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Beruhigungsmittel und Symbolhandlung

Von Alexander Dworzak

Analysen

Analyse: Wie die deutsche Regierung die Deutungshoheit über den UN-Migrationspakt zurückgewinnen will.


Berlin/Wien. Vor knapp drei Wochen stand die AfD mit ihrer Ablehnung des UN-Migrationspakts alleine auf weiter Flur im Deutschen Bundestag. Danach ging die Werteunion, der konservative Flügel von CDU und CSU, auf Distanz zum Pakt. Das wiederum nahm Jens Spahn dankend auf. Der Gesundheitsminister kandidiert für den CDU-Vorsitz, seit Jahren kritisiert er fehlende Debatten in der Migrationspolitik.

Um jene über den UN-Migrationspakt einzufangen, einigten sich die Fraktionen von Union und SPD auf eine Resolution. Darin betonen sie, das UN-Dokument enthalte "keine einklagbaren Rechte und Pflichten" und entfalte "keinerlei rechtsändernde oder rechtssetzende Wirkung". Am Donnerstag wird über den Resolutionsentwurf im Bundestag abgestimmt - FDP, Grüne und die Alternative für Deutschland bringen eigene Anträge zum Thema ein.

Sechs Seiten umfasst das Dokument von Schwarz-Rot. Darin wird betont, der Pakt leiste einen Beitrag, Migration stärker zu ordnen, zu steuern und zu begrenzen sowie die Rechte von Migranten zu schützen. Die Regierung wird aufgefordert, zwischen legaler und illegaler Migration zu unterscheiden, den EU-Außengrenzschutz zu verbessern und Herkunftsstaaten auf die Rücknahme illegaler Migranten zu drängen.

Juristen uneins

Eine Mehrheit der in den vergangenen Wochen befragten Völkerrechtler hält die Ablehnung des Migrationspaktes für übertrieben. Dieser sei weder rechtsverbindlich, noch erwächst aus ihm neues Völkergewohnheitsrecht, schreibt etwa Daniel Thym, Professor für Öffentliches Recht an der Universität Konstanz, im Online-Rechtsportal "LTO".

Als Beispiel nennt Thym die Behauptung der AfD, es gebe eine Aufnahmepflicht für alle Klimawandwandel-Opfer. Die Staaten versprächen zwar, vermehrt an "Lösungen" zu arbeiten und "Optionen für eine geplante Neuansiedlung und Visumserteilung" zu konzipieren, so Jurist Thym. Er sieht darin aber nur eine "zwischenstaatliche Bemühenspflicht, die kein Ergebnis vorgibt".

"Aus weichen Absichtsbekundungen entsteht schnell hartes Recht", warnt dagegen Matthias Herdegen, Direktor an den Instituten für Völkerrecht und Öffentliches Recht der Universität Bonn, im Magazin "Cicero".

"Der Meinungsbildungsprozess in der Bevölkerung ist noch nicht abgeschlossen. Der Kampf um die Deutungshoheit hat erst begonnen", hatte Demoskop Hermann Binkert vor drei Wochen gesagt. Dessen Insa-Institut legte am Dienstag Umfrageergebnisse vor - durchgeführt im Auftrag der CDU/CSU-Werteunion. Demnach befürchten knapp 40 Prozent der Deutschen, dass der UN-Pakt Ausländern zusätzliche Ansprüche auf Asyl verschafft. Rund 20 Prozent gehen nicht davon aus. Und 40 Prozent wussten keine Antwort auf die Frage. Im Kampf um die Deutungshoheit gibt es also noch viel zu gewinnen.

Unwissen und Ablehnung

Denn die deutsche Regierung hat es verabsäumt, die Öffentlichkeit frühzeitig und umfassend über den Migrationspakt zu informieren. Und das obwohl der Themenbereich seit Offenhalten der Grenzen im Sommer 2015 und dem zeitweisen staatlichen Kontrollverlust politisch so sensibel ist.

Die Unbeholfenheit reicht bis in den Petitionsausschuss des Bundestages. Beamte und Parlamentsmitarbeiter weigerten sich erst, eine Online-Petition gegen den UN-Migrationspakt - sie kam auf knapp 80.000 Unterstützer - zu veröffentlichen. Parlamentarier von Union, SPD, AfD und FDP im Petitionsausschuss hoben diese Entscheidung durch einen gemeinsamen Beschluss auf.

Der Pakt sorgt auch links der Mitte für Diskussionen. Die Gegner von Linkspartei-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht wollten unter den Linken-Abgeordneten eine Resolution durchsetzen, wonach über den UN-Pakt im Bundestag abgestimmt werden soll. Wagenknechts Getreue planten einen Gegenantrag in der Fraktion, der den Migrationspakt ablehnt, sollte die Bundesregierung keine weitergehende politische Erklärung zum UN-Dokument abgeben.

Am 10. und 11. Dezember wird der Migrationspakt bei einem UN-Gipfel angenommen. Am Wochenende davor wird der CDU-Vorsitz neu gewählt. Nicht über den UN-Pakt selbst, aber über den Bundestags-Resolutionstext von Union und SPD soll dann auch wieder abgestimmt werden. Sollten die CDU-Delegierten mit Nein votieren, hat dies keine automatischen Folgen, passiert doch die politische Willensbildung im Parlament. Die CDU-Abstimmung ist eine reine Symbolhandlung.