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Wie heiß ist zu heiß, um zu leben?

7 Min
Der Zeitpunkt, an dem die Sonne für das menschliche Leben auf der Erde unerträglich wird, scheint angesichts extrem heißer Sommertemperaturen nicht mehr wie Science Fiction.
© Bildquelle: NASA

Die Sommertemperaturen steigen. Wo liegt die Obergrenze, um als junge, gesunde Erwachsene noch überleben zu können? Und wie können wir uns schützen?


Die Sonne brennt mit tödlicher Kraft vom Himmel. Wer tagsüber hinaus geht, geht zugrunde. Der Alltag der Menschen spielt sich nur nachts ab, denn erst mit der Dämmerung sind sie außer Lebensgefahr. Das ist die Situation in dem 1993 erschienenen Science Fiction-Film „Halbe Welt“ des österreichischen Regisseurs Florian Flicker (1965-2014).

Flickers Idee hatte etwas Prophetisches. Denn der Zeitpunkt, an dem die Sonne für das menschliche Leben auf der Erde unerträglich wird, scheint angesichts extrem heißer Sommer immer weniger wie Science Fiction. Extremhitze ereignet sich derzeit auf dramatische Weise in Form von Waldbränden auf der griechischen Insel Rhodos. Auch in Süditalien herrschen seit mehreren Wochen Temperaturen von einer Höhe, die die Menschen kritisch belastet, und in Österreich war es von 8. Juli bis 25. Juli ungewöhnlich heiß.

Die Hitze betrifft uns alle

Die Hitze betrifft uns alle. Im Jahr 2022 lag die Durchschnittstemperatur um rund 2,3 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau (um 1750 startete die Industrielle Revolution). Das ist im Jahresbericht des europäischen Erdbeobachtungsprogramms Copernicus und der Weltorganisation für Meteorologie nachzulesen. Aus den Daten geht auch hervor, dass Europa der sich am schnellsten erwärmende Kontinent ist. Doch ab wann ist es für Menschen zu heiß, um zu leben? Wie hoch müssen die Temperaturen in unseren Breiten steigen, damit gesunde Erwachsene nicht mehr oder nur noch unter strengen Vorkehrungen existieren können? Und was tut sich im Körper beim Hitzetod?

Mehr als 61.000 Todesfälle, die der Hitze zuzuschreiben waren, wurden im Sommer 2022 in Europa gezählt, dem heißesten Sommer auf dem Kontinent seit Aufzeichnungsbeginn. Die meisten Hitzeopfer hatte Italien (18.010) zu beklagen, gefolgt von Spanien (11.324) und Deutschland (8.173). In Österreich erlagen 419 Personen der Hitze. Das berichtete das Barcelona-Institut für globale Gesundheit kürzlich im Fachjournal „Nature Medicine“.

Auch für August warnt die Weltgesundheitsorganisation WHO, sich nicht unvorbereitet hohen Temperaturen auszusetzen. Man sollte sein Zuhause kühl halten. Wer keine Klimaanlage hat, sollte tagsüber die Fenster geschlossen lassen und die Jalousien herunterrollen oder die Vorhänge zuziehen. Mittags sollte man das Haus möglichst nicht verlassen sowie den Körper kühlen, indem man leichte, lockere Kleidung trägt und - wenn geht -, öfter kalt duscht oder zumindest kaltes Wasser über die Handgelenke rinnen lässt sowie genug Wasser trinkt.

Schwitzen kühlt den Körper

Der Körper hat einen eigenen, sehr effektiven Kühlmechanismus - wir können schwitzen. Dabei verwandelt sich flüssiger Schweiß in einen gasförmigen Zustand, nämlich Wasserdampf. Die Verdampfung entzieht der Haut Wärme, sie wird vermehrt durchblutet und das kühlere Blut fließt zurück zum Körperkern, der zentrale Organe mit hohem Energieumsatz beherbergt.

Der Körperkern mit den inneren Organen Herz, Leber, Niere und Gehirn wird weitgehend konstant auf rund 37 Grad Celsius gehalten. Wenn die Organe zu heiß würden, könnten notwendige Abbauprozesse und Körperfunktionen nicht aufrechterhalten werden. Der Mensch käme binnen kürzester Zeit in eine lebensbedrohliche Lage. Bei besonders warmem Wetter hilft Schweiß, die Köpertemperatur konstant zu halten, er ist also ein Lebensretter. Der Mensch kann das Schwitzen sogar trainieren, etwa wenn er gezwungen ist, über eine gewisse Dauer regelmäßig starke Wärme zu ertragen. Und manche trainieren sogar freiwillig. Die Sauna hält das Herz-Kreislaufsystem fit, aktiviert den Stoffwechsel und hält die Schweißdrüsen in Schuss.

Dass wir schwitzen, bemerken wir allerdings oft nicht. Wir haben kein Empfindungsvermögen, wie viel Wasser wir bei großer Hitze verlieren. Nur wenn wir sehr viel Wasser trinken, aber trotzdem keinen Harndrang verspüren, wundern wir uns vielleicht manchmal, warum das so ist. Wenn wir zu wenig trinken, können sich Kopfschmerzen, Kraftlosigkeit und Schwindelgefühle einstellen.

Der Mensch stirbt an Hitze, wenn der Organismus eine Körpertemperatur von 43 Grad erreicht
Hanns-Christian Gunga

Die Naturkonstante der sechs Grad

Ab welcher Temperaturgrenze ist es für uns Menschen zu spät? „Wissenschaftliche Studien legen nahe, dass es eine biologische Grenze von sechs Grad sowohl nach oben als auch nach unten gibt. Der Mensch stirbt, wenn der Organismus eine Körpertemperatur von 43 Grad am oberen Ende und 31 Grad am unteren Ende des Spektrums erreicht“, sagt Hanns-Christian Gunga, Professor am Institut für Physiologie des Zentrums für Weltraummedizin und Extreme Umwelten der Charité in Berlin: „In diesem Temperaturfenster kann ein Organismus offenbar existieren, das scheint die Überlebenstoleranz des Körpers zu sein. Die Vergleiche mit Fischen und Säugetieren in Studien legen nahe, dass es sich um eine Naturkonstante handeln könnte.“

Der Experte geht davon aus, dass diese Vorgänge im Körper auf einen lebenserhaltenden Mechanismus zurückzuführen sind, der sich Intermediärstoffwechsel nennt. In diesem Prozess, bei dem Substanzen zwischen den Zellen ausgetauscht werden, darf kein Schritt, darf keine Funktion ausfallen, sonst funktioniert das System nicht mehr. „Das ist so wie beim Auto: Wenn ein Ersatzteil im Motor fehlt, läuft die ganze Kiste nicht“, sagt Gunga. „Deshalb kann auch ein Gesunder an Hitzeexposition sterben“, warnt der Physiologe.

Hitze schädigt Eiweiße im Körper

Aus diesem Grund achtet das autonome Nervensystem akribisch darauf, die Körpertemperatur zu halten. Es regelt die Abläufe im Körper, die sich nicht willentlich steuern lassen, wie die Atmung, den Herzschlag, den Stoffwechsel und eben die Körpertemperatur.

Eine zweite physiologische Theorie lautet, dass Eiweiße im Körper bei zu großer Hitze ihre Struktur verändern und dadruch ihren Funktionen nicht mehr nachkommen können, was die Zellen und den Stoffwechselkreislauf im Gesamten schädigt. In jedem Fall scheint also klar: Die Aufrechterhaltung der Temperatur im Körperkern ist ganz entscheidend.

Was im Sommer als warmer pannonischer Wind über Wien fegt, kann heißen Temperaturen ihre empfundenen Spitzen ein wenig nehmen. Denn trockene Hitze ist leichter zu ertragen als heiße Feuchtigkeit.

38 Grad bei trockener Luft mit einer Brise fühlen sich eben an wie 38 Grad. Bei starker Luftfeuchtigkeit wird daraus brütende Schwüle. „Da sind Sie akut von extremer Wärmebelastung, die mit einem Kreislaufkollaps einher gehen kann, bedroht, und laufen Gefahr, einen Hitzeschlag zu bekommen”, sagt Gunga: „38 Grad und 50 Prozent Luftfeuchtigkeit fühlen sich an wie etwa 55 Grad - 38 Grad bei 90 Prozent Luftfeuchtigkeit ist jedoch nicht mehr mit dem Leben vereinbar. Da müssten alle Alarmglocken schrillen, wenn dann noch ein Marathon oder andere Großveranstaltungen unter freiem Himmel auf dem Programm stehen.“

Heißeste, feuchteste Orte der Welt

Es hängt also von der Kombination von Lufttemperatur, Luftfeuchtigkeit und Windgeschwindigkeit ab, wie lange die Hitze für den Menschen auszuhalten ist. Wenn sie mit Feuchtigkeit zusammentrifft und Windstille herrscht, kann es gefährlich werden. Die gefühlte Temperatur nennt sich Kühlgrenztemperatur. Sie ist eine Kennzahl unter Klimaforschern, die entsteht, wenn man all diese Faktoren nach einer bestimmten Formel aufaddiert. Die Grenze des Erträglichen liegt bei 35: Ab einer Kühlgrenztemperatur von 35 Grad Celsius ist für Säugetiere kein Leben mehr möglich.

Die bisher höchsten Kühlgrenztemperaturen wurden in den Vereinigten Arabischen Emiraten gemessen. Rekordhalter ist Ras Al Khaimah mit 36,3 Grad, gefolgt von Jacobabad in Pakistan mit 36,2 Grad. Jacobabad in der Provinz Sindh gehört zu den heißesten Orten der Welt. Am 14. Mai 2022 wurden dort Höchsttemperaturen von 51 Grad gemessen, die mit einer Kühlgrenztemperatur von 33 Grad einhergingen. In Sibi in der angrenzenden Provinz Belutschistan war es an diesem Tag zwar um rund drei Grad weniger heiß, aber feuchter, weshalb die sie Richtung Spitze auf über 34 Grad stieg.

In Österreich ist es kühler

Zum Vergleich: In Österreich gab es bisher kaum Kühlgrenz-Temperaturwerte von mehr als 25 Grad. Am heißesten Tag des Jahres 2021 etwa stieg sie in Neusiedl am See im Burgenland auf maximal 24,5 Grad, bei einer Lufttemperatur von 35 Grad Celsius.

Allerdings steigt bei einem ungünstigen Zusammentreffen von Hitze und Feuchtigkeit die Bedrohung für Leib und Leben nicht linear, sondern exponentiell. Sämtliche Einflussfaktoren, die die Körpertemperatur durcheinanderbringen, verstärken einander dann. Wenn Schweiß nicht verdampft, sondern heruntertropft, kann er uns nicht mehr kühlen. Sobald er an der Haut klebt, ist er unwirksam. Bei hundertprozentiger Luftfeuchtigkeit wird ein Kühlungseffekt unmöglich – es kommt zum Kreislaufkollaps.

Bei einem Kreislaufkollaps fließt ein zu hohes Blutvolumen in die Haut, diese kann die entstehende Wärme nicht mehr abgeben und man fällt in Ohnmacht. Wenn es in der Folge dann noch zu einer Störung des Temperatur-Regulationssystems im Gehirn kommt, wird es lebensgefährlich, denn in zehn bis 15 Prozent der Fälle endet das tödlich.

Die Evolution hilft uns Menschen nicht

Die Annahme, dass Menschen in Ländern südlich der Sahara sich im Laufe der Jahrmillionen so angepasst haben, dass sie weitaus höhere Temperaturen aushalten als Menschen aus dem Norden, sei jedoch ein Irrglaube. „Jeder Mensch auf der Welt muss seine 37 Grad halten, in den südlichsten Breiten wie in Nordeuropa. Allerdings ist man im Süden sie so klug, kaum das Haus zu verlassen, wenn es dafür zu heiß ist. Menschen in Afrikas Süden schwitzen besser und mehr als wir und die Schweißzusammensetzung ist anders. Bei extremer Hitzebelastung kollabieren sie daher weniger schnell als jemand, der gar nicht daran angepasst ist”, erklärt Gunga. „Doch das heißt nicht, dass sich die Grenzen der maximalen Körpertemperatur erhöhen lassen.“

Allerdings ortet die Wissenschaft gewisse Entwicklungen der Evolution, die es erleichtern, die Körpertemperatur zu halten. Etwa prägen manche Tiere größere Ohren oder Flügel oder auch längere Beine als ihre Verwandten im Norden aus, weil sich diese Extremitäten besser kühlen lassen. Als Beispiel nennt die australische Deakin University im Fachmagazin „Trends in Ecology and Evolution” den Wüstenfuchs und seinen Cousin, den Polarfuchs. Während ersterer übermäßig große Ohrmuscheln besitzt, hat der Artenvertreter im Norden kleine Ohren und einen dicken Pelz.

Viele Vogelarten wiederum tendieren mit der Erwärmung zum kleineren Körper, berichtet ein Team anhand einer Überblicksstudie mit 104 Vogelarten in Nord- und Südamerika. Im Zeitraum von einem halben Jahrhundert wurden weniger Nachkommen und kleinere Populationen bei mehr als der Hälfte der Arten gezählt.

Möglicherweise gibt es in einer fernen Zukunft auch kleinere Menschen mit Flatterohren. Davor könnten aber ganze Bevölkerungen im Süden gezwungen sein, ihren Lebensraum zu verlassen. Dann könnte es sein, dass wir tatsächlich in einer „halben Welt” leben im Sinne dessen, was David Bröderbauer in seinem gleichnamigem Roman nahelegt: Nicht der halbe Tag, sondern nur die Hälfte des Erdballs ist bewohnbar.


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Infos und Quellen

Genese

Da die Sommer immer heißer zu werden scheinen und Maßnahmen gegen den Klimawandel nur zögerlich unternommen werden, stellte sich WZ-Wissenschaftsredakteurin Eva Stanzl die Frage, wie lange wir Menschen immer höhere Temperaturen überhaupt aushalten können. Zugegeben war die versteckte Hoffnung, dass wenigstens unsere eigene Perspektive im Klimawandel uns zum Handeln aufrütteln könnte.

Gesprächspartner

Hanns-Christian Gunga, Zentrum für Weltraummedizin und Extreme Umwelten der Charité–Universitätsmedizin Berlin

Quellen

Das Thema in anderen Medien