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Seit 29 Jahren lebe ich als Reporter und Radiomacher in den USA. Die autoritäre Umwandlung des Landes unter Donald Trump erschüttert mich und hinterlässt ein Gefühl der Angst und der Ohnmacht: Eine sehr persönliche Betrachtung.
Quer durchs Land, 3.500 Kilometer weit. Von Oakland bis in die Upper Peninsula von Michigan. Von der Westküste der USA in eine politisch eher konservative und wirtschaftlich abgehängte Region des Landes. Es ist eine beeindruckende, sehenswerte, bewegende und einfach nicht endende Fahrt, die ich derzeit mit dem Auto quer durch die USA unternehme. Oder, wie es eine Freundin von mir beschrieb: „die Weite Amerikas, wenn es sich zur Zeit zum Platzen eng anfühlt.“
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Drei Jahre wollte ich bleiben, und nun lebe ich schon seit 29 Jahren in den USA. Ein Land, das für mich damals (Zu-)Flucht war, zu einer Art zweiten Heimat wurde, das mir viele berufliche Möglichkeiten geboten hat, die ich in Deutschland nie gehabt hätte. Nach dem Journalistenvisum folgte die „Green Card“, dann die US-Staatsbürgerschaft.
Ich fand als Journalist meine Nische, berichtete von Anfang viel über Themen, die mich selbst interessierten, die mich bewegten. Das nahegelegene Silicon Valley ließ mich unberührt, auch wenn dort gegen Ende der 90er Jahre die Welt, wie wir sie kannten, revolutioniert wurde.
Es war einmal: Der American Dream
Schon kurz nach meiner Ankunft in der Bay Area begann ich nebenbei auf einem lokalen Sender eine Sendung über Musik aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, konnte in den Folgejahren weitere Stationen in den USA und Kanada für dieses Programm gewinnen. Schließlich wurde ich ein paar Jahre später sogar für meine kulturelle Arbeit mit „Radio Goethe“ mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt. All das verdanke ich durchaus diesem Land, den USA. „Mach einfach“, hieß es immer wieder, egal ob es Themen aus Politik, Geschichte oder Kultur waren. In diesen Vereinigten Staaten gab es immer wieder Neues zu entdecken. Ich sah es immer als große Bereicherung an, mich mit Leuten zu treffen, die ich so nie kennengelernt hätte, die mich an Orte führten, die ich nie gesehen hätte. Irgendwann war ich dann als Hiergebliebener in der Situation, zu versuchen, die USA zu verstehen und zu erklären. Kurzgefasst: Wie tickt Amerika?
Verlorene Eintracht
Die USA sind kein einfaches Land. Das waren sie noch nie. Mehr als die Hälfte meines Lebens lebe ich nun schon hier, aber angekommen bin ich dennoch nie. Irgendwie hänge ich zwischen den Kulturen und den Sprachen. Das muss kein Nachteil sein, für mich ist es immer noch die Neugier des „Zugereisten“, die mich antreibt. Es ist ein faszinierendes Land: Allein diese Reise in die nördlichste Ecke von Michigan hat mir das wieder vor Augen geführt. Diese Weite unterwegs, die wunderbare und einzigartige Landschaft, immer geradeaus – auch das steht symbolisch für die USA. Es ist aber auch ein Land geworden, das auf mich immer verstörender wirkt, und in dem ich mich nicht mehr zurechtfinde.
Ich erinnere mich an die Terroranschläge des 11. Septembers 2001. Amerika rückte in dieser tiefen Krise zusammen. „We are all Americans“, hieß es damals. Nicht Demokrat:innen, nicht Republikaner:innen, sondern Amerikaner:innen. Auf den Stufen des Kapitols kamen die Abgeordneten und Senator:innen zusammen, um gemeinsam als Zeichen der Einheit die Nationalhymne zu singen. Überall im Land wurden die „Stars and Stripes“ gehisst, Fähnchen flatterten in den Vorgärten. Ich war beeindruckt davon, wie diese Nation, trotz tiefer Gräben, gerade in einer Krise wie dieser zusammenrücken konnte.
Doch 9/11 war in vielerlei Hinsicht ein Wendepunkt für die USA. Vor allem muss dieser Tag im Rückblick als jener Tag gesehen werden, an dem die Leichtigkeit, die dieses Land so lange ausgezeichnet hatte, verloren ging. Tiefe politische Gräben, die es nach der Wahl von George W. Bush gab, wurden noch breiter. Demokrat:innen und Republikaner:innen entfernten sich mehr und mehr voneinander. Für mich als Journalist wurde es seither immer schwieriger mit Menschen zu sprechen, die politisch anders denken.
Irakkrieg, Tea Party, Obama und dann kam Donald Trump. Völlig überraschend für viele, auch für mich, setzte er sich gegen Hillary Clinton durch. Trump wusste, wie er das System der Vorwahlen und des „Electoral College“, den Wahlprozess bei nationalen Abstimmungen, ausspielen konnte. Damals weinten in Oakland die Menschen, kamen am folgenden Freitag im „Oakland Museum of California“ zusammen, trauerten über das, was nun kommen würde.
Trump schien schon am Ende
Es kam nicht so, wie viele befürchteten. Es gab zwischen 2016 und 2020 in der Grand Old Party noch genügend Stimmen, die Trump in Zaum hielten. Doch mit der Corona-Krise wurden immer mehr Verschwörungstheorien verbreitet und das Land nur noch weiter gespalten. Dann die verlorene Wahl für ihn im Jahr 2020, die Wahllüge, der Sturm auf das Kapitol. Trump schien am Ende, einstige Wegbegleiter seiner „America First“-Bewegung distanzierten sich deutlich. Doch nur wenige Wochen später drückten sie sich im „Winter Weißen Haus“, wie Trump sein Domizil Mar-a-Lago bezeichnet, die Klinke in die Hand. Sie kamen als Bittsteller:innen, baten um Verzeihung. Die MAGA-Basis hatte deutlich gemacht, dass Trump für sie auch weiterhin der Führer der republikanischen Partei sei, dass sie die Lüge von der gestohlenen Wahl glaubten, dass der Sturm auf das Kapitol eigentlich friedlich und eine abgekartete FBI-Aktion gewesen sei. Vor unser aller Augen wurden historische Fakten umgedeutet und umgeschrieben. Ich fragte mich, in welchem falschen Film ich hier eigentlich bin.
Donald Trump verfiel in einen Dauerwahlkampf und wurde zum Störsender des demokratisch gewählten Präsidenten Joe Biden. Alles, was dieser anpackte und umsetzte, wurde auf Trumps Kommando im Kongress und Senat und vor allem in den ihm verbundenen Medien, wie Fox News, OAN, Newsmax, gezielt unterminiert. Selbst wichtige und richtige Entscheidungen für die USA, wie ein breites Aufbauprogramm, das vor allem republikanischen Bundesstaaten helfen würde, wurden bombardiert und als „sozialistisch“ diffamiert.
Und Biden selbst machte den Fehler, nicht der Übergangspräsident zu sein, der er sein wollte. Der Wahlkampf 2024 haben die Demokraten total verbockt. Trump ging als strahlender, selbstherrischer Wahlsieger mit einem für ihn deutlichen MAGA-Mandat hervor. Er sah sich in all dem bestätigt, was er über die vergangenen Jahre erzählt, erstunken und erlogen hatte.
100 Prozent MAGA
Die Reaktion auf den Wahlsieg von Donald Trump 2024 war Unverständnis, gerade in Gegenden wie der San Francisco Bay Area: „Wie konnten die nur für einen selbstverliebten, populistischen, lügenden, verurteilten und hasserfüllten Kerl wie Trump stimmen?“, hieß es dort. In all den Gesprächen nach dem Wahltag war klar, die Dinge werden sich verändern. Doch was dann kam, überraschte jeden. Trump, der sich noch im Wahlkampf vom „Projekt 2025“ der Heritage Foundation, einem quasi rechten Fahrplan zur Umwandlung der Regierung und des Staates, distanziert hatte, begann am Tag eins mit der Umsetzung genau dieses Planes. Tag für Tag unterschrieb er im Oval Office weitere präsidiale Anordnungen mit weitreichenden Folgen, ohne dabei auf den Kongress einzugehen oder sich mit der republikanischen Mehrheit abzustimmen. Die mussten die Kröten einfach schlucken und nach außen hin verteidigen.
Trump hat deutlich gemacht: Er ist nicht der Präsident aller Amerikaner:innen, er wurde vielmehr gewählt, um als Anführer der MAGA-Bewegung in ihrem Sinne die USA umzugestalten und umzubauen. Die Vereinigten Staaten wurden abgewickelt und sollten fortan auf ihn, den „Commander in Chief“, ausgerichtet werden. Mit einer Geschwindigkeit, die niemand erwartet hatte, wurden wichtige Ministerien, Behörden und Schaltzentralen des Staates auf Kurs gebracht. Wer nicht für ihn ist, ist gegen ihn und muss gehen. Kritiker:innen, politische Gegner:innen, Andersdenkende werden beschimpft, verunglimpft, niedergemacht. Wichtige Programme in der Außenpolitik und im Inneren wurden einfach als „woke“ bezeichnet, ausgesetzt, finanziell ausgetrocknet. Er brachte Gefolgsleute in Positionen, die nicht durch ihr Fachwissen überzeugten, sondern damit, dass sie für Trump durchs Feuer gehen würden – 100 Prozent MAGA, wie es Trump verlangte. Seine Kabinettssitzungen sind zu huldvollen Veranstaltungen des „Führers“ geworden, die eher an Nordkorea oder Russland erinnern.
Angst und Ohnmacht
Nach nur neun Monaten haben sich die USA zu Trump-Country gewandelt. Jeder Bereich in der amerikanischen Gesellschaft wird mittlerweile von Trump kontrolliert. Ganz gezielt hat er Fördermittel für Bildungseinrichtungen, Medien und die vielseitige Kulturlandschaft unter seine Kontrolle gebracht. Umwelt- und Klimaschutz wurde abgeschafft, der Klimawandel als Hirngespinst abgetan. Er bestimmt nun, was amerikanisch, was patriotisch, was förderwürdig ist. Es gibt „Trump Accounts“ für Neugeborene und nun soll auch eine Ein-Dollar-Münze mit Trumps Konterfei in Umlauf gebracht werden. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis Trumps Kopf auch am Mount Rushmore in den Fels geschlagen wird.
Im ganzen Land herrschen Angst und Ohnmacht, mittlerweile nicht mehr nur bei jenen, die gegen Trump votierten. Auch viele Republikaner:innen merken, dass sie mit ihrer Unterstützung für Trump die Büchse der Pandora geöffnet haben, denn das Beschneiden von Rechten, von Freiheiten, die Abschaffung und Aussetzung wichtiger Programme trifft auch sie. So etwas habe ich in diesen fast 30 Jahren in den USA noch nie erlebt. Dieses Gefühl ist allgegenwärtig: wie eine Gefahr langsam näherkommt, sich um den eigenen Hals legt wie eine Schlinge, die sich langsam zuzieht. Nicht nur ich denke bei all dem, was gerade in den USA passiert an das, was ich über die Anfangsjahre des Dritten Reiches gelesen und von meinen Eltern und Großeltern gehört habe. In einem Gespräch über genau dieses Thema mit einer lokalen Politikerin in Oakland, die ich seit langem kenne und schätze, meinte diese, sie könne nun verstehen, was in Deutschland 1933 geschehen ist. Sie hoffe nur, dass wir hier drüben noch rechtzeitig die Kurve kriegen. Ich bin mir da nicht mehr sicher.
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Infos und Quellen
Genese
Arndt Peltner lebt seit 1996 in Oakland, Kalifornien, arbeitet seitdem als freier Korrespondent für zahlreiche Print- und Hörfunkmedien in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Für seine Reportagen und Berichte aus den USA wurde er mehrfach ausgezeichnet. Er hat diesen Artikel geschrieben, um seine langjährigen Erfahrungen als Korrespondent, aber auch als in den USA lebender Bürger zu verarbeiten.
Daten und Fakten
- George W. Bush, Politiker der Republikanischen Partei in den USA, war von 2001 bis 2009 US-Präsident.
- Die Tea-Party-Bewegung in den USA entstand 2009 und war eine rechtspopulistische Protestbewegung gegen US-Präsident Barack Obama von den Demokrat:innen. Die Tea Party war ideologisch in weiten Teilen auf der Linie Donald Trumps und ebnete den Weg für den jetzigen US-Präsidenten.
- 2003 griffen die USA mit Verbündeten den Irak an, in der irrigen Annahme, dass der dortige Machthaber Saddam Hussein über Massenvernichtungswaffen verfüge.
- Wer in den USA bei den Republikaner:innen und Demokrat:innen für die Präsidentschaft kandidieren will, muss sich erst in einem langwierigen Auswahlverfahren gegen Konkurrent:innen durchsetzen.
- Adolf Hitler kam mit seiner NSDAP 1933 in Deutschland nach demokratischen Wahlen an die Macht. Er wurde von seinen Gegner:innen zunächst massiv unterschätzt und baute Deutschland in kürzester Zeit in einen totalitären Führerstaat um.
Das Thema in der WZ
- USA, mon amour. I hate you.
- Trumps schwarze Listen
- Trump und die Ursachen einer rätselhaften Strahlkraft
Das Thema in anderen Medien
- Der Standard: Es gibt viele Hindernisse auf dem Weg zur Trump-Diktatur
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