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Wie die FPÖ das marode Gesundheitssystem retten will

6 Min
Die FPÖ will Asylwerber:innen medizinische Leistungen streichen.
© Illustration: WZ, Bildquelle: Getty Images

Die Freiheitlichen haben einfache Rezepte für das überlastete Gesundheitssystem. Manche Vorschläge sind rechtswidrig, manche unrealistisch, andere gibt es bereits.


Sie betrifft alle Menschen in Österreich. Im Wahlkampf spielte sie jedoch eine untergeordnete Rolle: die Gesundheit. Dabei ist das Gesundheitssystem eine riesige Baustelle. Es fehlen hunderte Stellen für Kassenärzt:innen. Patient:innen warten monatelang auf Operationen. In den Spitälern herrscht Personalmangel. Längst dominiert eine Zwei-Klassen-Medizin: Wer zahlt, wird schneller behandelt.

FPÖ-Chef Herbert Kickl richtete der türkis-grünen Bundesregierung im Sommer 2023 im Nationalrat aus: „Die Menschen wünschen sich eine qualitativ hochwertige Behandlung, aber Sie haben das Gesundheitssystem ruiniert.“ Doch wie wollen die Freiheitlichen das Gesundheitssystem reformieren? Lassen sich ihre Vorhaben überhaupt umsetzen?

Im freiheitlichen Wahlprogramm kommt das Thema Gesundheit an mehreren Stellen vor. Viele Forderungen sind allgemein gehalten: „Patientenströme organisieren“, „Verbesserte Arbeitsbedingungen im Gesundheitsbereich“, „Faire Entlohnung für Pflegekräfte“. Generell bleibt die FPÖ ihrer fremdenfeindlichen Politik auch im Gesundheitsbereich treu. Sie fordert, „dass es keine medizinische und pflegerische Versorgung von illegalen Migranten und Asylwerbern geben soll – ausgenommen Elementarversorgung und Schwangere“.

Rechtlich heikler Vorschlag

Grundsätzlich haben Asylwerber:innen, die in Österreich einen Antrag auf Asyl gestellt haben, ein Aufenthaltsrecht. Sie sind krankenversichert und können Zugang zu medizinischen Leistungen erhalten. Anspruch auf Pflegegeld haben Asylwerber:innen ohnehin nicht. „Prinzipiell ist es undenkbar, jemandem medizinische Versorgung zu verweigern. Das wäre ein Verstoß gegen die Menschenrechtskonvention“, sagt der Verfassungsrechtler Peter Bußjäger zur WZ. Es gebe jedoch einen gewissen Spielraum, welche Leistungen man Asylwerber:innen zuteil werden lassen könnte. Die Frage ist, was die FPÖ unter „Elementarversorgung“ versteht. Im Wahlprogramm wird dies nicht näher ausgeführt.

Was aber, wenn die FPÖ ein derartiges Gesetz durchbringen würde? „Das Gesetz wäre meines Erachtens verfassungswidrig und würde wahrscheinlich vor dem Verfassungsgerichtshof landen“, sagt Bußjäger.

Neben Asylwerber:innen gibt es Personen mit rechtskräftig abgeschlossenen, negativen Asylverfahren. „Sie haben kein Aufenthaltsrecht, sind aber geduldet. Das heißt, sie können aus rechtlichen Gründen nicht abgeschoben werden“, sagt Lukas Gahleitner-Gertz, Jurist und Sprecher der Asylkoordination Österreich, zur WZ. Es handle sich dabei aber um eine sehr kleine Gruppe von nur rund 1.100 Personen österreichweit.

Fehlende Stellen für Kassenärzt:innen

Was österreichweit fehlt, sind Hausärzt:innen, die wohnortnah verfügbar sind. Kassenpraxen sind oft überlastet. Zwischen 160 und 290 Kassenarztstellen sind unbesetzt – je nachdem, wen man fragt. Laut Österreichischer Gesundheitskasse (ÖGK) sind von den derzeit 7.405 Vertragsplanstellen rund 163 Stellen unbesetzt. Die Ärztekammer fragt regelmäßig bei den Landesärztekammern ab, wie viele Stellen ausgeschrieben sind. Aktueller Stand: 290. Auf der anderen Seite boomen Wahlärzt:innen. Laut ÖGK gibt es aktuell rund 11.000 Wahlärzt:innen österreichweit.

„Gesundheit darf keine Frage des Geldes sein“, heißt es im Wahlprogramm der FPÖ. Sie fordert ein Recht auf einen Wahlarzt oder eine Wahlärztin im Bedarfsfall. Wenn eine Kassenarzt-Behandlung innerhalb einer zumutbaren Frist nicht möglich sei, sollen die Behandlungskosten einer Wahlarztbehandlung zu 100 Prozent ersetzt werden. Aus Sicht der ÖGK sei die Forderung der FPÖ „unrealistisch“. „Da Wahlärzt:innen in der Tarifgestaltung völlig frei sind, würde dies das Vertragsarztsystem untergraben und die Finanzierbarkeit des Systems insgesamt gefährden“, heißt es schriftlich gegenüber der WZ. Zudem sei eine einzelfallbezogene Überprüfung von zumutbaren Wartezeiten „mit einem enormen Verwaltungsaufwand verbunden bzw. nicht objektivierbar“.

Von neu zu schaffenden Kassenarztstellen ist im FPÖ-Wahlprogramm nicht die Rede. Der Koalitionspartner in spe hingegen will für Gesundheit und Pflege elf Milliarden Euro in die Hand nehmen – Finanzierung offen. Bis 2028 will die ÖVP 800 neue Kassenarztstellen schaffen.

Jungmediziner:innen im Land halten

Was ÖVP und FPÖ eint, ist die Forderung, angehende Ärzt:innen für eine gewisse Zeit zum Arbeiten in Österreich zu verpflichten. So soll die Abwanderung ins Ausland eingedämmt werden.

Anreize, in Österreich zu bleiben, gibt es in Ansätzen bereits. Im Studienjahr 2024/25 stehen 85 der 1.900 Medizin-Studienplätze österreichweit für Aufgaben im öffentlichen Interesse für Bundesländer, die ÖGK, das Innenministerium und das Verteidigungsministerium zur Verfügung, teilt die Medizinische Universität Wien mit. Die ÖGK bietet seit 2023 Stipendien in Höhe von 923 Euro monatlich für Medizinstudierende an, wenn sie nach dem Studium für mindestens fünf Jahre einen Kassenvertrag übernehmen. 2023 wurden 50 Stipendien ausgeschrieben und 48 Stipendien vergeben. Eine Weiterführung ist nicht geplant, heißt es von der ÖGK.

Das Burgenland etwa sichert sich über eine eigene Stipendium-Schiene ab: Das Land finanziert 148 Studierenden das Medizin-Studium. Im Gegenzug verpflichten sie sich, mindestens fünf Jahre im Burgenland als Kassenarzt- oder ärztin im niedergelassenen Bereich oder in einer burgenländischen Klinik zu arbeiten.

Für Österreicher:innen sind derzeit bereits 75 Prozent der Studienplätze reserviert. Einem aktuellen Gutachten der Johannes-Kepler-Universität Linz zufolge sei diese Quote „nicht ausreichend, um die medizinische Versorgung in Österreich sicherzustellen“. Künftig könnten also noch mehr Plätze für heimische Bewerber:innen reserviert sein. Apropos Abwanderung: 95 Prozent der österreichischen Medizin-Studierenden bleiben nach ihrem Studium in Österreich.

Vorrang für heimische Pflegekräfte

Was ebenfalls in Österreich bleiben soll, ist die Ausbildung der Pflegekräfte. Im Gegensatz zur ÖVP, die Pflegekräfte gezielt im Ausland suchen will, lehnt die FPÖ dies ab. „Mit dem Importieren von 24-Stunden-Pflegern aus dem Osten, die oftmals nicht einmal die deutsche Sprache beherrschen und auch keine fundierte Pflegeausbildung haben, werden wir das Personalproblem im Pflegebereich nicht lösen“, heißt es im Wahlprogramm.

Derzeit arbeiten rund 127.000 Menschen in Österreich im Pflegebereich. Künftig wird aber der Bedarf steigen. Die Pflegepersonal-Bedarfsprognose des Sozialministeriums geht für den Zeitraum 2023 bis 2030 von 51.000 zusätzlichen Pflege- und Betreuungskräften aus. Wie soll das funktionieren? Ein Anruf bei Elisabeth Potzmann, Präsidentin des Österreichischen Gesundheits- und Krankenpflegeverbandes: „Wir sehen den Zuzug von Fachkräften aus dem Ausland positiv. Zum Teil sind sie sehr gut ausgebildet. Aber sie allein werden das Problem auch nicht lösen.“ Hürden gibt es etwa bei der Anrechnung ausländischer Ausbildungen. „Wir haben auch gar keine schlechten Bewerber:innenzahlen. Unser Problem ist, die Kolleg:innen zu halten“, sagt Potzmann.

Die Freiheitlichen bevorzugen eine „Pflege daheim vor stationär“ und wollen mehr Anreize für pflegende Angehörige schaffen. Für 75 bis 80 Prozent der pflegebedürftigen Menschen ist eine Frau die Hauptbetreuungsperson. Frauen leisten viel unbezahlte Betreuungsarbeit, indem sie Angehörige pflegen. „Wir stehen dahinter, dass man Menschen die Pflege zu Hause ermöglicht. Aber mit Unterstützung der professionellen Pflege und nicht auf dem Rücken der Frauen“, sagt Potzmann.

Für die künftige Regierung bleibt das Gesundheitssystem eine große Baustelle. Eine Baustelle, die viele Investitionen braucht – angesichts des hohen Schuldenstands eine Herkulesaufgabe für FPÖ und ÖVP.


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Infos und Quellen

Genese

Welche Forderungen der bevorstehenden Koalition sind tatsächlich realistisch durchsetzbar? Diese Frage hat sich die WZ-Redaktion gestellt und Themenbereiche verteilt.

Gesprächspartner:innen

  • Thomas Czypionka, Gesundheitsökonom am Institut für Höhere Studien

  • Peter Bußjäger, Universitätsprofessor am Institut für Öffentliches Recht, Staats- und Verwaltungslehre der Universität Innsbruck

  • Österreichische Gesundheitskasse ÖGK

  • Elisabeth Potzmann, Präsidentin Österreichischer Gesundheits- und Krankenpflegeverband

  • Claudia Pokorny, Sprecherin Österreichischer Bundesverband für Psychotherapie

  • Sascha Bunda, Sprecher Österreichische Ärztekammer

  • Lukas Gahleitner-Gertz, Jurist und Sprecher Asylkoordination Österreich

  • Medizinische Universität Wien

Daten und Fakten

  • Die FPÖ hat im Sommer die EU-Wahl mit 25,4 Prozent der Stimmen gewonnen. Es folgte die ÖVP mit 24,5 Prozent, dann die SPÖ mit 23,2 Prozent. Die Grünen erhielten 11,1 Prozent, die Neos 10,1 Prozent.

Quellen

Das Thema in der WZ

Das Thema in anderen Medien