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Die Pflicht zur Aufklärung bleibt

Von Walter Hämmerle

Analysen

Mit der Zukunftsbewältigung haben SPÖ und ÖVP derzeit ärgere Probleme - Stichwort Sparpaket -, in Bezug auf die Vergangenheit löst jedoch zusehends Konsens Jahrzehnte erbitterter Auseinandersetzung um die Deutungshoheit der unglückseligen Zwischenkriegszeit ab. Das zeigt auch die erfolgte, längst überfällige Rehabilitierung der Justizopfer des Dollfuß/Schuschnigg-Regimes.

Allerdings: Auf sich alleine gestellte hätte die Politik wohl noch immer nicht die Kraft dafür gefunden; dazu bedurfte es eines Anstoßes von außen, wie er im Februar 2010 durch die Initiative von 97 Wissenschaftern erfolgte. Vielleicht ist das aber auch nur typisch für den Zustand unserer Parteiendemokratie: dass ohne äußeren Impuls grundsätzlich nie etwas geschieht.

Ja, an Engelbert Dollfuß scheiden sich weiter die Geister, zumal sein Porträt im ÖVP-Klub hängt, und auch die Frage, wie das von ihm begründete Regime nun zu bezeichnen ist, trennt SPÖ und ÖVP - (austro-)faschistisch oder "nur" autoritär. Aber beim Blick auf die Fakten dieser Zeit überwiegt bei beiden längst die gemeinsame Schnittmenge. Keine geringe Aufarbeitungsleistung, wenn man die Geschichte Österreichs im 20. Jahrhundert kennt.

Die Streitfragen, die jetzt noch einer Lösung harren, sind, zumindest politisch betrachtet, anderer Natur, betreffen sie doch nicht mehr den Kern des Selbstverständnisses von SPÖ und ÖVP.

So fordern etwa vor allem die Grünen seit Jahren die Umbenennung des nach Karl Lueger benannten Abschnitts der Wiener Ringstraße; die Verbannung dieses christlich-sozialen Bürgermeisters mit dem ausgeprägten Hang zum Antisemitismus stößt allerdings nicht nur bei schwarzen, sondern auch bei roten Stadtpolitikern auf Widerstand, immerhin baut das legendäre "rote Wien" in wesentlichen Teilen auf Luegers Politik der Kommunalisierung auf.

Wobei sich die Frage stellt, ob die rigorose Tilgung historisch ambivalenter Persönlichkeiten aus dem Stadtbild tatsächlich die beste aller Möglichkeiten darstellt (bei historisch eindeutig besetzten Figuren stellt sich diese Frage nicht). Die Vergangenheit setzt sich nicht nur aus strahlenden Helden und abgründigen Bösewichtern zusammen, es dominieren zu allen Zeiten die Zwischentöne. Der Pflicht zur Differenzierung kann sich keine Generation entziehen.

"Aufklären und kommunizieren" lautet entsprechend für den Zeithistoriker Oliver Rathkolb die erste Pflicht der Politik. Was nützt es auch, wenn zwar die Justizopfer des Dollfuß-Regimes rehabilitiert sind, aber jeder Zweite nichts mehr mit dem Namen des Diktators anzufangen weiß?