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In Frankreich konnte die Absolute der Rechtsextremen verhindert werden. Historiker Jérôme Segal erklärt, wie es nun weitergehen könnte – und warum es ihn als Jude traumatisiert, dass so viele Jüdinnen und Juden Marine Le Pen ihre Stimme gaben.
Frankreichs Brandmauer gegen die Rechtsextremen hat gehalten. In der zweiten Runde der vorgezogenen Parlamentswahlen vergangenen Sonntag konnte der Rassemblement National (RN), vormals Front National, von Marine Le Pen, nicht wie erwartet die absolute Mehrheit erreichen. Gewonnen hat überraschend das linksgrüne Wahlbündnis, die „Neue Volksfront“, knapp vor Präsident Emmanuel Macrons Regierungsallianz „Ensemble“. Für Le Pens Partei reichte es nur für Platz 3. Nun wird befürchtet, dass sich die republikanische Front gegen rechts zu keiner Regierung durchringen können wird und dem Land Instabilität droht. Der franko-österreichische Historiker und Publizist Jérôme Segal erklärt im Interview, wie schwer es wird, eine Regierung zu bilden, den Vorwurf einer antisemitischen Linken und warum so viele Juden und Jüdinnen bei dieser Wahl einer rechtsextremistischen Partei ihre Stimme gegeben haben.
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Infos und Quellen
Genese
Solmaz Khorsand hat für den Polit-Podcast „Ganz offen gesagt“ den österreichisch-französischen Publizisten Jérôme Segal interviewt, dessen Expertise sie für die WZ aufbereitet hat.
Gesprächspartner
Jérôme Segal, österreichisch-französischer Essayist und Wissenschaftshistoriker, Dozent an der Universität Sorbonne in Paris, veröffentlicht Bücher und Artikel u. a zur jüdischen Identität.
Daten und Fakten
- Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat nach dem schlechten Abschneiden seiner Partei bei den EU-Wahlen am 9. Juni und dem Triumph des rechtsextremen Rassemblement National (RN) überraschend Neuwahlen für den 30. Juni ausgerufen. In der ersten Runde der Parlamentswahl lag der RN vor dem Linksbündnis „Nouveau Front populaire“ (Neue Volksfront) und Macrons Mitte-Lager „Ensemble“ (Gemeinsam). 33,2 Prozent der Wähler:innen gaben Marine Le Pens Rechtsextremen ihre Stimme. RN-Spitzenkandidat Jordan Bardella wurde bereits als nächster Premier gehandelt.
- Im zweiten Wahlgang wendete sich das Blatt. Das Linksbündnis, bestehend aus Sozialdemokrat:innen, Grünen, Kommunist:innen und den linkspopulistischen „La France Insoumise“, holte mit 182 Sitzen von insgesamt 577 die relative Mehrheit im französischen Parlament, während Macrons Bündnis 168 und der rechtsextreme Rassemblement National 143 Sitze erhalten haben. Eine regierungsfähige Mehrheit ist nicht in Sicht. Als Präsident obliegt es Emmanuel Macron, den Premierminister zu ernennen.
- Der Rassemblement National konnte trotz ausbleibenden Sieges seine Position stärken. Von ehemals 89 stieg die Zahl ihrer Abgeordneten im Parlament auf 143. Außerdem erhält die Partei nun auch mehr Parteienfinanzierung und bringt sich für die nächsten Präsidentschaftswahlen 2027 in Stellung.
- Das französische Meinungsforschungsinstitut Ifop hat in seinem Bericht vom Mai 2024 die Bevölkerung befragt, welche Partei am meisten für den Anstieg des Judenhasses verantwortlich sei. 92 Prozent der jüdischen Befragten nannten La France Insoumise. Im Fall von Marine Le Pens Rassemblement National waren es nur 49 Prozent, noch hinter den Grünen mit 60 Prozent. Seit dem Hamas-Terroranschlag am 7. Oktober 2023 ist die Zahl der antisemitischen Vorfälle laut französischem Innenministerium massiv gestiegen, von 436 im Jahr 2022 auf 1.676 nach dem 7. Oktober.
- Im Vorfeld der französischen Parlamentswahl wurden zahlreiche Kandidat:innen und deren Helfer:innen angegriffen. Der Innenminister meldete mindestens 51 Fälle von körperlichen Angriffen auf Kandidat:innen, Vertreter:innen und Helfer:innen.
Quellen
- Ergebnis Parlamentswahlen auf tagesschau.de
- Alles zur Frankreich Wahl auf politico.eu
- Hintergrund Marine Le Pen in sueddeutsche.de: Die Le Pens – eine trübe Familiendynastie
- arte.tv: Frankreich: Die neue rechte Jugend
- nzz.ch: Die äussere Linke Frankreichs schürt Judenhass. Selbst die Nazijäger Beate und Serge Klarsfeld wollen lieber Le Pen wählen
- Bericht des Meinungsforschungsinstituts IFOP zu Antisemitismus
Das Thema in anderen Medien
- Porträt Jérôme Segal im Standard
- Ganz offen gesagt: Über die Schicksalswahl in Frankreich