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Nguyen Chi Vinh, Vietnams Spitzendiplomat

Von Alexander U. Mathé

Analysen

Der stellvertretende Verteidigungsminister in Hanoi tanzt auf zwei Hochzeiten gleichzeitig: der amerikanischen und der chinesischen.


Militärs sind in der Regel nicht dafür bekannt, talentierte Diplomaten zu sein. Doch in Vietnam kommt einem General die delikate Aufgabe zu, die Annäherung an die USA voranzutreiben, bestehende Differenzen mit China auszuräumen und gleichzeitig das Gleichgewicht in den Beziehungen zu Peking und Washington zu halten. Der Mann, der diesen Balanceakt orchestriert, heißt Nguyen Chi Vinh. Er ist der stellvertretende Verteidigungsminister des Landes und Kommissar des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Vietnams.

Nguyen ist sowohl politisch wie auch militärisch erblich vorbelastet. Geboren wurde er am 15. Mai 1957 als jüngster Sohn von General Nguyen Chi Thanh. Der war der erst zweite General in der Geschichte Vietnams und stand den kommunistischen Kräften im von den USA gestützten Südvietnam vor. Seine Posten brachten es mit sich, dass über Nguyen relativ wenig bekannt wurde.

Als er 24 Jahre alt war, wurde Vinh Offizier beim Nachrichtendienst der vietnamesischen Armee. Er avancierte zum Chef des Nachrichtendiensts im Verteidigungsministerium, ein Posten, den er von 2002 bis 2009 innehatte. 2003 promovierte er in Internationalen Angelegenheiten.

Heute gilt der Kettenraucher, der dem Vernehmen nach lange Gespräche bei einem Glas Whiskey genießt, als gewandtester Stratege, den Vietnam zu bieten hat. Strategische Finesse ist genau das, was Vietnam gerade benötigt. Auf der einen Seite ist Vietnam dabei, seine Beziehungen zu China auszubauen, gleichzeitig liefern einander die beiden ein Schattenfechten um die erdölreichen Spratly- und Paracel-Inseln, die sie jeweils für sich beanspruchen. Nguyen vertraut darauf, dass weder Peking noch Hanoi verzweifelt genug sind, sich auf einen militärischen Konflikt einzulassen. Doch der Familienvater, von dem es heißt, er trage sein Herz auf der Zunge, hat auch schärfere Rhetorik in petto. Noch vor zwei Jahren erklärte er, dass Vietnam durchaus bereit sei, sich in einem Konflikt zur Wehr zu setzen.

Eine Annäherung an den ehemaligen Erzfeind USA kommt in dieser Situation gerade recht, noch dazu, wo Washington dabei ist, seine militärische Präsenz in der Pazifikregion auszubauen. Nguyen führte höchstpersönlich die Delegation beim vietnamesisch-amerikanischen Dialog. Doch auch mit den USA hat Vietnam offene Dispute. Im Zentrum stehen Entschädigungsforderungen für den Einsatz von Agent Orange während des Kriegs (siehe Seite 8).

Wie gut Nguyen seinen Balanceakt vollzieht, erkennt man daran, dass sich Analysten bis heute nicht sicher sind, zu welcher Seite der General eher tendiert: zu den USA oder zu China. Ihm wird diese Unsicherheit nur recht sein.