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Hat Wien zu wenig Polizist:innen?

6 Min
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© Fotocredit: Georg Renner

Bürgermeister Ludwig will mehr Polizei in der Bundeshauptstadt und bringt auch eine eigene Stadtpolizei ins Spiel. Wie realistisch ist das?


Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) hat einen bemerkenswerten Vorschlag gemacht: In Reaktion auf eine Häufung gewalttätiger Zwischenfälle in der Bundeshauptstadt regt er in der Presse nicht nur an, doch bitte mehr Polizist:innen nach Wien zu schicken (das zählt zum Standardrepertoire aller Landeshauptleute) − er stellt sogar in den Raum, die Stadt würde die Polizei gern selbst übernehmen.

Das ist auf mehreren Ebenen interessant. Fangen wir mit der aktuellen verfassungsrechtlichen Umgebung an. Im Gegensatz zu den meisten Angelegenheiten der Verwaltung, für die auch der Bund auf die Bezirke, also Landes- bzw. Gemeindebehörden, zurückgreift – die „mittelbare Bundesverwaltung“ – , kümmert er sich um Sicherheitsangelegenheiten direkt. Der/die Innenminister:in ist oberste Sicherheitsbehörde der Republik, die Landespolizeidirektionen sind ihm unmittelbar unterstellt.

Das ist ein anderes Modell als zum Beispiel in Deutschland oder in den USA, wo die Bundesländer jeweils eigene Polizeibehörden haben und die Bundespolizei sie nur „ergänzt“. In Österreich gibt es grundsätzlich eine Polizei für die ganze Republik, finanziert aus dem Bundesbudget, die Landeshaupleute haben nur ein Mitspracherecht bei der Bestellung „ihrer“ Landespolizeidirektor:innen, aber keine direkte Mitbestimmung in der Polizei.
Grundsätzlich. Tatsächlich haben aber die meisten Gemeinden das Recht, zusätzlich eigene bewaffnete und uniformierte „Wachkörper“ aufzustellen, die ebenfalls polizeiliche Maßnahmen wahrnehmen – in Abstimmung mit der Bundespolizei. Recht häufig sind solche Gemeindewachen nicht, aber eine Handvoll gibt es – die Gemeinde Baden beispielsweise ist recht stolz auf ihre „Stadtpolizei“, die sie eigenen Angaben nach – oddly specific - zur „sichersten Stadt über 20.000 Einwohner“ macht.

Diese Möglichkeit hat Wien nicht: Gemeinden, in denen die Landespolizeidirektion ansässig und Sicherheitsbehörde ist, ist es nach Artikel 78d Absatz 2 des Bundes-Verfassungsgesetzes nämlich untersagt, eigene Wachkörper aufzustellen.

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Innenpolitik-Journalist Georg Renner über Österreichs Politiklandschaft.

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Das war nicht immer so und geht natürlich auf Wien zurück. In den jungen Jahren der Republik, als sich Sozialisten und Christdemokraten unversöhnlich gegenüberstanden, nach dem Justizpalastbrand 1927, entschied der Wiener Gemeinderat, eine eigene Truppe aufzustellen, um „dem Blutvergießen ein Ende zu machen, Ruhe und Ordnung auf den Straßen Wiens wiederherzustellen“, wie es Bürgermeister Karl Seitz (S) 1927 formulierte. Die auf 2.000 Mann ausgelegte „Gemeindeschutzwache“ rekrutierte sich aus dem Republikanischen Schutzbund, dem bewaffneten Arm der Sozialisten und Pendant der schwarzen Heimwehr.

Das wiederum war der christlich-sozialen Bundesregierung unter Ignaz Seipel nicht recht – in der großen Verfassungsnovelle 1929, die die Republik im Wesentlichen in ihre heutige Form gebracht hat, fand daher das oben erwähnte Verbot eigener Wachkörper Eingang – mit dem Ziel, den sozialistisch regierten Großstädten die Möglichkeit zu nehmen, bewaffnete, dem Bürgermeister unterstellte Truppen aufzustellen.

Und so ist es bis heute. Wollte Wien also tatsächlich die Polizei ganz übernehmen oder auch nur eine eigene Truppe aufbauen, um die Bundespolizei zu ergänzen, müsste dafür zuallererst die Bundesverfassung geändert werden.

Und dann ist da noch die Kostenfrage. Ganz genau lässt sich natürlich nicht sagen, wie viel Geld die Wiener:innen in die Hand nehmen müssten, um sich ihre Polizei selbst aufzustellen – sie würde das ja eben anders machen wollen als der Bund, also wahrscheinlich würde der Aufwand höher sein als bisher.

Aber wir können uns an den aktuellen Kosten orientieren. In der Untergliederung „Landespolizeidirektionen“ des Bundesbudgets 2024 werden wir fündig:

Renner
© Screenshot

Erwarteten Einnahmen von rund 40 Millionen Euro (großteils aus Geldstrafen) stehen Aufwendungen von 767 Millionen Euro gegenüber – der Großteil, 668 Millionen Euro, sind Personalkosten. Bleiben unterm Strich Kosten von 726 Millionen Euro, die der Bund 2024 für die Landespolizeidirektion Wien in die Hand genommen hat.

Die Stadt Wien plant unterdessen heuer mit einem Budget von 19,8 Milliarden Euro – und einem Minus von 2,2 Milliarden. Milchmädchen/-burschenmäßig im Überschlag gerechnet, würden die Ausgaben der Stadt also durch die Übernahme der Bundespolizei um fast vier Prozent steigen – noch ohne irgendwelche Anpassungen wie mehr Personal oder einen neuen Overhead im Rathaus. (Auf der anderen Seite würde man, wollte das tatsächlich irgendwer, wahrscheinlich auch Geld für die neue Landespolizei via Finanzausgleich bereitstellen – wenn man schon die Verfassung ändert, würde man das wohl praktisch gleich miterledigen.)

Aber ist das wirklich nötig? Nun, die Frage, wann eine Stadt „genug“ Polizei hat, ist tatsächlich nicht so einfach zu beantworten. Ludwig argumentiert in der Presse, Wien müsse mit 25 Prozent des polizeilichen Personals in Österreich rund zwei Drittel aller Polizeieinsätze abdecken, die Polizei hier habe außerordentliche Belastungen wie ständige Demos.

Dem kann man schon etwas abgewinnen – auf der anderen Seite ist eine Stadt ein vergleichsweise effizienter Einsatzraum, weil die Beamt:innen weit geringere Distanzen zurücklegen müssen. Und bei Sondereinsätzen wie etwa den Akademikerballdemos werden wiederum Polizist:innen aus anderen Bundesländern nach Wien eingezogen.

Das soll uns aber nicht abhalten, einen Vergleich zu wagen. Den Personalstand der Landespolizeidirektionen fragen regelmäßig Oppositionsparteien beim Innenministerium ab – es ist ein beliebtes Wahlkampfthema – , zuletzt spezifisch für Wien SPÖ-Sicherheitssprecher Reinhold Einwallner, für ganz Österreich zuletzt FPÖ-Sicherheitssprecher Hannes Amesbauer und Neos-Abgeordnete Stephanie Krisper.

Wenn wir daraus nur die Exekutivbeamt:innen (in Vollzeitäquivalenten) herausnehmen (Stand 1. 1. 2023), ergibt sich folgendes Bild:

Wir sehen: Knapp ein Viertel der 28.300 Polizist:innen Österreichs schiebt in der LPD Wien Dienst. Wenn wir das in Relation zur Einwohner:innenzahl setzen, bekommen wir folgendes Bild der „Polizeidichte“:

Wie schon gesagt: Das ist nur eine Annäherung, der Bedarf nach Polizist:innen ist teils stimmungsgetrieben, teils von der jeweiligen Kriminalitäts- und Einsatzlage. Dass das Burgenland mit seiner Ostgrenze zum Beispiel relativ viele Beamt:innen hat, überrascht nicht, während Vorarlberg vergleichsweise wenige bekommt, aber trotzdem relativ sicher ist.

Am Ende ist die Frage, wie viele Beamt:innen wo eingesetzt werden, immer eine politische – und auch wenn ich nicht davon ausgehen würde, dass Wien in absehbarer Zeit eine eigene Polizei aufstellt, werden wir die nächsten Wochen und Monaten noch viel davon hören, wer wie viel mehr Polizist:innen fordert.


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Infos und Quellen

Genese

Innenpolitik-Journalist Georg Renner erklärt einmal in der Woche in seinem Newsletter die Zusammenhänge der österreichischen Politik. Gründlich, verständlich und bis ins Detail. Der Newsletter erscheint immer am Donnerstag, ihr könnt ihn hier abonnieren. Renner liebt Statistiken und Studien, parlamentarische Anfragebeantwortungen und Ministerratsvorträge, Gesetzes- und Verordnungstexte.

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