Zu dick ist frau immer, zu viel Platz einnehmen tut frau immer. Frauen machen es nie richtig.
Die Vanillekipferl wurden noch gar nicht zur Gänze verspeist und schon werden wir bombardiert mit Werbung für Fitnessstudios, Diätdrinks und Hometrainer. Ab jetzt müssen die Kalorien wieder gezählt werden und das Fett muss wieder weg und die sogenannte Bikini-Figur wieder her. (Weil wir, anstatt die Bikinis an die Körper anzupassen, die Körper an die Bikinis anpassen müssen.) Es muss geschwitzt und gelaufen und über Stöckchen gesprungen und Zucker reduziert werden. Jänner ist Diätmonat, Hometrainer-kaufen-und-nie-benutzen-Monat und Fitnessstudio-Abo-abschließen-und-dann-nicht-hingehen-Monat. Nach der Entgrenzung der Feiertage mit ihren Keksen und ihrem Punsch und ihrem Braten muss nun wieder begrenzt werden. Insbesondere Frauen sind dazu angehalten, ihren Umfang zu minimieren oder zumindest den Wunsch zu äußern, das tun zu wollen. Abnehmen wollen gehört für Frauen schließlich zum guten Ton, zu dick ist frau immer, zu viel Platz einnehmen tut frau immer, gefallen tut frau nie genug, gefällig genug ist frau nie.
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Abnehmen wollen
Nicht nur dünn zu sein ist Teil des gesellschaftlich dominanten Weiblichkeitsideals, sondern auch, sich nicht dünn genug zu finden, sich zu dick zu finden, so sehr, dass ein negativer Rückbezug auf den eigenen Körper und die Artikulation der eigenen Unzufriedenheit mit ihm zu einem Weg wurde, das Befolgen der heteronormativen Frauenrolle auszustellen. Es gehört zum Frau-Sein, zu verstehen, dass der eigene Körper grundsätzlich und von Natur aus ein Mangelprodukt ist. Und dass diese Mangelhaftigkeit vor allem an mangelnder Ästhetik festmacht. Der Wert von Frauen liegt in ihrer Verwertbarkeit als Dekoobjekte. Schönheit (und für die ist seit Jahrzehnten, wenn nicht seit Jahrhunderten, kulturell „Schlankheit“ eine Vorbedingung) ist gewissermaßen die Miete, die Frauen zahlen, um in der Welt sein zu dürfen. Die Körper von Frauen sind ständige Baustellen. Sie dürfen nicht einfach sein, sie müssen ständig werden. Sie müssen ständig gerichtet und hergerichtet werden.
Sich lieben müssen
Neben dem Anspruch, möglichst dekorativ zu sein (schön) und dabei möglichst wenig Platz zu brauchen (schlank), hat sich in den letzten Jahren ein dritter Anspruch eingeschlichen, nämlich jener, den eigenen Körper pausenlos und lückenlos und vollumfänglich lieben zu müssen, auch wenn man „schön“ und „schlank“ nicht erfüllt. Diesen Anspruch muss man nun als nicht-normschöne und/oder dicke Frau auch erfüllen, obwohl man in einer Gesellschaft lebt, die dicke Menschen, insbesondere dicke Frauen, konstant entmenschlicht, abwertet und entwertet. Als dicke Frau muss man einerseits schlank sein wollen und andererseits muss man sich in jedem Zustand schön finden und fühlen. Man wird einerseits im Schwimmbad angestarrt, von Fremden beschimpft, in Hollywood-Filmen ist man bestenfalls funny sidekick und die Erinnerung an das jahrelange „fette Sau“ auf dem Schulhof wird auch nie verblassen, und andererseits muss man sich selbst lieben, auch, um zu demonstrieren, dass man eine gute und emanzipierte Feministin ist, die patriarchale Normvorstellungen und Ansprüche an weibliche Körper nicht berühren.
Einerseits wird man bei jedem zweiten Arzt mit „Nehmen Sie halt ab“ abgespeist (ich spreche möglicherweise aus Erfahrung) unabhängig davon, mit welchen Wehwehchen man dort aufkreuzt, einerseits werden dicke Körper immer und überall und mitunter fälschlicherweise als ungesunde Körper wahrgenommen, zumindest als ungesünder als dünne Körper (auch wenn diese dünnen Körper noch so ungesund leben), andererseits wird nicht ganz konform mit wissenschaftlicher Evidenz „healthy at every size“ gepredigt und schon der Wunsch, möglichst gesund zu sein, als ein rückgratloses und fettfeindliches Einknicken vor dem heteropatriarchalen männlichen Blick verstanden.
Man muss als Frau (insbesondere als dicke Frau) abnehmen wollen, weil der eigene Wert an der Schlankheit des Körpers hängt, aber man darf nicht abnehmen wollen, weil das antiemanzipatorisch ist. Als dicke Frau kann man es in keinem Fall richtig machen.
Fitnessstudio
Kein Monat im Jahr erinnert mehr an das Schlankheits- und Schönheitsdiktat, das auf (vor allem) Frauen lastet, als der Jänner mit seinen elenden guten Vorsätzen (die nicht selten um Gewichtsverlust kreisen) und dem mit ihm einhergehenden Anspruch, nun alles anders und besser zu machen als im Jahr davor. Diese Chance lassen sich natürlich auch diverse Fitnessstudios nicht entgehen, die ihre Marketingaktivitäten intensivieren, in dem Wissen, im Jänner den größten Teil ihrer neuen Kund:innen akquirieren zu können, die nun zwar Abos abschließen, aber dann selten bis nie aufkreuzen. Tatsächlich kalkulieren Fitnessstudios in aller Regel ein, dass neugewonnene Jänner-Kund:innen nicht zu Stammkund:innen werden, die Abos übersteigen nämlich meist vorhandene Kapazitäten signifikant.
Auch eine Fitnessstudio-Kette, die seit Jahren in ihrer Marketingstrategie auf kalkulierte Shitstorms setzt (nein, ihr müsst nicht wissen, wie sie heißt), ließ in den letzten Wochen (erneut) aufhorchen mit fragwürdigen Werbesprüchen wie „Misshantel dich“. Der (beabsichtigte) Shitstorm folgte prompt. Das ist verständlich, da die Werbeslogans in der Tat in ihrer Gewaltverharmlosung und ihrem Sexismus mehr als verzichtbar sind. Es stellt sich aber die Frage, inwiefern man sich Empörungsstürmen anschließen sollte, die so erkennbar strategisch gewollt sind, weil sie Aufmerksamkeit und Reichweite generieren, und so Gratis-PR für ein Unternehmen zu machen, das sexistische Sprüche plakatiert.
Vielleicht muss frau ja nicht über jedes Stöckchen springen, das ihr hingehalten wird. Weder im wörtlichen noch im metaphorischen Sinn.
Beatrice Frasl schreibt alle zwei Wochen eine Kolumne zum Thema Feminismus. Alle Texte findet ihr auch in ihrem Autor:innenprofil.
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Infos und Quellen
Genese
Beatrice Frasl war schon Feministin, bevor sie wusste, was eine Feministin ist. Das wiederum tut sie, seit sie 14 ist. Seitdem beschäftigt sie sich intensiv mit feministischer Theorie und Praxis – zuerst aktivistisch, dann wissenschaftlich, dann journalistisch. Mit ihrem preisgekrönten Podcast „Große Töchter“ wurde sie in den letzten Jahren zu einer der wichtigsten feministischen Stimmen des Landes.
Im Herbst 2022 erschien ihr erstes Buch mit dem Titel „Patriarchale Belastungsstörung. Geschlecht, Klasse und Psyche“ im Haymon Verlag. Als @fraufrasl ist sie auf Social Media unterwegs. Ihre Schwerpunktthemen sind Feminismus und Frauenpolitik auf der einen und psychische Gesundheit auf der anderen Seite. Seit 1. Juli 2023 schreibt sie als freie Autorin alle zwei Wochen eine Kolumne für die WZ.
Quellen
Statista: Neujahrsvorsätze