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Wir sind neutral – und müssen das nicht!

3 Min
WZ-Redakteur Mathias Ziegler und Trainee Laura Schatz beleuchten in dieser Kolumne alle zwei Wochen ein EU-Thema.
© Illustration: WZ / Katharina Wieser

Österreich darf militärische Hilfe von der EU erwarten. Selbst müsste es aber keine leisten.


    • Österreich ist seit 70 Jahren neutral, daran erinnert der Nationalfeiertag am 26. Oktober.
    • Im Krisenfall bekommt Österreich Hilfe von anderen EU-Staaten. Selbst müsste es diese nicht leisten.
    • Das Bundesheer konzentriert sich auf den Selbstschutz, beteiligt sich aber an internationalen Friedensmissionen mit EU- oder UN-Mandat.
    • Bei gemeinsamer EU-Militärbeschaffung wie dem Eurofighter arbeitet Österreich mit anderen Ländern zusammen, ist aber nicht dazu verpflichtet.
    • Österreich ist seit 26. Oktober 1955 neutral.
    • 1.000 Soldat:innen werden am Nationalfeiertag angelobt.
    • Österreich ist eines von vier neutralen EU-Mitgliedern. Die anderen sind Irland, Malta und Zypern.
    • Beteiligung an Friedensmissionen mit mehr als 700 Soldat:innen.
    Mehr dazu in den Infos & Quellen

Zwischenfälle mit Drohnen, Falschmeldungen durch Trollfabriken, Cyberangriffe: Russlands Krieg gegen die Ukraine spielt sich längst auch in der EU ab. Auch Österreich muss sich damit auseinandersetzen. Am Nationalfeiertag steht hierzulande das Bundesheer als Sicherheitsgarantie für unser Land im Mittelpunkt. Die traditionelle Leistungsschau auf dem Wiener Heldenplatz samt Angelobung von 1.000 Soldat:innen soll deutlich machen: Österreich ist eine wehrhafte Demokratie. Und: Seit genau 70 Jahren ist Österreich neutral. Das wurde nämlich am 26. Oktober 1955 beschlossen, einen Tag nach dem Abzug der letzten Besatzungstruppen. Und seit 1965 ist der 26. Oktober unser Nationalfeiertag.

Irische Klausel auch für Österreich

Als eines von vier neutralen EU-Mitgliedern (neben Irland, Malta und Zypern) nimmt Österreich eine Sonderstellung ein. Denn so wie alle 27 EU-Länder darf es sich auf Basis der EU-Verträge (Artikel 42 EUV und Artikel 222 AEUV) darauf verlassen, im Falle eines militärischen oder terroristischen Angriffs, einer Naturkatastrophe oder einer anderen Krise Hilfe von den anderen EU-Staaten zu bekommen. Umgekehrt jedoch kann Österreich dank der sogenannten Irischen Klausel (die für Irland eingeführt wurde, aber auch für Österreich gilt) selbst entscheiden, in welcher Form und in welchem Ausmaß es seinerseits anderen EU-Staaten Hilfe zukommen lässt.

Würde zum Beispiel Russland ein EU-Mitglied angreifen, dann wäre es eine rein politische Frage, ob und wie Österreich sich in diesen Konflikt einmischen würde. Letztlich ist es natürlich auch eine Frage der Kapazitäten, wie aus dem Bundesheer zu hören ist: „Käme es wirklich zu einem großen Krieg, wäre unsere wichtigste Aufgabe, uns selbst zu schützen.“ Und das ist Aufgabe genug für unser Bundesheer, selbst dann, wenn die Neutralität abgeschafft würde.

Österreich macht mit, wo es kann

Deshalb wird auch keine:r der 1.000 Rekrut:innen, die am Nationalfeiertag angelobt werden, in einer gemeinsamen EU-Armee kämpfen. Eine solche plant die EU derzeit nicht. Stattdessen will sie die 27 EU-Länder widerstandsfähiger machen und deren nationalstaatliche Armeen besser vernetzen. So wie es jetzt schon bei den EU-Battlegroups der Fall ist, die von verschiedenen Ländern beschickt werden.

Österreich zieht sich aber nicht immer auf seine unbeteiligte neutrale Position zurück. Schließlich kann man nicht nur Hilfe verlangen und selbst keine geben. Deshalb entsendet es oft genug diverse Spezialist:innen in Krisengebiete, arbeitet mit anderen Staaten etwa bei Terrorabwehr und Cybersicherheit zusammen und ist auch mit mehreren hundert Soldat:innen an Friedensmissionen von EU, UNO und NATO beteiligt. Voraussetzung dafür ist ein EU- oder UN-Mandat.

Gemeinsame Militärbeschaffung in der EU

Bei der von der EU forcierten gemeinsamen Beschaffung kann es Österreich genauso halten wie beim militärischen Beistand. Es kann, muss aber nicht gemeinsam mit den anderen EU-Staaten verschiedene Gerätschaften und Ausrüstungen fürs Bundesheer bestellen. Sinnvoll ist das aber schon, weil man bei Großbestellungen natürlich bessere Preise bekommt. Das prominenteste Symbol der gemeinsamen EU-Beschaffung wird am Nationalfeiertag zu sehen sein: der Eurofighter. Während viele andere EU-Länder darauf verzichtet haben, macht Österreich bei seinen Kampfjets gemeinsame Sache mit Deutschland, Italien und Spanien.

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Infos und Quellen

Daten und Fakten

Vor genau 70 Jahren, am 26. Oktober 1955, wurde die „immerwährende Neutralität“ Österreichs mittels Verfassungsgesetz beschlossen. Dadurch wurde eine Teilung in Ost und West (wie in Deutschland) vermieden. Weil einen Tag zuvor, am 25. Oktober, die letzten alliierten Besatzungstruppen abgezogen worden waren, wurde an diesem Datum bis 1964 ein „Tag der Fahne“ gefeiert. 1965 beschloss der Ministerrat, stattdessen am 26. Oktober – dem Datum der Neutralitätserklärung – den österreichischen Nationalfeiertag zu begehen. 1967 wurde dieser den übrigen gesetzlichen Feiertagen in Österreich gleichgestellt und ist seither arbeitsfrei.

Österreichs Neutralität bedeutet, dass es keinen militärischen Bündnissen beitreten wird, und dass fremde Staaten keine militärischen Stützpunkte auf seinem Gebiet errichten dürfen. Es darf auch keine Waffen an Konfliktparteien liefern und selbst nicht aktiv an Konflikten teilnehmen. In der Praxis wird die Neutralität allerdings so ausgelegt, dass ein völkerrechtswidrig angegriffener Staat sehr wohl mit Waffen versorgt werden darf. Und die Neutralität selbst könnte jederzeit mittels Zweidrittelmehrheit im Nationalrat abgeschafft werden, weil sie nicht Teil der Grundprinzipien der Bundesverfassung ist, wie es zum Beispiel beim demokratischen Prinzip der Fall ist.

In Artikel 42 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) heißt es: „Im Falle eines bewaffneten Angriffs auf das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats schulden die anderen Mitgliedstaaten ihm alle in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstützung, im Einklang mit Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen.“ Es folgt jedoch die von Irland eingebrachte Klausel, die auch Österreich betrifft: „Dies lässt den besonderen Charakter der Sicherheits- und Verteidigungspolitik bestimmter Mitgliedstaaten unberührt.“ Sprich: Die Neutralität sticht die Beistandspflicht aus.

Artikel 222 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU (AEUV) besagt: „Ist ein Mitgliedstaat von einem Terroranschlag, einer Naturkatastrophe oder einer vom Menschen verursachten Katastrophe betroffen, so leisten die anderen Mitgliedstaaten ihm auf Ersuchen seiner politischen Organe Unterstützung.“

23 der 27 EU-Staaten sind auch Mitglieder der Nato. Deren Vertrag besagt in Artikel 5: „Die Parteien vereinbaren, dass ein bewaffneter Angriff gegen eine oder mehrere von ihnen in Europa oder Nordamerika als ein Angriff gegen sie alle angesehen werden wird; sie vereinbaren daher, dass im Falle eines solchen bewaffneten Angriffs jede von ihnen (…) der Partei oder den Parteien, die angegriffen werden, Beistand leistet (…) einschließlich der Anwendung von Waffengewalt (…)“. Somit gilt für die meisten EU-Staaten eine doppelte Beistandspflicht.

Seit 2007 stehen jeweils zwei EU-Battlegroups als rasch mobilisierbare Krisenreaktionsteams mit je 1.500 bis 3.000 Soldat:innen für jeweils ein halbes Jahr bereit. Ihre Aufgaben reichen von humanitären Einsätzen wie Evakuierungen bis zur Friedenssicherung. Zusammengestellt werden sie von verschiedenen Staaten, auch von Österreich.

Österreich hat derzeit etwas mehr als 770 Soldat:innen im Auslandseinsatz für die UNO oder bei EU- oder OSZE-Missionen mit einem UN-Mandat und beteiligt sich an den EU-Battlegroups. Nur die Marine-Operation „Aspides“ zum Schutz des Seeweges im Roten Meer vor den Huthi-Rebellen ist eine reine EU-Operation. Hier allerdings schützt Österreich seine eigene Wirtschaft, denn eine Blockade dieses Seewegs könnte die Inflation im Land um 7 Prozentpunkte steigen lassen. Bei der Beitragsleistung zu EU-, UN- und Nato-Operationen im Bereich Krisenmanagement im Verhältnis zur Bevölkerungsgröße liegt Österreich auf Platz 9 von 27 EU-Staaten.

Der europäische Verteidigungsmarkt ist fragmentiert – das will die EU-Kommission ändern. Andrius Kubilius, seit 2024 der erste eigene EU-Kommissar für Verteidigung, will mit dem Plan „ReArm Europe“ (inzwischen in „Readiness 2030“ umbenannt) die Verteidigungsbereitschaft der EU-Staaten stärken. Dazu gehört auch die Steigerung der Produktion, die Erzielung von Größenvorteilen und die Förderung von Innovationen im Bereich der militärischen Beschaffung. Bis 2030 soll ein echter EU-weiter Markt mit harmonisierten Vorschriften geschaffen werden, um den Anteil der in Europa erzeugten Rüstungsgüter für den europäischen Bedarf zu erhöhen. Die EU-Staaten sollen gemeinsam bei Rüstungskonzernen einkaufen, damit sie erstens bessere Preise aushandeln können und zweitens ihre Waffensysteme kompatibel sind. Für die gemeinsame Rüstungsbeschaffung sollen bis zu 150 Milliarden Euro an Darlehen über den EU-Haushalt abgesichert werden, um besonders günstige Konditionen sicherzustellen. Das Ganze ist freiwillig – Österreich kann sich also aussuchen, ob es mitmachen möchte.

Quellen

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