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Wien-Wahl: Immer weniger Wiener:innen entscheiden

4 Min
Georg Renner schreibt jede Woche einen sachpolitischen Newsletter. Am Samstag könnt ihr den Beitrag online nachlesen.
© Fotocredit: Georg Renner

Warum immer weniger Menschen über die Politik einer Stadt mit immer mehr Einwohner:innen abstimmen.


Die Bundeshauptstadt Wien wählt am 27. April. Konkret besetzt sie einerseits ihren Landtag bzw. Gemeinderat neu – Wien ist bekanntlich Land und Gemeinde gleichzeitig, ihr Parlament ist daher beides in Personalunion –, andererseits auch die 23 Bezirksvertretungen, die über lokale Themen entscheiden.

Das ist ein guter Anlass, noch einmal die Ausgangslage Revue passieren zu lassen:

Die Gemeinderatswahl am 11. Oktober 2020 hat unter besonderen Bedingungen stattgefunden. Das bezieht sich gar nicht so sehr auf die Corona-Pandemie, die die Republik damals voll in ihrem Griff hatte, sondern auf den historischen Absturz der Freiheitlichen. Mehr als ein Jahr nach dem Ibiza-Skandal und den darauffolgenden internen Spesen-Querelen verlor die FPÖ 23,7 Prozentpunkte gegenüber ihrem Rekordergebnis von 2015 und stürzte damit vom zweiten auf den letzten Platz der Rathausparteien ab.

Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass die FPÖ diese Scharte nun zumindest teilweise wieder ausmerzen kann – die Umfragen sehen sie inzwischen wieder klar über 20 Prozent.

An dieser Stelle eine Einladung: Mit den Kolleg:innen vom TikTok-Channel der WZ werde ich am Wahlabend das Ergebnis wieder live einordnen – schau gern vorbei auf @wz_auf_tiktok.

Entwicklung der Wahlberechtigten

Während die parteipolitischen und inhaltlichen Fragen spannend sind, möchte ich deine Aufmerksamkeit aber noch auf ein anderes interessantes Thema lenken – eines, das keine eindeutige, klare Antwort hat, aber von Jahr zu Jahr präsenter wird: Dass nämlich ein immer kleinerer Anteil der Bewohner:innen Wiens über die Politik der Stadt entscheidet.

Man sieht das gut, wenn man sich die Zahl der Wahlberechtigten zur Gemeinderatswahl anschaut (der dunklere Teil der Grafik):

Wir sehen, dass die Zahl der Wahlberechtigten zum Gemeinderat in Wien 2020 mit 1,14 Millionen Menschen ihren Höhepunkt erreicht hat – seither sinkt sie wieder leicht, diesmal dürfen nur noch 1,11 Millionen Wiener:innen ihren Gemeinderat wählen. Das für sich ist ähnlich wie im Bund, wo ich diesen Effekt vor der Nationalratswahl beschrieben habe.

Was steigt, ist die Zahl der insgesamt Wahlberechtigten – denn EU-Staatsbürger:innen in Wien dürfen bei der Bezirksvertretungswahl mitstimmen, nicht aber bei der wichtigeren Gemeinderatswahl. Das liegt daran, dass der Bund in der Verfassung vorgibt, dass bei Wahlen in Bund und Ländern nur Staatsbürger:innen mitentscheiden dürfen, bei Gemeinde- oder Bezirkswahlen eben auch EU-Bürger:innen.

Die Grafik oben zeigt den bemerkenswerten Zuwachs an Menschen aus der EU, die in den vergangenen 20 Jahren nach Wien gezogen sind: Waren 2001 gerade 25.000 Menschen aus den Mitgliedstaaten wahlberechtigt, sind es heute zehnmal so viele.

Aber beim Gemeinderat ist die Schere zwischen Wahlberechtigten und der Einwohner:innenzahl Wiens inzwischen sperrangelweit offen:

Während Wien vor Kurzem die Zwei-Millionen-Einwohner:innen-Marke geknackt hat, stagniert die Zahl der Wahlberechtigten seit Jahrzehnten. Und wenn die Stadt – wie prognostiziert – weiter wächst, wird sich dieser Trend fortsetzen.

Wenn man das als Problem sieht, dass der Anteil jener, die politisch mitbestimmen können, langfristig sinkt, muss man auch sagen: Schnelle Lösungen dafür gibt es nicht. Für eine Verfassungsänderung im Bund – etwa in Richtung eines Ausländer:innenwahlrechts – gibt es keine Mehrheit, und weite Teile der Bevölkerung und Politik finden, dass das Wählen eben Österreicher:innen vorbehalten bleiben sollte.

Andererseits ist – wie vor Kurzem beschrieben – auch kein Ansturm auf die österreichische Staatsbürgerschaft in Sicht, der den Zuwander:innen das Wahlrecht bringen würde. Auf absehbare Zeit werden also immer weniger Wiener:innen über die Politik einer Stadt mit immer mehr Einwohner:innen entscheiden.

Zum Beispiel am 27. April.


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Infos und Quellen

Genese

Innenpolitik-Journalist Georg Renner erklärt einmal in der Woche in seinem Newsletter die Zusammenhänge der österreichischen Politik. Gründlich, verständlich und bis ins Detail. Der Newsletter erscheint immer am Donnerstag, ihr könnt ihn hier abonnieren. Renner liebt Statistiken und Studien, parlamentarische Anfragebeantwortungen und Ministerratsvorträge, Gesetzes- und Verordnungstexte.

Quellen

APA: APA-Wahltrend

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