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Sie kommen voneinander nicht los

Von Hermann Sileitsch

Analysen

Der Konflikt zwischen der EU und dem russischen Gasmonopolisten Gazprom birgt großes Eskalationspotenzial - ökonomisch wie politisch. Und das, wo die Beziehungen zwischen der EU und Russland ohnehin schon so schlecht sind wie seit vielen Jahren nicht.

Ist die Kartelluntersuchung der EU ein genialer Schachzug oder hat Brüssel die Büchse der Pandora geöffnet? Viele fürchten, dass die Russen am längeren Ast sitzen - und ihre Gaslieferungen nach Europa einstellen könnten. Dieses Eskalationsszenario ist nicht völlig abwegig: Würde Gazprom wegen unzulässiger Vertragsklauseln in die Ecke gedrängt, könnte es elegant die bestehenden Abkommen für nichtig erklären - und die Belieferung einzelner Länder vorerst einstellen, mutmaßt Russland-Experte Gerhard Mangott.

Die EU wiederum könnte, falls sie gravierende Verstöße feststellt, zwar drastische Strafen verhängen - je nach Delikt bis zu 15 Prozent des Umsatzes (ob des betroffenen Landes oder EU-weit ist strittig). Brüssel müsste diese dann allein schon deshalb exekutieren, um nicht die Glaubwürdigkeit zu verlieren, sagt Mangott. Wie kann die EU Geld außerhalb ihres Hoheitsgebietes eintreiben? Denkbar wären "Asset freezes", also die Beschlagnahmung von Gazprom-Eigentum auf EU-Territorium. Was jedenfalls eine garstige Angelegenheit wäre und gröbste diplomatische Verwerfungen nach sich ziehen würde.

Darauf deutet das erste Gazprom-Statement hin, wo man auf den Sonderstatus als staatsnahes Unternehmen pocht. Was aber doch eine milde Reaktion sei, sagen Gazprom-Kenner: In diesem Schreiben sei schließlich nirgends von einem feindlichen Angriff oder Handelskrieg die Rede.

Wahrscheinlich wird der Rechtsstreit deshalb gütlich beigelegt; womöglich stimmt Gazprom nach Verhandlungen von sich aus modifizierten Verträgen zu. Das Monopol der Russen gerät nämlich ohnehin langsam aber sicher unter Druck. Dank der Schiefergasrevolution in den USA ist viel mehr Gas auf dem Markt vorhanden als noch vor wenigen Jahren gedacht. Dazu muss nicht einmal in Europa der Förderboom ausbrechen: Weil die USA als Großabnehmer ausfallen, stehen große Mengen an Flüssigerdgas (LNG) vor Europas Küsten. Dieses ist viel billiger als in den langfristigen, am Ölpreis orientierten Gazprom-Verträgen. Auf Dauer können die Russen ihren Vorteil nicht aufrechterhalten, deutsche Großabnehmer haben schon Sonderkonditionen erhalten - die baltischen Staaten etwa sind abgeblitzt. Dem will die EU einen Riegel vorschieben. Sie wird freilich noch länger auf die Russen angewiesen sein: Der Versuch, mit Pipelines wie Nabucco unabhängiger von russischem Gas zu werden, ist praktisch gescheitert.