Dank eines Abos strömen wieder Tausende in Österreichs Programmkinos. Insbesondere junge Leute. Lässt sich das Erfolgskonzept auch für den Journalismus kopieren?
Es mag für manche wie eine liebenswürdige Anekdote aus alten Zeiten klingen, wenn man erzählt, wie man einst in seiner Jugend vor Jahren (oder Jahrzehnten) Kinokarten reserviert hat. Man wollte auf der sicheren Seite stehen, weil die Gefahr bestand, dass man am selben Abend keinen guten Platz mehr bekommen könnte. Abseits von Festivals besteht diese Gefahr in Wien schon lang nicht mehr. Irrtum. Sie bestand lang nicht. Vergangenheit. Mittlerweile ist es wieder ratsam, Karten zu reservieren. Denn die Leute strömen wieder ins Kino. Und zwar in alle Filme, zu jeder Zeit. Egal ob Samstagabend in den Semi-Arthouse-Streifen, der in Cannes und Los Angeles Preise abräumt, oder am Nachmittag mitten in der Woche in die kleine Doku, wo estnische Frauen zwischen Saunaaufgüssen über Vergewaltigungen und Fehlgeburten sprechen. Jeder Saal bis auf den letzten Sitz ausverkauft. Auch die ersten Reihen. Ein Traum für die Filmwelt.
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Flatrate von 24 Euro
Fast zu gut, um wahr zu sein, werden doch seit Jahren Abgesänge auf das Kino geschrieben, Programmkinos als die letzten ihrer Art präventiv als verschwindende Institutionen benachruft. Sie werden nur noch von echten Cineast:innen und ein paar Hipstern, die es als extravaganten Retrochic für besondere Anlässe feiern, besucht. Lang wurde der Zeit nachgeweint, als die Menschen sich so oft wie möglich nach ein bisschen Magie auf der Leinwand gesehnt haben, inmitten einer anonymen Gemeinschaft von lachenden, schluchzenden und zu laut Popcorn mampfenden Fremden in einem dunklen Saal. Jetzt glauben sie, die Magie allein auf dem Laptop, oder, schlimmer noch, auf ihren Smartphones zu finden. Doch die Durststrecke scheint überstanden zu sein. Die Säle füllen sich wieder. Der Grund für dieses Revival: ein Kinoabo. Für 24 Euro im Monat so viele Filme, wie man will, in 23 Programmkinos in Wien, Graz, Linz, Wels, Krems, Freistadt, Salzburg und Innsbruck.
Ist der Code geknackt?
Vor einem Jahr haben die Initiator:innen Laura Köpf, Martin Kitzberger und Wiktoria Pelzer das „nonstop“-Abo ins Leben gerufen. Ihre Bilanz im Jänner: 6.000 Abonnent:innen, die knapp 100.000 Vorstellungen besucht haben. Und diese Besucher:innen sind jung. Im Durchschnitt 24 Jahre alt. Man hat mit dem Abo einen Code im Kinogeschäft geknackt, den andere Branchen verzweifelt suchen: die Jungen zu erreichen. Wer sie anfixen will, muss ihnen ein günstiges All-you-can-eat-Buffet bieten. So weit, so simpel. Doch lässt sich der Code für andere Branchen kopieren? Lässt sich die Jugend mit einer Flatrate auch für andere Bereiche begeistern? Etwa für Qualitätsjournalismus?
Netflix für Journalismus
Schon lang spielt man in der Medienbranche mit dem Gedanken eines „Netflix für Journalismus“. Ein Digitalkiosk, wo man für ein monatliches Abo so viele Titel lesen kann, wie man will. Den Leser:innen würde das gefallen. 2019 haben die Medienforscher Christian Wellbrock und Christopher Buschow von der Uni Köln und der Bauhaus-Universität Weimar in ihrer Studie „Money for Nothing and Content for Free?“ 6.000 Nutzer:innen zu ihrer Zahlungsbereitschaft für digitaljournalistische Inhalte befragt. Fast ein Drittel war der Auffassung, dass Inhalte im Internet gratis sein sollten. Schließlich würden sie ja bereits für den Internetzugang zahlen.
Nichtsdestotrotz könnten sie sich aber vorstellen, für eine Art Netflix oder Spotify für Journalismus zu zahlen. Bei knapp zehn Euro im Monat liegt die zu verkraftende Flatrate laut Wellbrocks und Buschows Studie. Einige Unternehmen haben sich bereits an derartigen Modellen versucht. Etwa das niederländische Start-Up Blendle, auf dessen Plattform Leser:innen einzelne Artikel verschiedener Zeitungen und Magazine kaufen können. Mit wenig Erfolg. 2023 hat Blendle sein Angebot für Deutschland eingestellt. Ein anderer internationaler Anbieter ist Pressreader, der Tausende Zeitungen und Magazine aus aller Welt für 30 Euro im Monat im Sortiment hat. 2019 gab das Unternehmen bekannt, dass zwölf Millionen Menschen weltweit das Angebot in Anspruch nehmen, ein Angebot, das dreimal so teuer ist wie das, was die meisten bereit wären zu zahlen.
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Technik existiert
Auch in Österreich wird mit diesen Gedanken experimentiert. Das Linzer Start-up „Newsadoo“, das die deutsche taz 2020 als „das neue heiße Ding“ bezeichnet hat, will ein „Spotify für News“ sein. Die Nutzer:innen können dabei auswählen, aus welchen Zeitungen und Magazinen – weltweit – sie ihre Nachrichten eingespielt haben möchten. Die KI passt die Auswahl dann an die persönlichen Interessen an. In der kostenlosen Variante des Modells können nur jene Texte gelesen werden, die vor der Paywall sind, für jene dahinter muss, je nach Quelle, gezahlt werden. David Böhm, Gründer von „Newsadoo“, glaubt, dass sich das Kinoabo-Modell auch für den Medienmarkt umsetzen lassen könnte. „Die Technik dafür gibt es, die Frage ist immer, ob die Verlage dafür bereit sind und es wollen“, sagt er im Gespräch mit der WZ.
Start in der Nische
Für die Verlage gibt es viele Faktoren, die mitspielen, warum sie sich vor einem „Netflix für Journalismus“ scheuen. Rentieren sich die Mikrobeträge, die durch eine derartige Plattform eingespielt werden? Gräbt man dem Abonnent:innenmarkt das Wasser ab, wenn man die eigenen Leser:innen zum günstigen Buffet lockt, statt sie zu Hause im von der Werbung finanzierten Umfeld zu bedienen? Macht das nicht die eigene Marke und die über Jahre aufgebaute Community kaputt? Es sind Fragen, die noch beantwortet werden müssen. Doch David Böhm ist überzeugt, dass ein derartiges Modell trotz aller Bedenken irgendwann starten wird. „Ich denke, dass es in der Nische passieren könnte“, sagt er. Und zwar genau dort, wo alle hinwollen: bei der Jugend. Einige Parteien haben schon angekündigt Abos für Schüler:innen und Jugendliche unterstützen zu wollen. Sollte das von der Politik finanziell mitgetragen werden, sieht Böhm eine Chance, das Netflix für Journalismus einmal auszuprobieren.
Im selben Boot
Die Krise würde Verlage dazu zwingen ihre Scheu irgendwann abzulegen. Denn ähnlich wie die Programmkinos sitzen auch all jene Medien, die Qualität anbieten, im selben Boot: sinkende Zahl der Printabos, schrumpfende Werbeeinnahmen und eine zu geringe Bereitschaft des Publikums, für Digitaljournalismus zu bezahlen. Egal, wie gut er ist. Das Konzept für ein Pilotprojekt für Schüler:innen hätte David Böhm schon in der Schublade. Es muss nur rausgeholt werden. Vielleicht dann, wenn auch diese Branche es irgendwann satthat, nur mehr Abgesänge über sich selbst zu schreiben und zu lesen.
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Infos und Quellen
Genese
Solmaz Khorsand hat festgestellt, dass seit einigen Monaten die Zeiten, in denen sie Kinosäle fast für sich allein hatte, endgültig vorbei sind – und, dass das eine gute Sache ist.
Gesprächspartner
David Böhm, Gründer Newsadoo
Daten und Fakten
Seit März 2023 gibt es das nonstop-Kinoabo in Österreich. Für eine monatliche Gebühr von 24 Euro, wenn man älter als 26 Jahre alt ist, 22 Euro für alle unter 26-Jährigen, kann man unbegrenzt 23 Programmkinos in Wien, Graz, Linz, Wels, Krems, Freistadt, Salzburg und Innsbruck besuchen.
6.000 Personen haben bereits ein Abo, bis Jahresende sollen es 10.000 werden.
Inspiriert wurden die Gründer:innen des Abos, Wiktoria Pelzer, Martin Kitzberger und Laura Köpf, von dem niederländischen Modell „Cineville.“
Die Idee eines Netflix für Journalismus wird seit Jahren von Branchenexpert:innen durchgespielt. Bislang mit mäßigem Erfolg. Studien haben gezeigt, dass Nutzer:innen bereit sind, höchstens zehn Euro im Monat für ein derartiges Modell zu zahlen.
Seit fünf Jahren bietet das Linzer Start-up „Newsadoo“ die europäische Alternative zu „Google News“, wie die Gründer sagen. Nutzer:innen bekommen aus unterschiedlichen Quellen, die sie selbst aussuchen, durch einen Newsbot auf ihre Interessen personalisierte Nachrichten eingespielt. In der Gratisversion handelt es sich bei den Nachrichten ausschließlich um Artikel, die vor der Paywall sind.
Quellen
wien.orf.at: Bilanz nach einem Jahr Kinoabo
taz.de: Ein Netflix für Journalismus
heise.de: Nutzer wollen ein Netflix oder Spotify für Journalismus
MEDIA Lab: Ein Spotify für Journalismus?
fipp.com: Infos zu Bilanz Pressreader
Die Zeit: Artikelplattform Blendle stellt Angebot in Deutschland ein