Parlament, der EU-Kommission und dem EU-Ministerrat, haben sich auf eine neue Kommunalabwasser-Richtlinie geeinigt, die noch in dieser Legislaturperiode abgesegnet werden soll. Ziel ist, „die Abwasserbehandlung flächendeckend auszuweiten, aktuellen Umweltanforderungen anzupassen und Mikroschadstoffe bestmöglich aus dem Abwasser zu entfernen“. Winkt der EU-Rat die Richtlinie bis zu den Wahlen zum Europäischen Parlament, die heuer vom 6. bis 9. Juni stattfinden, durch, stünde einer Umsetzung nichts mehr im Weg, heißt es hinter den Kulissen. Schafft man es nicht, geht man davon aus, dass das Paket möglicherweise wieder aufgeschnürt werden könnte.

Das Besondere an der neuen Richtlinie ist, dass die Produzent:innen in die Verantwortung genommen werden. Die Pharmaindustrie und die Kosmetikbranche sollen die vierte Klärstufe zu 80 Prozent finanzieren. Die restlichen 20 Prozent übernehmen die Mitgliedsstaaten. Wie die Umsetzung genau aussieht, soll in Kürze bekanntgegeben werden.

Die EU will Anreize schaffen, um die Verschmutzung an der Quelle zu verhindern.
Sascha Roth, Wasser-Experte

Die Pharmig, der Verband der pharmazeutischen Industrie Österreichs, zeigt sich nicht erfreut darüber. Der Verband unterstütze zwar prinzipiell den Vorschlag der Richtlinie, heißt es auf Anfrage der WZ. Er will aber nicht allein zur Verantwortung gezogen werden. „Wir fordern die Einrichtung einer Extended Producer Responsibility, EPR, sprich eine erweiterte Herstellerverantwortung, wodurch alle Verschmutzungsquellen in der Wasserumwelt berücksichtigt werden.“

Eine solche soll auch Teil der Richtlinie sein, zumindest die Möglichkeit einer Erweiterung der Herstellerverantwortung in einem nächsten Schritt sei vorgesehen, erklärt Sascha Roth vom Bundesverband der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Kreislaufwirtschaft der WZ. Immerhin seien auch Unternehmen, die Waschmittel, Lebensmittel oder Pestizide produzieren, für die Verschmutzung verantwortlich. „In einem ersten Schritt hat man jetzt jedoch die Pharma- und die Kosmetikbranche herangezogen“, erklärt Roth. Außerdem ziele die Richtlinie auch auf einen gewissen Lenkungseffekt ab. „Die EU will Anreize schaffen, um die Schadstoffverschmutzung bereits an der Quelle zu verhindern“, sagt Roth, „so wie es bereits bei den Verpackungen geschehen ist, wo Unternehmen für die Entsorgung der Verpackung zahlen müssen, beziehungsweise mehr zahlen müssen, je weniger umweltfreundlich die Verpackung ist.“ Aufklärungskampagnen für die richtige Entsorgung, Debatten über Packungsgrößen von Medikamenten oder Innovationen zum Thema Nachhaltigkeit würden damit angeregt.

500 Millionen Liter Abwasser täglich

Derzeit wird die Reinigung des Abwassers durch eine kommunale Abgabe beglichen, sprich jeder Haushalt zahlt mit den Betriebskosten eine Abwassergebühr. In Wien beispielsweise sind das 2,9 Euro pro Kubikmeter Wasser. Das gesamte Wiener Abwasser fließt zur größten Kläranlage Österreichs, zur Simmeringer Haide. Dort fallen 500 Millionen Liter Abwasser täglich an, welches nach den drei Reinigungsstufen in den Donaukanal fließt.

In Simmering jedenfalls ist man vorbereitet. Schon seit einigen Jahren wird dort gemeinsam mit der TU Wien zu einer vierten Klärstufe experimentiert. „Wir haben bereits mit Ozon und Aktivkohle Tests durchgeführt“, erklärt Pressesprecher Karl Wögerer der WZ. Vor allem Aktivkohle habe eine große Oberfläche, wo sich viele Substanzen anlagern könnten. Die Problemstoffe dabei seien etwa Betablocker von blutdrucksenkenden Medikamenten, Stoffwechsel-Medikamente, Schmerzmittel oder Kosmetikartikel.

Wann das Experiment in die Norm umgesetzt werden muss, und welche Substanzen schlussendlich herausgefiltert werden müssen, ist derzeit noch unklar. Die neue Richtlinie soll demnächst präsentiert werden. Danach haben die Mitgliedstaaten zwei Jahre Zeit, die neuen Vorgaben in nationales Recht umzusetzen.


Dir hat dieser Beitrag besonders gut gefallen oder du hast Hinweise für uns - sag uns deine Meinung unter feedback@wienerzeitung.at. Willst du uns helfen, unser gesamtes Produkt besser zu machen? Dann melde dich hier an.


Infos und Quellen

Genese

Angefangen hat alles damit, dass WZ-Redakteurin Ina Weber auf eine OECD-Studie gestoßen ist, die angibt, dass bis zu 50 Prozent der Medikamente im Müll landen. Im Zug der Recherche ist sie nicht nur auf die Frage der richtigen Entsorgung von Medikamenten oder der Möglichkeit, Altmedikamente zu recyceln, gestoßen, auch Medikamentenrückstände in unseren Ausscheidungen, die im Abfluss landen, spielen beim Umweltschutz eine wichtige Rolle. Die Europäische Union hat aus diesem Grund eine neue Richtlinie erarbeitet, die die Umwelt besser schützen soll und das Abwasser in der Kläranlage mit einer neuen vierten Klärstufe noch besser reinigen soll.

Gesprächspartner

  • Sascha Roth, Bundesverband der Deutschen Entsorgungs- Wasser- und Kreislaufwirtschaft

  • Peter Richter, Leiter Kommunikation, Pharmig – Verband der pharmazeutischen Industrie Österreichs

  • Karl Wögerer, Leiter Kommunikation, Kläranlage der Stadt Wien, Simmeringer Haide, ebswien kläranlage & tierservice Ges.m.b.H.

Daten und Fakten

  • Die EU-Richtlinie von 1991 über die Behandlung von kommunalem Abwasser

  • Die wesentlichen Regelungen der neuen EU-Kommunalabwasser-Richtlinie: Anthropogene Spurenstoffe mit vierter Reinigungsstufe herausfiltern; Kosten übernehmen zu mindestens 80 Prozent die Hersteller von Humanarzneimitteln und Kosmetika; Verschärfung der Vorgaben für Stickstoff und Phosphor; Energieneutralität von Kläranlagen; die Förderung der Wiederverwendung von behandeltem Abwasser; Erstellung von Abwasserbewirtschaftungsplänen

  • Am 29. Jänner 2024 haben sich die EU-Institutionen auf die Neufassung der Richtlinie geeinigt. Es fehlt noch die formelle Annahme durch den EU-Rat und das EU-Parlament. Diese soll demnächst stattfinden.

  • Das Verursacherprinzip ist ein Grundprinzip der EU im Rahmen des Green Deal.

Quellen

Das Thema in anderen Medien