Marc Abrahams schreibt über Forschung, die die Menschen zuerst zum Lachen bringt und dann zum Nachdenken anregt. Warum Wissenschaft humorvoll ist, erzählt er der WZ.
Du hast Mathematik an der renommierten Universität Harvard studiert. Wie wird ein Mathematiker zum Wissenschaftsvermittler?
Ich mag Mathematik, sie ist interessant und für vieles nützlich. Aber ich liebe sie nicht und mag sie auch nicht genug, um sie täglich zu betreiben. Eigentlich habe ich alles, was ich heute beruflich tue, schon als Kind gemacht: Ich habe immer gern über witzige wissenschaftliche Dinge geschrieben.
Und dann?
Ich schickte ein paar Artikel an ein Magazin, um herauszufinden, ob man sie abdrucken würde. Der Herausgeber rief mich an und fragte, ob ich Chefredakteur werden wollte.
Das ging aber schnell. Was war das für ein Magazin?
Eine Grundregel der wissenschaftlichen Arbeit ist, dass Studien wiederholbar sein müssen, um sicherzugehen, dass das Ergebnis nicht dem Zufall geschuldet ist. Dieses Heft aber hieß „The Journal of Irreproducible Results“ (Das Journal der unwiederholbaren Experimente). Allerdings konnten die Forscher, die es gründeten, das Verlagswesen nicht leiden, also übernahm ich diese Aufgabe.
Eine Bilderbuch-Karriere?
Nicht wirklich. Das Heft war beliebt, aber völlig unterfinanziert. Ich startete daher ein neues Heft, „The Annals of Improbable Research“, kurz AIR (Jahrbücher unwahrscheinlicher Forschung). Darin wollen wir Menschen zuerst zum Lachen und dann zum Nachdenken bringen.
AIR berichtet über Studien, die ungewöhnliche, etwas schräge Ansätze verfolgen. Warum ist das lustig?
Weil dieser Zugang einen Überraschungseffekt hat und die erste Reaktion auf etwas Unerwartetes oft ein Lachen ist, bevor man in weiterer Folge darüber nachdenkt. Dann setzt sich das Thema im Kopf fest, du erzählst es deinen Freunden, es ist dir nicht mehr egal. Ich möchte in meinem Beruf Dinge finden, von denen man vielleicht nicht erwarten würde, dass sie einen interessieren könnten, die aber überraschend sind und dadurch interessant werden.
Was wären solche Themen?
Ein Forschungsteam hat einmal buchstäblich apples and oranges (im Deutschen Äpfel mit Birnen, Anm.) verglichen und die Struktur der Früchte mit Hilfe von Infrarotspektroskopie untersucht. Ein anderes hat sich mit der Frage befasst, warum Gähnen sozial ansteckend ist. Und eine ganze Ausgabe haben wir verschiedenen Aspekten der Unterschiede zwischen Männern und Frauen gewidmet.
Du bist der Mastermind der Ig-Nobelpreise. Wofür genau werden diese Auszeichnungen vergeben?
Mit den Ig-Nobelpreisen würdigt unser Magazin Forschungsansätze, die auf den ersten Blick abstrus erscheinen mögen, aber keineswegs trivial sind, und die erheitern. Zum Beispiel war uns die Erklärung, warum Glück für Erfolg wichtiger ist als Talent, einen Preis wert. Oder wir haben eine Forschungsarbeit ausgezeichnet, die belegt, warum Übergewicht von Politikern eines Landes tatsächlich ein guter Indikator dafür ist, wie viel Korruption es dort gibt.
Erreichst du mit Humor auch Nicht-Wissenschaftler:innen?
Witz, Humor und Komik sind ja schwer zu definieren, weil viele verschiedene Dinge für unterschiedliche Leute komisch sind, aber ich möchte am liebsten alle erreichen.
Und wenn jemand Überraschungen nicht mag?
Die allermeisten Menschen mögen zumindest manche Überraschungen. Immerhin gehen sie ins Kino, lesen Bücher oder schauen fern, und die wenigsten schauen sich immer den gleichen Film an.
Was ist Wissenschaftskommunikation und warum ist das wichtig?
Dieses Wort „wichtig“ ist eine echte Plage. Schrecklich viele Wissenschaftsberichte in Nachrichtenmedien wollen vermitteln, dass das, was man hier erfährt, sehr wichtig ist. Aber willst du wirklich gleich im ersten Satz darauf hingewiesen werden, dass etwas wichtig ist, du dich also tunlichst konzentrieren solltest? Dinge, die man vermitteln will, sollten die Leute neugierig machen, indem sie sie zum Denken anregen.
Wie geht das am besten?
Eine Möglichkeit ist, einfach eine Geschichte zu erzählen: So bleibt der Kaffee in der Kaffeekanne. Eine zweite Möglichkeit ist, dabei Fragen aufzuwerfen: Warum rinnen Kaffeemoleküle nicht durch Porzellanmoleküle? Wir haben übrigens auch Mathematikern, die erforscht haben, wie man eine nicht-tropfende Kaffeekanne konstruieren kann, einen Ig-Nobelpreis verliehen, weil die Mathematik dahinter äußerst kompliziert ist. Zwar lässt sich die perfekte, niemals tropfende Kanne wahrscheinlich nicht konstruieren, aber es wird weiter daran gearbeitet, denn eine schöne, aber tropfende Kaffeekanne braucht niemand.
Ihr ehrt also auch die Befassung mit praktisch-trivialen Problemen.
Jede wissenschaftliche Frage ist am Anfang trivial. Wir lernen in der Schule, was Forschende entdeckt haben, und dass das alle toll finden und alle heute einen Vorteil davon haben, den jeder von Beginn an verstanden hat. So passiert es aber nahezu nie. Viel öfter berichten Wissenschaftler davon, was sie am Anfang alles gemeint und versucht haben und warum das nicht funktioniert hat. Und selbst wenn etwas von Anfang an perfekt geklappt hat, war es anderen zunächst egal oder sie äußerten sich skeptisch. Aber wir lernen in der Schule trotzdem Geschichten über Sofort-Genies.
Zählen Wissenschaftler:innen zur humorvollen Sorte?
Absolut. Und das müssen sie auch, denn kaum ein anderer Beruf kennt so viel Scheitern. Manchmal hat man Glück, aber meistens geht eine Idee nicht auf. Schlimme Dinge passieren ständig, und wenn die Reaktion darauf Trauer und Hoffnungslosigkeit für den Rest des Lebens ist, dann ist das keine gute Art, sein Leben zu verbringen. Darüber lachen zu können, ist besser. Und man muss verstehen, dass, wenn eine Idee nicht aufgeht, man einfach andere, bessere Fragen stellen sollte. Das gehört zur Wissenschaft und zum Menschsein.
Zurück zur Wissenschaftskommunikation: Was wäre, wenn es sie nicht gäbe?
Wir wären ähnlich wie Hunde, die allen anderen Hunden auf der Welt eine neue Methode, Nahrung von nebenan zu stehlen, nicht im Detail erklären könnten.
Ist somit die Wissenschaftskommunikation für uns Menschen eine grundlegende Funktion des Fortschritts?
Menschen erklären einander, was sie entdeckt haben, Wissenschaftler tun dies mit methodischen Ansätzen und in größerem Detail. In der Welt der Wissenschaften gibt es allerdings ein Gefühl, dass manche Forschungen schwieriger, ernsthafter und heldenhafter sind als andere. Die Physik zum Beispiel steht ganz oben, weiter unten kommt in punkto Glaubwürdigkeit die Biologie und noch weiter unten das menschliche Verhalten. Alles, was man messen kann, gilt als genial und wertvoll. Die Gründe, warum Menschen sich verlieben, hält man hingegen zwar für interessant, aber für weniger wichtig und für keine geistige Höchstleistung. Das liegt auch daran, dass man sich in Physik oder Chemie ganz klar einigen kann, wovon die Rede ist: Die Tasse fällt zu Boden. Fragen wie was Liebe oder was Kunst oder was der Wert des Geldes ist, können hochkarätige Experten hingegen ewig diskutieren, ohne jemals sicher sein zu können, dass sie beide das gleiche meinen, denn man kann es nicht messen.
Wer bestimmt, was die Wahrheit ist?
In der Analyse der Wahrheit sind Schriftsteller oder Poeten wohl am besten.
Welche Rolle spielt die Vermittlung von Fakten für die Demokratie?
Es ist nicht immer klar, was die Fakten sind. Viele Dinge sind zugleich wahr und stehen miteinander in Konflikt. Wenn die einen eine Meinung haben, was die Fakten sind, und andere eine andere Meinung darüber haben, haben vielleicht beide recht, aber die Fakten sind nicht einer Meinung, sprich die beiden Faktenlagen stimmen nicht überein. Zugleich erzählen beide Seiten, dass genau sie im Besitz der Fakten sind und dass der jeweils andere lügt. Das führt nirgends hin.
Was ist die Lösung?
Wir können Fragen stellen. Alle Menschen können sich sehr wohl darüber einig sein, welche Fragen wichtig sind. Wenn sie zu den Fragen zurückkehren, anstatt einander laut schreiend die Antworten an den Kopf zu werfen, könnten viele Diskussionen in die richtige Richtung führen und es könnte sich etwas tun.
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Infos und Quellen
Genese
Marc Abrahams besuchte den 9. Wiener Ball der Wissenschaften Ende Jänner im Rathaus. WZ-Redakteurin Eva Stanzl interviewte ihn am Rande der ersten Wiener Ballvorlesung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und des Wissenschaftsballs, bei der Marc Abrahams über seine Arbeit referierte.
Gesprächspartner
Marc Abrahams schreibt über Forschung, die die Menschen zuerst zum Lachen und dann zum Nachdenken bringen soll. Er ist Herausgeber und Mitbegründer des Magazins The Annals of Improbable Research, kurz AIR (Jahrbücher unwahrscheinlicher Forschung) und Initiator und Zeremonienmeister der jährlichen Ig-Nobelpreis-Veranstaltung (vom Wort ignoble für unwürdig, unedel) für auf den ersten Blick absurd erscheinende Forschungsarbeiten, die aber keineswegs trivial sind. Marc Abrahams hat an der US-Spitzenuniversität Harvard Mathematik studiert, entschloss sich jedoch aus Liebe zum Schreiben und zu Forschungsfragen für eine Karriere als Autor, Medienherausgeber und Zeremonienmeister im Bereich Wissenschaftsvermittlung. Er schreibt außerdem eine Kolumne im populärwissenschaftlichen Fachmagazin ,New Scientist.
Daten und Fakten
Mit einer Portion Humor lässt sich das Schaffen von Wissen besser ertragen: Davon ist Marc Abrahams überzeugt. Immerhin gehorche der Beruf Wissenschaftler:in Murphys Gesetz: Alles, was schiefgehen kann, geht schief. Beim Testen neuer Flugzeugmotoren in der Wüste von Kalifornien in den 1940er-Jahren befestigte die US-Army für die Testfahrt mit einer Puppe eine Rakete auf einem Wagen. Alles lief wie geplant, aber die Messinstrumente zeigten nichts an: Überall lauter Nullen. Da niemand vor Ort die Elektronik reparieren konnte, wurde der Spezialist Captain Edward Murphy, ein Air-Force-Ingenieur, eingeflogen. Neue Versuche wurden gemacht, aber wieder lauter Nullen. Murphys Befund der Lage wurde, wie Abrahams berichtet, nicht notiert, daher kennt niemand den genauen Wortlaut, aber überliefert ist er so: „Wenn etwas schiefgehen kann, dann geht es schief.“
Ein paar Jahre später wurde medial über das Projekt berichtet und der spätere Testfahrer des Raketenfahrzeugs gefragt, woher er den Mut genommen hatte, viele Male mit dieser gefährlichen Fracht herumzufahren. Er gab an, Murphys Gesetz besonders aufmerksame Beachtung geschenkt zu haben. Diese Herangehensweise ist äußerst wichtig im Ingenieurswesen: Ob man Leitungen in die Mauer legt oder ein Raumschiff ins All schickt, muss man immer alles bedenken, was schiefgehen könnte, darf also niemals schlampig arbeiten, sonst könnte es teuer werden und vor allem katastrophal enden.
Für Murphys Gesetz wurden zwei Ig-Nobelpreise vergeben. Neben dessen Entdeckung selbst erhielt ein Team, das berechnete, warum das Brot immer auf die Butterseite fällt, die Auszeichnung. „Die Mathematiker baten Schulkinder, die an Tischen saßen, ihre Butterbrote fallen zu lassen. "Die Landung auf der Butterseite hat demnach mit der Höhe von Esstischen zu tun. Die Tischhöhe erlaubt ihm genau diesen Spin“, sagt Abrahams.
Quellen
The Annals of Improbable Research
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