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Indien: Millionenfacher Aufruhr

Von Thomas Seifert

Analysen

Es brodelt in Assam: Rund 50.000 Menschen sind im nordostindischen Unionsstaat Assam auf der Flucht, mindestens 19 sind bisher ums Leben gekommen. Eine nächtliche Ausgangssperre wurde verhängt.

Was ist geschehen? Vier Jugendliche im Verwaltungsbezirk Kokrajhar nahe der Grenzen zu Bangladesch und Bhutan waren tot aufgefunden worden. Die dort lebenden Mitglieder der Bodo-Volksgruppe griffen Muslime an, die sie für die Tat verantwortlich machten. Am Montag blockierten Bewaffnete die Gleise der wichtigsten Bahnstrecke der Region und hinderten so einen aus Delhi kommenden Expresszug an der Weiterfahrt, um die Herausgabe mehrerer Männer, die im Zusammenhang mit der Tötung der Jugendlichen in Gewahrsam sind, zu erzwingen. Die Regierung schickte mit Schießbefehl ausgestattete Sondereinsatzkräfte in die Region. Assam war schon immer ein Unruheherd, die Beziehungen zwischen den Bodos (heute mehrheitlich Hindus) und den vor allem aus Bangladesch zugewanderten Muslimen sind seit Jahren angespannt.

Der Nordosten Indiens ist ein ethnisches Mosaik, eine Vielzahl von separatistischen Bewegungen will los von Indien. Die Ulfa (United Liberation Front of Assam) will die Unabhängigkeit für die beiden Bundesstaaten Assam und Nagaland. Die Separatisten waren in der Vergangenheit von Bangladesch und Myanmar (Burma) unterstützt worden.

Nördlich von Assam wird es noch komplizierter: Das Territorium von Arunachal Pradesh wird auch von der Volksrepublik China beansprucht, bereits einmal, 1962, führten China und Indien Krieg um das Gebiet.

Indien hofft nun auf den Wandel in Myanmar (Burma): Denn die von Präsident Thein Sein angestoßenen Reformen und die Rückkehr der Bürgerrechtlerin und Tochter des Staatsgründers Aung San, Aung San Suu Kyi auf die politische Bühne geben der indischen Staatsführung Hoffnung, dass der bisher wirtschaftlich arg benachteiligte Osten des Landes bald bessere Zeiten sehen wird. Die Regierung in der burmesischen Hauptstadt Naypyidaw hat auch wenig Interesse daran, Unruhe in Indien zu stiften.

Der Nobelpreisträger mit indischen Wurzeln V.S. Naipaul schrieb das Buch "India - A Million Mutinies" ("Millionenfacher Aufruhr"), das auf Deutsch unter "Indien - Land des Aufruhrs" erschienen ist. So wie in Assam oder 2002 in Gujarat droht überall im Land immer wieder Aufruhr, solange es der Führung in Delhi nicht gelingt, für Gerechtigkeit an der Teilhabe am Wirtschaftswachstum in Indien zu sorgen: Alle Regionen, alle sozialen Schichten müssen vom wachsenden Wohlstand im Land profitieren.