Protestführerin Emilija Milenković über Belgrads Jugend, die nun aufsteht.
Eine der lautesten jungen Stimmen der aktuellen serbischen Proteste ist Emilija Milenković. Die 21-Jährige studiert Politikwissenschaft an der Universität Belgrad und ist Mitgründerin der Gruppe Borba (deutsch: „Kampf“, „Streit“). Milenković war eine der Redner:innen bei der bisher größten Kundgebung vom 30. Dezember, die sich gegen die mutmaßlich gefälschten Wahlen in Serbien richtete.
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Sie und Ihre Mitstreiter:innen protestieren seit 18. Dezember fast jeden Tag. Warum?
Die Wahlen (Parlaments- und Lokalwahlen, unter anderem in Belgrad, Anm.) vom 17. Dezember waren weder frei noch fair. Es gab jede Menge Unregelmäßigkeiten, das stellten auch internationale Wahlbeobachter fest. Es kann nicht sein, dass Tausende Leute aus Bosnien herangekarrt werden, um den Belgrader Bürgermeister zu wählen. Sogar Tote schienen auf Wählerlisten auf. Wir fordern Transparenz und Neuwahlen.
Sie sind schon länger in der Zivilgesellschaft aktiv.
Wir haben uns letzten Mai organisiert, als zwei Amokläufe in Serbien verübt wurden. Damals als „Studierende gegen Gewalt“, wir demonstrierten den ganzen Sommer lang. Nun haben wir uns umbenannt, denn wir sind nicht nur für Studierende da. Und unser Ziel ist nun ein anderes: Demokratie.
Werden die aktuellen Proteste überwiegend von Jungen getragen?
Vor allem von uns Studierenden, aber nicht nur. Wir teilen die Ziele auch mit der politischen Opposition, nicht aber die Herangehensweise. Die Parteien wollen vor allem institutionell vorgehen, eine Oppositionspolitikerin begann außerdem einen Hungerstreik (den sie nach zwei Wochen aus medizinischen Gründen beendete, Anm.). Wir sind von Parteien unabhängig und wollten uns von Anfang an etwas Eigenes einfallen lassen. Daher begannen wir, Straßen im Belgrader Regierungsviertel lahmzulegen. Wir konnten zwei Blockaden für sechs Stunden, eine weitere sogar für 24 Stunden aufrechterhalten. Das wollen wir fortsetzen, noch länger sogar. Wieder mit Zelten und Camps.
Am Abend des 24. Dezember ging die Polizei mit Schlagstöcken und Tränengas auf Demonstrierende los. Haben Sie das miterlebt?
Ja, es war brutal. Die Polizei eskalierte grundlos. Zwar gab es eine kleine Gruppe von Demonstrierenden, die ins Rathaus eindringen wollten. Zu diesem Zeitpunkt waren Polizisten im Gebäude, die niemanden hineinließen. Manche der Demonstrierenden wollten dann die Türen stürmen, die allermeisten aber blieben friedlich. Später begann die Polizei, das Areal rund um das Rathaus zu räumen und alle zu verprügeln, die ihnen im Weg standen. Auch die friedliche Mehrheit. Viele wurden verhaftet, wohl auf Geheiß der Regierung, um uns Angst zu machen.
Wurden die festgenommenen Studierenden mittlerweile freigelassen?
Es gibt kaum Informationen, aber soweit ich weiß, nicht. Manche stehen unter Hausarrest, andere warten noch auf ein Urteil. Vielen wird vorgeworfen, die „verfassungsmäßige Ordnung gestört“ zu haben. Das ist Unsinn. Auf dieses Delikt stehen jedoch bis zu fünfzehn Jahre Haft.
Sie fordern auch mehr Druck vonseiten der EU.
Den braucht es unbedingt. Alle internationalen Beobachter sagten, dass die Wahl nicht frei und fair war. Die europäischen Institutionen scheuen sich aber, das so direkt zu sagen. Immerhin haben viele Regierungen Vučić nicht zum Sieg gratuliert. Manchmal denke ich dennoch, dass wir allein sind. Dass uns niemand unterstützt, wenn sie uns angreifen und verhaften. Als das deutsche Außenministerium sinngemäß schrieb, die Wahlen seien nicht frei und fair abgelaufen, wurden eine Kollegin und ich als „deutsche Agenten“ bezeichnet. Damit will die Regierung die Kritik aus Deutschland verwässern.
Regierungsnahe Medien haben Sie zum Feindbild erklärt?
Ja, unsere Fotos sind überall (etwa Alo, 26.12.2023, Anm.). Sogar unsere privaten Daten und Ausweisfotos wurden von der Polizei an die Medien weitergegeben. Einen Freund von mir bezeichneten sie gar als Mitglied der Hamas.
Momentan ruht der Protest, am 7. Jänner feiert Serbien das orthodoxe Weihnachtsfest. Wie geht es danach weiter?
Wir werden weiterprotestieren. Womöglich am 13. Jänner, aber das ist noch nicht sicher. Bis jetzt hat sich fast alles auf Belgrad konzentriert. Wir wollen den Widerstand aber auf ganz Serbien ausweiten.
Könnte es nach der Weihnachtspause schwieriger werden, die Leute zu mobilisieren.
Ich denke nicht. Die Menschen sind wirklich wütend. Sie denken: Wenn wir das nicht jetzt lösen, werden wir nie ein demokratisches Land sein. Die freien Tage jetzt sind für manche wichtig, sich ein bisschen zu erholen – um dann aber wieder bereit für den Protest zu sein.
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Infos und Quellen
Genese
„Mein Name ist Emilia, mein Vater ist nicht der Präsident, meine Tante lebt nicht in Kanada und mein Bruder ist nicht der Direktor einer großen Firma“, sagte Emilija Milenković letzten Sommer. Die junge Politikstudentin war bereits eine wichtige Stimme bei „Serbien gegen Gewalt“-Großdemos im ganzen Land. Auch bei den jetzigen Protesten gegen die manipulierten Wahlen steht die 21-Jährige im Rampenlicht und wirkt bei der Organisation mit, auch wenn sie sich nicht als Anführerin sieht. Bei der aktuell größten Kundgebung am 30. Dezember sprach sie vor allem vielen Jungen aus der Seele. Viele Twenty-Somethings kennen gar kein Serbien ohne Aleksandar Vučić und seine regierende SNS. Milenkovićs Rede und der Kampfgeist, den sie seit Monaten beweist, waren für die WZ Anlass genug, sie um ein Interview kurz vor dem orthodoxen Weihnachtsfest zu bitten.
Gesprächspartnerin
Emilija Milenković, Mitgründerin der Gruppe Borba (deutsch: „Kampf“, „Streit“). Milenković war eine der Redner:innen bei der bisher größten Kundgebung vom 30. Dezember, die sich gegen die mutmaßlich gefälschten Wahlen in Serbien richtete.
Daten und Fakten
Seit 18. Dezember demonstrieren Tausende gegen die Wahlbehörden und die in Serbien regierende Partei SNS. Sowohl die Parlamentswahl als auch die Belgrader Kommunalwahl, beide am 17. Dezember abgehalten, entschied die SNS deutlich für sich. Wahlbeobachter:innen, unter anderem vom Europäischen Parlament und der OSZE, kritisieren jedoch schwere Mängel im Zusammenhang mit den Wählerlisten. Expert:innen zufolge seien etwa Tausende Wähler:innen aus Bosnien herangekarrt worden, um in Belgrad ihre Stimme abzugeben. Die Opposition will die Vorwürfe gesammelt vorlegen, die Regierung streitet bisher alle Unregelmäßigkeiten ab.
Quellen
OSZE: Mission to Serbia
Englischsprachige Nachrichten: Serbia Elects
Initiative ProGlas
Regierungsbündnis Serbia Must not Stop
Regierungspartei Serbische Fortschrittspartei
Oppositionsbündnis Serben gegen Gewalt
Größte Oppositionspartei Partei für Freiheit und Gerechtigkeit
Statement zu Wahl-Unregelmäßigkeiten: Europäische Kommission
Vorläufige Ergebnisse: OSZE-Bericht zur Wahl
Das Thema in anderen Medien
Die Presse: Tausende bei Kundgebung in Belgrad für Wahlwiederholung
Der Standard: In Serbien gehen nun auch Weihnachtsmänner gegen Vučić auf die Straße
Die Presse: Serbiens Schulterschluss mit Russland
Der Standard: Serbien wählt wieder eine Autokratie
Balkan Insight: Serbian Students Blockade Government Ministry, Protesting ’Election Theft’
Balkan Insight: Brussels Feels Only Relief Over Vucic’s Victory in Serbia
Politico: How the West lost the plot on Serbia