Mediziner, Unternehmer, Förderer und Miterfinder der mRNA-Impfung gegen Covid-19: Biotech-Pionier Christoph Huber über die Zutaten für Erfolg in der Wissenschaft und den Umgang mit Krebs in Zukunft.
Was würden Sie einem jungen Menschen, der heute in die Wissenschaft gehen will, empfehlen?
Jungen Menschen würde ich empfehlen, die Augen offen zu halten, sich gute Mentorinnen und Mentoren an einem ordentlichen Standort zu suchen, und dann zu schauen, ob man seine Leidenschaft findet, und was passiert.
Und was ist zu beachten, wenn man eine Erfindung auf den Markt bringen will? Wie hält man durch?
Indem man mutigerer ist als der Durchschnitt, an seine Sendung bedingungslos glaubt und wirklich gut ist. Diese Fähigkeiten, die in den Universitäten nicht gut verankert sind, sind die Voraussetzung - plus Unternehmertum, Herstellungskompetenz, Finanzierungskompetenz und regulatorische Kompetenz in der Zulassung.
Welches Mindset benötigt man für Erfolg in der Wissenschaft?
Es hat etwas mit Kühnheit, Glauben an die eigene Kraft und der eigenen Leidenschaft zu tun. Sie müssen im Prinzip springen, bevor Sie genau wissen, wo Sie aufkommen. Mein Freund und Partner Uğur Şahin (Miterfinder der mRNA-Impfung gegen Covid-19, Anm.), der professioneller Fußballer war, sagt immer: Du musst sein, wo der Ball landet, bevor er gespielt wird.
Wie steht es um diese Haltung in Europa?
Die europäische Kultur ist risikoavers und neigt zur Doppelbödigkeit: Ein bisschen Forschungstransfer neben einer sicheren Position in einem anderen Bereich ist die Regel. Die amerikanische Mentalität ist das Gegenteil: Dort gibt es, wenn man untergeht, eine zweite Chance, was in Europa nicht so leicht ist. Es müsste sich also die Einstellung der hiesigen Gesellschaft ändern.
Warum sind Universitäten in Österreich, einem der reichsten und lebenswertesten Länder der Welt, in den Hochschul-Rankings nicht unter den besten zehn gereiht?
Ich habe Ende der 1980er-Jahre Österreich beruflich verlassen und bin erst vor Kurzem zurückgekehrt. Es haben sich Welten zum Guten verändert. An der Medizin-Universität Wien etwa wird konsequent und mit vielen Teilerfolgen versucht, Exzellenz zu fördern und Strukturen zu schaffen, mit großem finanziellem Einsatz, um den Medizin- und Forschungstransfer zu begünstigen. Auch die Schwächen der europäischen Unis im Forschungstransfer werden durch Professionalisierung deutlich besser gelöst, man versucht, internationale Größe zu erreichen und hohe Ziele anzustreben. Was es aber politisch braucht, ist die Erkenntnis, dass Forschungsfreundlichkeit nur durch Bildung verbessert werden kann, und dass mehr Risikokapital nötig ist, um den Übergang von staatlich geförderter Grundlagenforschung an den Unis zum Unternehmertum zu schaffen. In den USA etwa gibt es vier- bis siebenmal so viel Risikokapital pro Kopf wie in Europa, denn ohne fällt die Skalierung nach oben schwer. Die Folge ist, dass Innovation mit einer immer schnelleren Geschwindigkeit aus Europa abströmt, obwohl hier die Mehrzahl der Innovationspatente generiert wird. Und die europäische Haltung, Kapital als böse zu empfinden, hilft da nicht weiter.
Sie beschäftigen sich seit mehr als 40 Jahren mit dem Kampf gegen Krebs. Die Krankheit war früher ein Todesurteil, heute können einige Formen geheilt werden. Werden 20- oder 30-Jährige künftig keinen Krebs mehr bekommen?
Die Menschheit wird nie völlig vor Krebs geschützt sein. Aber es wird weniger Todesfälle geben. Krebserkrankungen werden von zum Teil akuten, rasch tötenden in chronische Krankheiten umgewandelt werden, mit denen man gut leben kann. Heute 20- oder 30-Jährige werden außerdem die Vorbeugung besser im Griff haben, was entscheidend ist. Gesundheitsausbildung muss schon früh unterstützt werden, so wie wir gelernt haben, die Zähne zu putzen, um Karies hintan zu halten.
Kann man also davon ausgehen, dass die heutige Jugend im Alter von 60 oder 70 nicht mehr an Krebs sterben wird?
Die medizinischen Fortschritte sind gewaltig, aber es ist unwahrscheinlich, dass man jede Krebsart durch Vorbeugung oder erfolgreiche Behandlung wird heilen können. Krebs wird die Menschheit begleiten, weil er ein Strukturfehler in der Evolution ist. Die Erbmasse und ihre Integrität sind in der Evolution nicht auf Lebensspannen von 90 Jahren getrimmt.
Manche Forscher sind immerhin der Ansicht, dass künftig mehr Menschen 120 Jahre alt werden könnten.
Die Menschen haben durch Beobachtung und Klugheit gelernt, Krankheiten vorzubeugen, daher werden sie älter. Außerdem lernen wir, wie wir mit nicht ursächlich behandelbaren Erkrankungen besser umgehen können. Personen am Ende ihres Leidenswegs zu begleiten, ihnen Schmerzen zu nehmen und ihre Familien dabei zu unterstützen, einen gemeinsamen Weg zu finden, ist genauso wichtig wie die Behandlung. Wir können beginnen, wieder über den Tod zu sprechen.
Wie bitte?
Es war besonders schmerzhaft im gesellschaftlichen Umgang mit Leid und Tod, dass man im Lauf des 20. Jahrhunderts begonnen hat, diese Lebensphasen in Institutionen zu verlagern und zu tabuisieren. Man war viele Jahrzehnte lang sogar der Ansicht, Krebskranken dürfe man nicht sagen, dass sie sterben müssen. Man hat auch den Kindern gesagt, sie dürften schwerkranke Verwandte nicht besuchen. Die Gesellschaft braucht aber den Blick auf Leid, sie braucht Barmherzigkeit. Das Schlimmste ist nicht der Tod, sondern es sind Schmerzen und das Fehlen von Geborgenheit.
Krebszellen können von der körpereigenen Abwehr erkannt und bekämpft werden.Christoph Huber
Zurück zum Fortschritt: Wo stehen wir in der Krebsforschung?
Ich habe 1968 promoviert, als keine einzige bösartige Erkrankung gut behandelbar, geschweige denn heilbar war. Seither konnte die Ursache von Krebs aufgeklärt werden: Erbmasse kann mutieren und durch eine Akkumulation verschiedener Mutationen kann bösartiges Wachstum entstehen. Der zweite Augenöffner war, dass Krebszellen mit Medikamenten, die andere Körperzellen nur wenig schädigen, zurückgedrängt werden können. Und drittens können Krebszellen von der körpereigenen Abwehr erkannt und effektiv bekämpft werden.
Sie sind ein Pionier der Immuntherapie gegen Krebs, mit der man einige Hautkrebsarten gut behandeln kann. Wie funktioniert das eigentlich?
Sowohl die Killerzellen als auch die Antikörper der Immunabwehr können den Krebs verdrängen. Es ist bei manchen Formen wie bei einem Bürgerkrieg zwischen der körpereigenen Abwehr und dem mutationsgetriebenen Wachstum der Tumore. In der Regel gewinnt die Immunabwehr.
Der gefürchtete Krebs, dem wir uns alle im Grunde ausgeliefert fühlen, ist die Ausnahme?
An sich leben Krebszellen mit dem Wirtsorganismus in Koexistenz. Sie nehmen Nahrung, Wachstumsfaktoren und andere Komponenten vom Wirt auf. Der Wirt versucht, die Tumorzellen loszuwerden, und der Tumor versucht, sich zu schützen, indem er Immunvorgänge unterdrückt. Meistens gewinnen die Immunvorgänge. Die Krebserkrankungen, die wir sehen, sind eine winzig kleine Minderheit.
Warum entschieden Sie sich für das Fachgebiet der Onkologie und im Speziellen Immuntherapie, die damals noch niemand kannte?
Erstens ist einer meiner Freunde und Studienkollegen innerhalb von drei Wochen an einer akuten Leukämie verstorben – vor unseren Augen war er tot. Zweitens habe ich schon mit 20 Jahren eigene Forschungsprojekte betrieben, die sich damit befassten, wie man Abwehrzellen in Zellkulturen zum Wachstum bringt. Eher durch Zufall habe ich entdeckt, dass sich Abwehrzellen im Blut von Patienten mit bösartigen Erkrankungen vermehrt teilen. Ich wollte wissen, was sie dazu bringt. Daraus wurde später eine Suche nach Tumor-assoziierten Antigenen und ihrer Beschaffenheit und daraus ein Portfolio an Patenten in einem von mir gegründeten Sonderforschungsbereich zur Tumor-Abwehr mit 20 Gruppen. Es wurden dort die Grundlagen für tumorspezifische therapeutische Antikörper und Impfstrategien gelegt, die die Basis für zahlreiche Firmen schufen. Eine ist Biontech, die auch die Corona-Impfung entwickelt hat.
Das in Mainz ansässige Biotech-Unternehmen Biontech, das sie 2008 mit Uğur Şahin und Özlem Türeci gegründet haben, rettete mit der mRNA-Impfung gegen Covid-19 einige Millionen Menschenleben und machte dabei Milliardenumsätze. Sie sind nicht nur Mediziner mit 500 Fachpublikationen, sondern auch Manager, Berater, Unternehmer und Investor. Wie schafft man einen solchen Serienerfolg in der Forschung?
Die Basis dafür lässt sich nur schaffen, indem man Firmen gründet und auf spezifische Produkte fokussiert, die mit großem Fremdkapital verwirklicht werden. Anders kann man den Weg zwischen staatlich finanzierter Grundlagenforschung und anwendungsgetriebener Kommerzialisierung nicht gehen. Im Mittel braucht man zehn bis zwanzig Jahre und eine bis drei Milliarden Euro. Die kriegt man nicht man vom Staat und auch nicht von großen Pharmafirmen, denn die kaufen erst, wenn der klinische Wirknachweis vorhanden und die Nebenwirkungsarmut bewiesen ist. Das ist der Flaschenhals.
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Infos und Quellen
Genese
Für die Keynote Speech zum Symposium ,,Starke Forschung, starker Standort" der Wirtschaftskammer Österreich reiste Biotech-Pionier Christoph Huber von Innsbruck nach Wien. Die WZ nutzte die Gelegenheit, ihn kennenzulernen.
Gesprächspartner
Christoph Huber, geboren am 14. Februar 1944 in Wien, ist Hämatologe, Onkologe und Immunologe mit den Forschungsschwerpunkten Tumor-Abwehr und Stammzelltransplantation. Von 1990 bis zu seiner Emeritierung 2009 war er Direktor der III. Medizinischen Klinik und Poliklinik an der Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Huber ist einer der Gründer und Mitglied des Aufsichtsrats des deutschen Biotech-Unternehmens Biontech.
Christoph Huber studierte von 1962 bis 1968 Medizin an der Universität Innsbruck, verbrachte seine Ausbildung zum Facharzt für Innere Medizin in Innsbruck von 1968 bis 1974 und schloss 1976 mit der Habilitation ab. 1986 wurde er an der Uni Innsbruck zum Professor für Klinische Immunbiologie ernannt. 1990 wurde er zum Leiter der III. Medizinischen Klinik der Universitätsmedizin in der deutschen Stadt Mainz berufen, wo er ein internationales Forschungs- und Versorgungszentrum für Hämatologie, Onkologie und Stammzelltransplantation aufbaute.
Zur klinischen Umsetzung seiner Forschungsarbeiten gründete Huber im Jahr 2008 mit Uğur Şahin, Özlem Türeci und weiteren Partnern und Finanzinvestoren die Pharmafirma Biontech. Aus dem Spezialanbieter von personalisierten Krebsimmuntherapeutika ging die Impfung gegen Covid-19 hervor.
2021 wurde er in den Unirat der Medizinischen Universität Wien berufen. Christoph Huber wohnt in Innsbruck und ist Autor von mehr als 200 wissenschaftlichen Publikationen.
Daten und Fakten
Die Firma Biontech wurde 2008 mit Sitz in der deutschen Stadt Mainz gegründet und ist ein seit Ende 2019 börsennotiertes deutsches Biotechnologieunternehmen. Es hat sich auf die Entwicklung und Herstellung von aktiven Immuntherapien für einen patientenspezifischen Ansatz zur Behandlung von Krebs und anderen schweren Erkrankungen sowie Coronavorsorge fokussiert. Die Schwerpunkte von Biontech liegen in der Erforschung von Medikamenten auf mRNA-Basis. Diese kommen für den Einsatz als individualisierte Krebsimmuntherapie und als Impfstoffe gegen Infektionskrankheiten in Frage. Ab Anfang 2020 entwickelte Biontech den Impfstoff BNT162b2 gegen das Coronavirus Sars-CoV-2, der vom US-Pharmaunternehmen Pfizer für den weltweiten Bedarf konfektioniert wird.
Die Immuntherapie gegen Krebs ist zu einer wichtigen Säule bei der Behandlung bestimmter Krebsarten geworden. Sie soll die körpereigene Immunabwehr unterstützen oder gezielt aktivieren, um Tumore anzugreifen. Der Begriff „Immuntherapie“ fasst verschiedene Ansätze zusammen, die heute zur Behandlung von Lungenkrebs, schwarzem Hautkrebs (Melanom), Brustkrebs oder Darmkrebs zugelassen sind.