Prag/Berlin/Wien. EU-Kommissionsvizepräsident Frans Timmermans hat anlässlich des Auschwitz-Gedenktags am Dienstag vor Versuchen gewarnt, geschichtliche Tatsachen aus politischen Motiven zu verzerren. Die Kritik des niederländischen Ex-Premiers richtete sich gegen eine Aussage des polnischen Außenminister Grzegorz Schetyna, wonach Auschwitz nicht von russischen, sondern von ukrainischen Soldaten befreit worden sei.

  Timmermans sagte bei einer Gedenkveranstaltung in Prag zum 70. Jahrestag der Befreiung der Gefangenen des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau durch die Rote Armee in einem Medieninterview, es wäre "schrecklich", eine Debatte darüber zu eröffnen, welcher exakten heutigen Nationalität die Befreier angehört hätten. Es sei eine historische Tatsache, dass es sich um Sowjet-Soldaten gehandelt habe.

  Jener Einheit, die das Lager befreite sei wegen ihres Standortes "Erste Ukrainische Front" benannt gewesen, und nicht wegen ihrer ethnischen Zusammensetzung. Man müsse die Geschichte belassen wie sie sei und die aktuelle politische Lage in der Ukraine getrennt betrachten, plädierte Zimmermans. Historische Genauigkeit sei besonders angesichts des erneut zunehmenden Anti-Semitismus in Europa "unerlässlich".

Gauck warnt vor Schlussstrich
Der deutsche Bundespräsident Joachim Gauck hat die Menschen in Deutschland 70 Jahre nach der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz vor einem Schlussstrich unter den Holocaust gewarnt.

  "Es gibt keine deutsche Identität ohne Auschwitz", sagte er am Dienstag laut einem im Voraus verbreitetem Redetext in einer Gedenkstunde des Deutschen Bundestages. "Die Erinnerung an den Holocaust bleibt eine Sache aller Bürger, die in Deutschland leben. Er gehört zur Geschichte dieses Landes", fügte er hinzu. Aus dem Erinnern ergebe sich ein Auftrag: "Er sagt uns: Schützt und bewahrt die Mitmenschlichkeit. Schützt und bewahrt die Rechte eines jeden Menschen."

  Gaucks Mahnungen stehen auch vor dem Hintergrund einer aktuellen Umfrage der Bertelsmann Stiftung, nach der sich eine große Mehrheit der Deutschen nicht mehr mit dem Holocaust beschäftigen will. 81 Prozent möchten demnach die Geschichte der Judenverfolgung "hinter sich lassen". 58 Prozent wollen einen Schlussstrich ziehen.

Spielberg warnte zu Auschwitz-Gedenken vor "Dämonen der Intoleranz"
US-Regisseur Steven Spielberg ("Schindlers Liste") hat vor den Gedenkfeiern zur Befreiung von Auschwitz vor Intoleranz und Hass gegen Minderheiten gewarnt. "Wer heute Jude ist oder jemand, der an Religionsfreiheit, Meinungsfreiheit, Redefreiheit glaubt, der weiß, dass wir einmal mehr den Dämonen der Intoleranz ins Gesicht blicken", sagte er am Montagabend vor Überlebenden des Nazi-KZ in Krakau.

  Die von Spielberg gegründete Shoah Foundation hatte zum 70. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz am 27. Jänner eine Konferenz mit Lehrern und Schülern unter dem Motto "Die Vergangenheit ist gegenwärtig" organisiert.

  Der Regisseur warnte in Polen vor der anhaltenden Gefahr durch den Anti-Semitismus in Europa. Es gebe "Seiten auf Facebook, die Juden nach geografisch verorten, um sie angreifen zu können, und es gibt wachsende Bemühungen, Juden aus Europa zu verbannen". Spielberg sagte, der beste Weg, neuer Intoleranz gegenüberzutreten, sei "das zu tun, was die Überlebenden schon lange getan haben: Zu erinnern und nie zu vergessen".

Orban sprach von "beschämender" Rolle vieler Ungarn im Holocaust
Ungarns Regierungschef Viktor Orban hat erstmals die Komplizenschaft seines Landes beim Holocaust anerkannt. "Wir waren ohne Liebe und unentschlossen, als wir hätten helfen sollen", sagte Orban am Montag in Budapest. "Und sehr viele Ungarn haben sich zum schlechten Handeln entschlossen statt zum guten, zu beschämenden Aktionen statt zu ehrenwerten."

  Der Holocaust sei eine "nationale Tragödie für Ungarn" gewesen, sagte Orban weiter. Der Regierungschef äußerte sich bei einer Gedenkfeier auf einem jüdischen Friedhof anlässlich der Befreiung des einstigen NS-Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz vor 70 Jahren. Es war das erste Mal, dass er die Komplizenschaft Ungarns bei der Deportation der Juden durch die Nazis anerkannte. Rund 600.000 ungarische Juden wurden während des Holocausts getötet. Die meisten von ihnen wurden von den Nazis mithilfe der ungarischen Polizei nach Auschwitz deportiert.