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Tabubruch in Teheran

Von Michael Schmölzer

Analysen

Ägyptens neuer starker Mann, Präsident Mohammed Mursi, gilt eigentlich als politisches Leichtgewicht. Die Muslimbruderschaft schickte den 62-Jährigen als Verlegenheitskandidaten ins Rennen, er war zweite Wahl, weil der favorisierte Khairat Al Shater aus formalen Gründen nicht zur Wahl antreten durfte.

Seit mittlerweile 60 Tagen steht deshalb ein vormals weitgehend unbekannter Mann an der Spitze des bevölkerungsreichsten Landes Arabiens - und die Welt beginnt sich zu fragen, ob man den frommen Familienvater nicht arg unterschätzt hat. Zuerst hat Mursi den gefürchteten ägyptischen Militärrat gründlich und unblutig entmachtet, jetzt ist er dabei, die ägyptische Außenpolitik umzukrempeln. Denn mit seinem Besuch in Teheran, wo sich derzeit die blockfreien Staaten treffen, hat Mursi mit einem Tabu aus der Ära Hosni Mubaraks gebrochen. Seit Ägypten 1979 mit Israel Frieden geschlossen hat, herrscht politische Eiszeit zwischen Teheran und Kairo. Zum Unfrieden trug bei, dass die Stadtväter der iranischen Hauptstadt eine Straße nach dem Attentäter des ermordeten ägyptischen Präsidenten Anwar al-Sadat benannten. Ägypten ist das einzige arabische Land, das keinen Botschafter im Iran hat, in Kairo werden alle Telefongespräche, die in den Iran gehen, bei einer zentralen Überwachungsstelle vermerkt.

Jetzt soll alles anders werden. Mursi erklärte nach seiner Wahl, er wolle das Verhältnis zum Iran normalisieren - was mit dem Besuch beim Blockfreien-Treffen nur teilweise gelungen ist. Zwar pilgerte er mit guten Vorsätzen nach Teheran, gleichzeitig brüskierte er aber den Gastgeber mit deutlicher Kritik an Syriens Machthaber Bashar al-Assad - der Iran ist dessen Hauptunterstützer.

Mursis Annäherung an den Iran wird vom Westen - allen voran von dessen Erzfeinden Israel und USA - nicht gerne gesehen. Auch Saudi-Arabien, das sich als Gegenspieler des Iran begreift, ist skeptisch. Ägypten aber ist finanziell von den USA und den Ölscheichs abhängig. Das umso mehr, als das Land am Nil in eine veritable Finanzkrise schlittert. Der Spielraum, den Mursi hat, ist also begrenzt. Gut möglich, dass er bald zurückrudern muss.

Bei Israel steht Mursi ebenfalls ein Drahtseilakt bevor. Er kann es sich nicht leisten, den Gegner von einst zum neuen Feind zu erklären, denn dann würde er es sich mit dem Westen verscherzen. Sollte Mursi - wie das die USA und Israel ausdrücklich wünschen - dem nördlichen Nachbarn einen Besuch abstatten, wäre seine Reputation in Ägypten unwiederbringlich dahin. Schon sein Vor-Vorgänger Sadat bezahlte eine Israel-Visite letztendlich mit dem Leben.