)
Politikfrust, Bildungslücken und Fake News: Das Vertrauen der Jungen in demokratische Institutionen sinkt. Die WZ war zu Besuch in einem Workshop, der dagegen arbeitet.
Sophie runzelt die Stirn. „Jetzt gerade ist es schwierig“, sagt die 18-jährige Schülerin. Sie meint damit die politische Lage in Österreich. Am Vortag sind die blau-schwarzen Regierungsverhandlungen geplatzt. Sophie steht mit ihren Mitschülerinnen Franziska (17) und Lena (18) in ihrem Klassenzimmer im Bundesgymnasium Rein in der Steiermark. Der Raum befindet sich im sogenannten Kutscherturm des weltältesten Zisterzienserstifts, in dem die Schule angesiedelt ist. Die Steinwände sind grob weiß verputzt, dunkelbraune Holzbalken stützen die Decke.
- Mehr für dich: War Bosnien-Herzegowina eine österreichische Kolonie?
Normalerweise, sagen die Schüler:innen der 8A, sprechen sie hier „nicht so viel“ über Politik. Aber an diesem Donnerstag steht gleich nach der Vorbereitungsstunde für die Mathe-Matura ein Workshop auf dem Stundenplan: „Demokratie, Medien und Geschlechterkompetenz“. Also ist auch das aktuelle Geschehen rund um FPÖ, ÖVP, SPÖ und Co Thema. „Jeder ist verwirrt“, sagt Franziska. „Ich mein, wann haben wir gewählt? Vor sechs Monaten? Es ist aufwühlend und so eine Ungewissheit.“ Lena nickt. „Dabei geht es ja um unsere Zukunft.“
Das Vertrauen der Jungen in politische, demokratische Institutionen sinkt. Nicht einmal die Hälfte der 16- bis 26-Jährigen in Österreich (44 Prozent) findet, dass das heimische politische System gut funktioniert. Das zeigt der aktuelle „Demokratie Monitor 2024“, durchgeführt vom Sozialforschungsinstitut Foresight im Auftrag des Parlaments. 2018 waren es noch 69 Prozent.
„Im Unterricht machen wir nicht so viel dazu“
Die Demokratie an sich sehen 90 Prozent der Jungen aber als die beste Staatsform an. Seitdem in vielen Ländern weltweit Populist:innen, Rechtsextreme und Demokratiegegner:innen an die Macht streben, in Österreich die FPÖ bei der Nationalratswahl im September siegte und ein Kanzler Herbert Kickl im Raum stand, ist der Begriff Demokratie wieder vermehrt in den Schlagzeilen. Von einer Staatsform in Gefahr ist oft die Rede.
In Workshops wie jenem der 8A sollen junge Menschen lernen, Demokratie und Medien zu verstehen. „Sehr hilfreich“, findet das Sophie. Weil: „Im Unterricht machen wir nicht so viel dazu.“
In der Klasse ist es jetzt still. Keiner der jungen Menschen im Raum traut sich zu, die Frage zu beantworten, die die Workshopleiter Alexander Moschitz (34) und Canan Jamnigg (23) gestellt haben: „Welche Demokratieform haben wir in Österreich?“ Moschitz und Jamnigg arbeiten für den Verein für Männer- und Geschlechterthemen, er wird unter anderem vom Land und vom Innenministerium gefördert (siehe Infos & Quellen). Der 34-Jährige und die 23-Jährige geben den Schüler:innen kurz Zeit, dann erklären sie. Sie lassen die Jugendlichen selbst wählen, welche Staatsform sie für ihren Workshop anwenden wollen. Um Regeln zu bestimmen, etwa wann Pause gemacht wird. Aufgezeigt und abgestimmt: Es wird die direkte Demokratie. Mit mindestens einer Zwei-Drittel-Mehrheit, „wie im Nationalrat bei Verfassungsgesetzen“, weiß Patric (17).
Von der direkten Demokratie würden sich die Schüler:innen auch in der Realität mehr wünschen. Denn von der Politik gesehen fühlen sie sich nicht. Sie vermissen Themen, die sie betreffen. „Das System Schule sollte neu gedacht werden. Wie lang haben wir schon denselben Lehrplan?“, sind sich zum Beispiel Sophie und Franziska einig.
Die Frage nach der Repräsentation in der Politik beschäftigt die Jungen häufig, weiß Lena Schoissengeyer vom Demokratiezentrum Wien. „Ich höre oft: Warum sehen die Menschen im Nationalrat nicht aus wie ich? Komm ich da überhaupt vor? Und könnt ich das auch machen?“
Jeder Siebte weiß nicht, was Holocaust ist: „Sehr traurig“
Patric fasst es zusammen: „Mein Politikinteresse ist so stark, wie stark es mich betrifft.“ Der 17-Jährige macht sich Sorgen. Er habe mitbekommen, wie US-Präsident Donald Trump Bundesbehörden angewiesen hat, alle Büros und Stellen für Diversität und Inklusion zu schließen und wie Mitarbeiter:innen sich gegenseitig überwachen sollen. „Das hat schon was von Nationalsozialismus.“ Er und die anderen Achtklässler:innen haben auch von der Studie der Jewish Claims Conference gehört. Sie zeigt, dass jeder siebte junge Mensch heutzutage nichts mehr mit dem Begriff Holocaust anfangen kann. „Sehr traurig“, kommentiert Sophie. Sie könne sich schon vorstellen, dass das Thema in manchen Schulen zu kurz komme.
Im Vergleich zu den USA und Trump finden Patric, Sophie, Jakob, Franziska und Lena, dass die FPÖ in Österreich ähnliche, demokratiefeindliche Tendenzen habe. „Ich hab es schon schockierend gefunden, wie gut die FPÖ überall, aber gerade auch in der Steiermark bei den Wahlen abgeschnitten hat“, sagt Sophie. Seit Dezember sitzt FPÖ-Landeshauptmann Mario Kunasek an der Spitze der steirischen Landesregierung. „Man weiß nicht, was kommt, aber wahrscheinlich wird es schon schlechter“, vermutet Franziska. „Auch was die Frauenpolitik angeht“, fügt sie hinzu. Sie habe gehört, dass die FPÖ der Meinung sei, dass Abtreibungen verhindert werden sollten.
Keine Demokratiebildung ohne Medienbildung
Im Workshop wollen Alexander Moschitz und Canan Jamnigg die Schüler:innen „durch das Aushandeln unterschiedlicher Positionen, Meinungen und Interessen für demokratische Prozesse sensibilisieren“. Für den nächsten Teil stehen die Achtklässler:innen auf. Sie sollen sich, je nachdem, ob sie die folgenden Fragen mit „Ja“ oder „Nein“ beantworten, entweder in die eine oder die andere Ecke des Raums stellen. „Wer weiß, was Feminismus ist?“ Bis auf drei Schüler:innen stellen sich alle in die „Ja-Ecke“. „Und wer weiß, was ein Algorithmus ist?“ Die Klasse teilt sich ungefähr in der Hälfte.
Demokratie, Medien und Geschlechterthemen, das hängt alles zusammen, betont Moschitz. Soziale Medien sind für junge Menschen Informationsquelle Nummer eins. Dort wimmelt es von Desinformationen. Doch nur 44 Prozent der Teenager erkennen Fake News, zeigte zuletzt eine Sonderauswertung der PISA-Studie. Und gerade jungen Männern spült der Algorithmus oftmals extreme, antifeministische und antidemokratische Inhalte aufs Handy.
Während die Schüler:innen in den Workshop vertieft sind, schaut Klassenvorständin Yvonne zu. „Grundsätzlich sind mir alle diese Themen ein ganz großes Anliegen“, betont sie. Im Lauf des Workshops sagt die Lehrerin dann ein paarmal zu sich selbst: „Vielleicht hätten wir davon mehr im Unterricht machen sollen.“
„Wunderwuzzi von Lehrer gibt es nicht“
Lena Schoissengeyer vom Demokratiezentrum weiß, dass in Sachen Demokratie- und Medienbildung „viel den Lehrkräften überlassen wird“. Sie selbst hat für ein Jahr an einer Schule unterrichtet. Im österreichischen Bildungssystem wird politische Bildung als eines von zehn Unterrichtsprinzipien genannt, neben Medienbildung und Sexualpädagogik etwa. Diese Prinzipien sollen fächerübergreifend in den Unterricht einfließen, erklärt Politologe Peter Filzmaier. „Zum Beispiel, dass man in Mathematik Wahlarithmetik berechnet. In der Theorie sind Unterrichtsprinzipien das Beste überhaupt. Aber in der Praxis gibt es Luft nach oben. Den Wunderwuzzi von Lehrer gibt es nicht, der das alles mitdenken kann.“
Filzmaier spricht sich für ein eigenes Unterrichtsfach zu politischer Bildung aus. Und plädiert für mehr Fokus auf Soziale Medien: „Das hat man sehr lang ein bisschen verschlafen.“ Gleichzeitig betont er, dass Politik- und Medienbildung umfassender gedacht werden müssten. Nicht nur in der Schule, auch in der freien Jugendarbeit, im Chor, im Sportverein oder bei der Freiwilligen Feuerwehr.
In ganz Österreich gibt es je nach Bundesland, je nach Gemeinde, mehr oder weniger Bildungsangebote zum Thema. Für den Raum Wien weiß Schoissengeyer aus einer aktuellen Studie der Arbeiterkammer: „Es gibt sehr viele Angebote, aber es werden oft Personen erreicht, die eh schon engagiert sind.“ Umso wichtiger sei der niederschwellige Zugang. „Es muss auf die Bedürfnisse von jungen Menschen geschaut werden: Wo halten sie sich auf, wann könnten sie zu einem Bildungsangebot kommen, können sie vielleicht ihre Geschwister mitnehmen?“
Förderung unsicher
Oftmals sind die bestehenden Angebote vom Land oder vom Bund gefördert. Gerade hängen deshalb Institutionen in der Luft. Der Verein für Männer- und Geschlechterthemen in der Steiermark weiß etwa noch nicht, ob manche Projekte weiterhin finanziell unterstützt werden. Von der steirischen, blau-schwarzen Landesregierung heißt es gegenüber der WZ, dass man der Politik-, Demokratie- und Medienbildung einen hohen Stellenwert einräume. Man strebe einmal im Jahr einen Jugendlandtag an. Organisationen, Fachstellen und Vereine sollen „je nach Aufgabenbereich weiterhin finanziell unterstützt werden“. Die „genaue budgetäre Ausgestaltung“ sei aktuell Teil von laufenden Budgetverhandlungen. Österreichweit ist fraglich, wie es die zukünftige Bundesregierung mit Demokratie-, Politik- und Medienbildung halten will. Filzmaier fordert: „Die Bildung muss dezentral sichergestellt werden, egal mit welcher Regierung.“
In der 8A ist die nächste Workshop-Übung angebrochen. Die Schüler:innen entwerfen in Gruppen und auf weißen großen Plakaten ihre eigenen utopischen Planeten. Demokratie spielt auf allen eine Rolle. Auch eine Grundversorgung und ein Recht auf Wohnen schreiben die Jugendlichen auf. Die Gruppe von Patric ist sich schnell sicher: Sie wollen eine Expert:innenregierung.
Dir hat dieser Beitrag besonders gut gefallen, dir ist ein Fehler aufgefallen oder du hast Hinweise für uns - sag uns deine Meinung unter feedback@wienerzeitung.at. Willst du uns helfen, unser gesamtes Produkt besser zu machen? Dann melde dich hier an.
Infos und Quellen
Genese
WZ-Autorin Anna Stockhammer sind in letzter Zeit immer mehr Schlagzeilen zum Thema Demokratie und Umfragen zum Politikverständnis von jungen Menschen untergekommen. Also hat sie sich gefragt, wie man den Jungen beibringen kann, Demokratie, Politik und Medien zu verstehen.
Gesprächspartner:innen
Sophie, Franziska, Lena, Patric, Jakob und Diana sind Schüler:innen des Bundesgymnasiums Rein in der Steiermark.
Alexander Moschitz und Canan Jamnigg leiten für den Verein für Männer- und Geschlechterthemen Workshops und arbeiten bei Projekten mit.
Peter Filzmaier ist Politologe. Er ist Professor für Politikwissenschaft an den Universitäten Graz und Krems sowie Leiter des Instituts für Strategieanalysen (ISA) in Wien.
Lena Schoissengeyer ist als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Demokratiezentrum Wien tätig.
Daten und Fakten
Junge Menschen weisen in Österreich ein „mittelmäßiges bis mäßiges“ Politikinteresse auf, weiß Politologe Peter Filzmaier. Das Interesse sei nicht weniger groß als bei Erwachsenen. Filzmaier sieht auch in der Erwachsenenbildung Nachholbedarf in den Bereichen Demokratie- und politische Bildung.
Das Projekt „Demokratie, Medien und Geschlechterkompetenz“ wird vom Land Steiermark gefördert. Der Verein für Männer- und Geschlechterthemen wird unter anderem vom Innenministerium, vom Land Steiermark und von der Stadt Graz (mit)finanziert. Mehr dazu hier
Eine Auswahl an Workshops und Angeboten in Österreich:
Mitmischen im Landhaus (Steiermark)
Digitaler Kompass, Institut für Nachrichtenkompetenz und digitale Bildung
Demokratiezentrum Wien, unabhängige wissenschaftliche Einrichtung mit Aufgaben in der Demokratieforschung und der Demokratiebildung
Lie Detectors, hilft Kindern und Jugendlichen manipulative Informationen besser zu erkennen und einzuschätzen
Zentrum polis ist die zentrale Serviceeinrichtung zur Politischen Bildung in der Schule.
Erinnern:at, vom OeAD, Österreichs Agentur für Bildung und Internationalisierung, durchgeführtes Programm zum Lehren und Lernen über Nationalsozialismus und Holocaust.
Quellen
Parlament: Demokratie Monitor 2024
Arbeiterkammer: Studie “Mehr zusammenbringen” von der AK Wien
Claimscon: Studie zum Thema Holocaust
Das Thema in der WZ
Das Thema in anderen Medien
Der Standard: Warum Jugendliche so wenig über die NS-Zeit und den Holocaust wissen
ORF Dok1: Demokratie in Gefahr
ORF: Studie: Junge verlieren Vertrauen in Politik