Wien. Für die Überlebenden von Auschwitz ist nichts so wichtig, wie die Erinnerung an die Verbrechen der Nazis und den Tod von Millionen Menschen wach zu halten. Ganz besonders bei der Rückkehr nach Auschwitz.

  Paula Lebovics kann sich noch ganz genau an den glücklichsten Tag ihrer Kindheit in Auschwitz erinnern. "Wir lagen auf der oberen Pritsche in unserer Baracke, als die Bomben auf den elektrischen Zaun fielen. Und wir lachten und lachten und lachten. Wir hatten eine lange Zeit nicht mehr gelacht." Selbst 70 Jahre danach lächelt Paula Lebovics, eine kleine Frau mit silberblondem Pagenschnitt, wenn sie an jenen Tag im Jänner 1945 denkt, an dem sie und ihre Freundin Miriam sich nach langer Zeit wieder fast unbeschwert fühlen konnten, wie ein elfjähriges Kind, das sie damals war.

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"Ich erinnere mich an alles"

Zum 70. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz ist die gebürtige Polin aus ihrer kalifornischen Heimat zurückgekehrt in das ehemalige Vernichtungslager der Deutschen. Sie will noch einmal mit anderen Überlebenden zurückdenken an den Tag, an dem das Leben in der Hölle für sie vorbei war. "Ich erinnere mich an alles", versichert sie. "Das ist manchmal schlimm, aber es muss doch auch sein. Die Erinnerung ist alles, was wir haben."

Mit Gedenkfeiern in Auschwitz, Theresienstadt, Berlin und Wien ist am Dienstag der 70. Jahrestag der Befreiung des früheren NS-Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz durch sowjetische Soldaten begangen worden. In der Früh legten Überlebende vor der sogenannten Todeswand im Stammlager, an der Tausende Menschen erschossen worden waren, Blumen nieder und entzündeten Kerzen.

Das ehemalige Lager Auschwitz-Birkenau, heute eine zentrale Stätte des Erinnerns an die Gräuel der NS-Herrschaft, war am Dienstag von frisch gefallenem Schnee bedeckt. In den Jahren 1940 bis 1945 wurden dort etwa 1,1 Millionen Menschen ermordet, die meisten von ihnen Juden. Sowjetische Soldaten befreiten das Lager am 27. Jänner 1945.

300 Überlebende und viele Staatsgäste

Eine zentrale Gedenkfeier unter der Leitung des polnischen Präsidenten Bronislaw Komorowski war für den Nachmittag geplant. Erwartet wurden etwa 300 hochbetagte Überlebende und viele Staatsgäste, darunter der deutsche Bundespräsident Joachim Gauck sowie Bundespräsident Heinz Fischer und Kanzler Werner Faymann (SPÖ). Als eine seiner Stellvertreterinnen vertritt die österreichische Europaabgeordnete Ulrike Lunacek (Grünen)  Martin Schulz,, EU-Parlamentspräsident, in Auschwitz.

Der russische Staatschef Wladimir Putin lehnte eine Teilnahme inmitten der Ukraine-Krise hingegen ab. Nach der Annexion der Schwarzmeer-Halbinsel Krim und wegen des anhaltenden bewaffneten Konflikts im Osten der Ukraine sind die Beziehungen zwischen Moskau und dem Westen angespannt wie lange nicht. Polen zählt zu den schärfsten Kritikern Putins. Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko will demgegenüber an dem Gedenken in Auschwitz (Oswiecim) teilnehmen.

Auch eine Teilnahme an Feierlichkeiten in der tschechischen Hauptstadt Prag und im früheren NS-Konzentrationslager Theresienstadt (Terezin) anlässlich des Welt-Holocaust-Gedenktages am 27. Jänner sagte Putin ab, obwohl der Moskau-freundliche tschechische Präsident Milos Zeman ihn eingeladen hatte. Die Vereinigung Jüdischer Gemeinden in Tschechien protestierte jedoch gegen eine Anwesenheit Putins. In Prag und Terezin war Österreich durch den Zweiten Nationalratspräsidenten Karlheinz Kopf (ÖVP) vertreten.

Gauck mahnte in der Früh bei einer Gedenkstunde des Deutschen Bundestags in Berlin, es gebe "keine deutsche Identität ohne Auschwitz". Es Pflicht der Deutschen, weiter das Miteinander unterschiedlicher Kulturen und Religionen zu ermöglichen.

Fischer bezeichnete den Namen Auschwitz-Birkenau als "Symbol und zentralen Ort des Bösen und als eine unauslöschliche Schande". Aus Auschwitz Konsequenzen zu ziehen, heiße "all jene Institutionen zu stärken, die sich für die Achtung der Menschenrechte und Würde jedes Einzelnen einsetzen", so der Bundespräsident in einer Aussendung.

Faymann: "Autoritären Tendenzen entgegen  treten"

Faymann erklärte, der Gedenktag mahne aufs Neue "wachsam zu bleiben und autoritären Tendenzen entschlossen entgegen zu treten." Gerade in Zeiten der Krise bestehe die erhöhte Gefahr, dass Ressentiments gegen Minderheiten, Intoleranz, Rassismus und Antisemitismus auf fruchtbaren Boden fallen so der Bundeskanzler laut einer Aussendung seines Büros.

Papst Franziskus twitterte: "Auschwitz schreit den Schmerz unermesslichen Leids hinaus und ruft nach einer Zukunft in Respekt, Frieden und der Begegnung der Völker."

Der französische Präsident Francois Hollande, der ebenfalls nach Auschwitz kommt, verurteilte am Dienstag am Shoah-Mahnmal in Paris jeglichen Antisemitismus als "Plage". Er versprach zugleich, dass sein Land die etwa 76.000 deportierten französischen Juden nie vergessen werde. Laut Umfragen erwägen angesichts der Zunahme judenfeindlicher Angriffe viele der etwa 600.000 Juden in Frankreich inzwischen, das Land zu verlassen.

In Ungarn erkannte der rechtskonservative Regierungschef Viktor Orban erstmals eine Mittäterschaft beim Holocaust an. "Sehr viele Ungarn" hätten sich "zum schlechten Handeln entschlossen statt zum guten", sagte er am Montag in Budapest. Etwa 600.000 ungarische Juden waren Opfer des Holocausts geworden. Die meisten wurden mithilfe ungarischer Polizisten nach Auschwitz deportiert. Ungarn war im Zweiten Weltkrieg teils verbündeter Hitler-Deutschlands, 1994 wurde es von den Deutschen besetzte, und es herrschten die faschistischen Pfeilkreuzler.

Zeman forderte auf einem vom European Jewish Congress (EJC) organisierten, internationalen Holocaust-Forum auf der Prager Burg eine internationale Militäraktion gegen die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS): "Wir müssen neue Wege finden um einen neuen Super-Holocaust zu verhindern." Zum Abschluss der Konferenz sollte ein Dokument verabschiedet werden, indem laut Entwurf, aus dem die Agentur CTK zitierte, Schritte gegen Extremismus und Terrorismus gefordert werden. Am Nachmittag wollten die mehr als 500 Teilnehmer des Forums im ehemaligen NS-Konzentrationslager Theresienstadt der Opfer gedenken.