Weniger, langsamere oder gar keine Spermien: Die Unfruchtbarkeit bei Männern stieg in den vergangenen 50 Jahren drastisch an. Die WZ zeigt auf, was hinter diesem Tabuthema steckt.
Ein Hamburger mit Pommes, danach ein wenig chillen bei einem Joint . . . und das wars eventuell mit dem Kinderwunsch. Zumindest vorerst für diesen Mann. Und natürlich nur, wenn Junk-Food, Joints oder Zigaretten zu seinem täglichen Lebensstil gehören. Er bastelt jedenfalls fleißig weiter mit seiner Partnerin – allerdings ohne Erfolg. Nach einem Jahr drängt sie ihn, eine Kinderwunschklinik aufzusuchen. Das Ergebnis: Er ist unfruchtbar, mit seiner Frau stimmt alles. Darüber reden will er nicht, das Angebot, zu einem Psychologen zu gehen, lehnt er ab. Er ist traurig, er zweifelt an seiner Männlichkeit. Wieso? Im Bett funktioniert doch alles?
Die Wissenschaft ist sich einig: Vor allem der Lebensstil wirkt sich negativ auf die Qualität der männlichen Spermien aus. Alkohol, Nikotin, schlechte Ernährung, Übergewicht und Stress sind Gift für gesunde Spermien. Dazu kommen Krankheiten im Kindesalter wie etwa Mumps oder überhaupt Infekte wie Corona oder auch lange Saunagänge, die zumindest kurzzeitig zu Unfruchtbarkeit führen können. Ein weiterer wichtiger negativer Einfluss sind Umweltöstrogene: In Weichmachern, Haarpflegemitteln oder Dünger gibt es Moleküle, die an Hormonrezeptoren in den Zellen andocken und so die Fruchtbarkeit stören können. Das gilt auch für Haschisch: „Die Spermien schwimmen dann ganz gemütlich vor sich hin und sind völlig gechillt. Die befruchten vermutlich nicht so leicht“, sagt die Reproduktionsmedizinerin Nicole Petrovits im Gespräch mit der WZ. Sie ist auch die ärztliche Leiterin des Kinderwunschzentrums der Privatklinik Goldenes Kreuz in Wien.
Es ist ein bisschen so, wie wenn jemand gestorben ist.Benedikt Schwan
„Erst vor einem Jahr kam eine Studie heraus, die besagt, dass in den letzten 50 Jahren die Unfruchtbarkeit bei Männern um 50 Prozent zugenommen hat“, sagt Petrovits. Verwunderlich ist das nicht. „Die Samenproduktion unterliegt dem täglichen Kontakt mit der Umwelt. Das Hodengewebe ist hochsensibel, es soll auch nicht zu heiß sein“, meint die Ärztin. 15 Prozent der Paare in Österreich haben mittlerweile Probleme damit, auf natürlichem Weg ein Kind zu zeugen, und nehmen medizinische Hilfe in Anspruch. Völlig zu Unrecht wird Unfruchtbarkeit immer noch weithin als weibliches Problem gesehen. Bei den Paaren, die sich in Österreich in Kinderwunschkliniken behandeln lassen, haben in einem Drittel der Fälle beide ein medizinisches Problem, ein Drittel liegt beim Mann, ein Drittel bei der Frau und zehn Prozent bleiben unklar.
Benedikt Schwan ist einer dieser Männer. Im Alter von 41 Jahren erfährt er, dass er unfruchtbar ist. Statt sich in seine Trauer zurückzuziehen, wählt er aufgrund seines Berufes einen anderen Weg: „Ich habe mich erstmal stark zurückgezogen, die Thematik quasi verdrängt, aber dann angefangen zu recherchieren“, sagt der langjährige Journalist im Gespräch mit der WZ. „Es ist ein bisschen so, wie wenn jemand gestorben ist und man immer wieder daran erinnert wird. Damit muss man irgendwie klarkommen.“ Da kam die Idee auf, daraus ein Buch zu machen, um tiefer in das Thema der männlichen Unfruchtbarkeit einzutauchen und „mich selbst zu therapieren“. Weshalb Mann nicht darüber spricht? „Es hängt stark damit zusammen, dass es um den Begriff der Männlichkeit geht, dass man das Gefühl hat, kein richtiger Mann mehr zu sein, wenn man unfruchtbar ist. Viele Leute verwechseln das auch mit Impotenz“, sagt Schwan.
Man(n) hält lieber den Mund.Benedikt Schwan
Dem schließt sich Petrovits an: „Wenn die Ursache bei den Männern liegt, dann nehmen sie es ganz schwer.“ Das müsse man ihnen vorsichtig, sehr schonend beibringen. „Weil sie immer noch glauben, dass das etwas mit ihrer Männlichkeit zu tun hat.“ Frauen seien da pragmatischer: „Da höre ich eher: Was kann man tun?“ Auch erlebte Petrovits einen Fall, bei dem der Mann aus der Tür hinausgelaufen ist, als er erfahren hatte, dass das Spermiogramm schlecht sei. Vielleicht aus Scham? Laut dem Journalisten Schwan stehen Männer unter einem gesellschaftlichen Druck, nämlich jenem, „zeugen und liefern zu müssen“. Wenn das nicht so funktioniert, wie es die Frau, die Eltern, das Umfeld erwartet, „hält man lieber den Mund“.
Wobei: Psychologische Hilfe gibt es, aber sie wird nicht angenommen. „Ich biete sie den Männern kaum noch an“, sagt Petrovits. Es sind eher die Frauen, die ihre Partner dann zu einer Paartherapie bringen, wenn sie die belastende Zeit einer künstlichen Befruchtung in einem Kinderwunschzentrum erleben.
Unfruchtbarkeit bedeutet nicht Impotenz.Monika Schmidt
Die Psychologin Monika Schmidt arbeitet seit Jahren mit diesen Paaren, Männer in Einzeltherapie sind eher selten. Warum haben auch heute noch viele Männer ein Problem, offen über dieses Thema zu sprechen? „Ich denke, die männliche Identität besteht nach wie vor zum Teil aus ,Kinder zeugen‘. Als ein Symbol der Männlichkeit. Obwohl ich schon merke, dass jüngere Paare aufgeklärter sind in den Rollenbildern.“ Es habe viel mit Missverständnissen zu tun, weil Unfruchtbarkeit sehr oft mit Impotenz gleichgesetzt werde, ist auch Schmidt überzeugt. Man dürfe aber nicht vergessen: Kinderwunsch ist ein sehr privates, intimes Thema, bei dem viele Paare unter einem enormen Leidensdruck stehen, sollte es nicht klappen wie geplant. Ihr Rat: „Ich glaube, je weniger die Frau das Thema als Schuldzuweisung sieht beziehungsweise offen mit dem Partner darüber redet, umso eher kann der Mann damit umgehen.“
„Viele Paare scheitern in ihrer Beziehung mit dieser Diagnose“, erzählt Autor Schwan. Er schätzt sich glücklich, „weil ich von meiner Frau komplett aufgefangen und unterstützt worden bin. Aber das ändert natürlich nichts an der Problematik.“ Für Schmidt und Schwan ist besonders wichtig: darüber sprechen. „Wir reden heutzutage über alles und ich finde, wenn man mit dieser Diagnose kämpft, sollte man sie nicht verdrängen, sondern offen darüber reden“, so Schwan. Eines bereut er jedoch: Er hätte sich schon viel früher mit dem Gedanken des Kinderwunsches auseinandersetzen sollen, denn in der Jugend stehen viele andere Möglichkeiten offen, wie etwa eine Adoption. Ärztin Petrovits geht mit ihrer Forderung zu diesem Thema sogar noch einen Schritt weiter: „Ich bin der Meinung, dass im Aufklärungsunterricht in der Schule Kinderwunsch besprochen werden sollte. Und nicht immer nur: Wie vermeide ich ein Kind? Beispielsweise könnte man sagen: Im jungen Erwachsenenalter überlegt euch, ob ihr euch einmal Kinder vorstellen könnt und lasst euch rechtzeitig untersuchen. Warum nicht?“