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Der zähe österreichische Mythos vom segensreichen Weinskandal

Von Johann Werfring

Analysen

In den Jahren vor der Jahrtausendwende wurde der Aufwärtstrend des österreichischen Weins erstmals massiv im Bewusstsein einer breiteren Öffentlichkeit registriert. Man begann, den heimischen Winzern und ihren Erzeugnissen großen Respekt zu zollen, und es war sogar von einem "Österreichischen Rotweinwunder" die Rede.


In dieser Situation setzte auch ein Hinterfragen ein, wie es in kurzer Zeit zu einer derart erfreulichen Entwicklung kommen konnte. Ein bekannter Wiener Heurigenwirt verkündete in diesem Zusammenhang 1997 im Österreichischen Rundfunk, dass man den Weinskandal hätte erfinden müssen, wenn er nicht ohnehin stattgefunden hätte.

Auf wen diese Idee ursprünglich zurückgeht, lässt sich zwar heute nicht mehr ergründen, jedoch steht fest, dass sich dieses Gedankenmuster beim Weinpublikum geradezu kontagiös zu verbreiten begann. So wird bis heute auch von Weinexperten immer wieder die Meinung vertreten, die rasante Erfolgsgeschichte des heimischen Rebensaftes sei dem Weinskandal des Jahres 1985 zu verdanken.

Es ist zwar unbestritten, dass das nach dem Weinskandal erlassene Weingesetz und weitere Maßnahmen (auch bewusstseinsbildend) zu einer neuen Qualitätsorientierung beitrugen. Indes ist zu bedenken, dass die positive Entwicklung des österreichi-schen Weins im abgelaufenen Vierteljahrhundert geradezu einem Vielfaktorengefüge zu verdanken ist.

Von großer Bedeutung war vor allem der zunehmende Wohlstand, der seit den 1990er Jahren dazu geführt hatte, dass Weintrinker bereit waren, für den Konsum von guten Weinen tiefer in die Tasche zu greifen als jemals zuvor.

Das Qualitätsdenken auf Konsumenten- und Erzeugerseite wurde sehr wesentlich durch globale Entwicklungen gefördert und durch österreichische Werbe- und Bildungsmaßnahmen immens vertieft. Besonders die Österreichische Weinmarketing (ÖWM) leistete hervorragende Arbeit.

Dass auch hierzulande rund um den Wein ein Kult entstand, hängt zudem damit zusammen, dass er in aus- und inländischen Spiel- und Dokumentarfilmen häufig zum Thema gemacht wurde. Alles in allem ist das Interesse am Wein daher enorm angewachsen. Zuletzt befanden sich jährlich rund 20.000 Personen - darunter zahlreiche Nichtprofessionisten - in Schulungen der Weinakademie Österreich.

Wirtschaftliche Maßnahmen seitens der Europäischen Union wie die Ziel-1-Förderung bescherten vielen Winzern Betriebsmodernisierungen, und der Winzernachwuchs findet mittlerweile ein beachtliches Bildungsangebot vor.

Bereits vor 1985 gab es eine Reihe österreichischer Top-Erzeuger wie Anton Kollwentz, Emmerich Knoll und Hans Igler. Diesen Vorbildern hätten die anderen Winzer mit Sicherheit auch ohne den Weinskandal nachgeeifert.

Siehe auch:
Interview mit Josef Pleil, Österreichs Weinbaupräsident

Artikel erschienen am 20. Juli  2010
In: "Wiener Zeitung", S. 10