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Politische Camouflage

Von Reinhard Göweil

Analysen

Warum sind die Ergebnisse von SPÖ und ÖVP bei der Europawahl schlechter, als es den Anschein hat? Weil Erfolg in Österreich nicht erwünscht ist.


Eigentlich hat sich nichts getan. Ein Ergebnis, das für alle ein Erfolg ist. Zurück zur Normalität. Die Europawahl ist geschlagen, die Regierungsparteien steigen aus wie 2009, als Nummer 1 und Nummer 2. Alle haben gewonnen, was als Erfolg interpretiert werden kann, ist auch einer. Das war’s, kein Grund, noch viele Worte darüber zu verlieren. Nach nicht einmal einer Woche ist die Europawahl aus der politischen Analyse verschwunden.

Das ist seltsam, denn das Ergebnis wäre durchaus angetan, vor allem bei den Regierungsparteien die Alarmglocken schrillen zu lassen. Bleiben wir beim Ergebnis, also zuerst die ÖVP. Parteiobmann Michael Spindelegger meinte am Wahlabend, man werde - trotz des Sieges - "am Boden bleiben und nicht dem Größenwahn erliegen". Das ist ein recht interessanter Zugang, denn die ÖVP verlor bei dieser von 30 auf 26,98 Prozent, also drei Prozentpunkte. Während 2009 noch 859.000 die ÖVP-Liste ankreuzten, waren es diesmal 762.000. Polit-Experten erklärten zudem, dass deren Spitzenkandidat Othmar Karas "Hauptvater des Sieges" sei, denn auf Karas entfielen 82.500 Vorzugsstimmen. Die meisten dieser Wähler stimmten - so Wahlanalysen - nur für Karas, auf die ÖVP hätten sie sonst verzichtet. Die Listenzweite Elisabeth Köstinger erhielt immerhin noch 59.000 Vorzugsstimmen. Diese Stimmen (aus dem Bauernbund) sind ähnlich wertvoll, denn etliche dieser ÖVP-Kernklientel wären ohne die Mobilisierung für Köstinger gar nicht erst zur Wahl gegangen. Nach internen Berechnungen der Volkspartei brachte das insgesamt etwa 13 Prozent der Stimmen. Umgekehrt betrachtet: Ohne die EU-Person Othmar Karas wäre die "reine ÖVP" bei etwa 15 bis 16 Prozent gelandet. Die Ergebnisse in der Steiermark, Oberösterreich, vor allem Vorarlberg deuten dies auch an.

Die ÖVP hätte also allen Grund, Othmar Karas dankbar zu sein. Ist sie das? Er selber will nichts dazu sagen, doch aus seinem Umfeld ist zu hören, dass sich die Dankesbezeugungen der Partei Karas gegenüber in engen Grenzen halten.

Esprit und Courage verloren

Zweiter wurde - wie 2009 - die Sozialdemokratische Partei. Sie erreichte 24,1 Prozent. 2009 waren es 23,7 Prozent oder 680.000 Stimmen. 2014 waren es: 680.000 Stimmen. Ein Gleichstand also, die Verbesserung ist der geringeren Wahlbeteiligung zu verdanken. Und dies, obwohl die 506.000 Stimmen (17,7 Prozent) der nicht mehr angetretenen "Liste Martin" am Markt waren und auch neu vergeben wurden. 2009 erlitt die SPÖ eine empfindliche Europa-Niederlage (eben wegen Martin) und verlor fast zehn Prozentpunkte. Auf diesem Niveau verharrte die SPÖ diesmal. "Wir haben gekämpft und uns bemüht zu sagen, wie wichtig es ist, in Europa sozialdemokratisch stark vertreten zu sein. Das ist doch ein Erfolg und das möchte ich unterstreichen", sagte Parteiobmann Werner Faymann in einer ersten Reaktion.

In einem Schreiben an Parteimitglieder wird das Wahlergebnis ebenfalls günstig dargestellt: "Nach den Wahlen zum EU-Parlament hält die SPÖ weiterhin fünf Mandate und konnte Boden in Richtung ÖVP gutmachen", hieß es. Danach wird die Niederlage des extremen Rechten Gert Wilders in den Niederlanden geschildert. Von Le Pen oder Ukip ist nicht die Rede in dem Newsletter.

Das zeigt recht gut das relative Verhältnis der politischen Parteien zum Wert von Erfolg. Die ÖVP verspricht, ob eines Verlustes nicht in Größenwahn zu verfallen; die SPÖ freut sich trotz Stagnation auf niedrigstem Niveau über eine Verringerung des Abstandes zum Mitbewerber.

Wer nun erwartet, dass Othmar Karas etwa von der ÖVP als EU-Kommissar protegiert wird oder dass die SPÖ kritisch mit ihrer Personalauswahl und Wahl-Strategie umgeht, wird enttäuscht. Erfolg ist, wenn ihn andere nicht haben. Camouflage hat Esprit und Courage ersetzt, und zwar so gründlich, dass die Täuschung zum Wert an sich wurde. Wer für seine Überzeugung und seine Haltung eintritt, wird in den großen Parteien gerne als Störenfried beiseite geschoben. Michaela Kauer von der SPÖ, aussichtslos auf Nummer 10 der Europawahl-Liste gereiht, bot einen sehenswerten, inspirierten Wahlkampf - mit Inhalten und lustigen Ideen. Unterstützt wurde sie dabei von ein paar Freunden, die SPÖ-Organisation tat sich jedoch sichtlich schwer mit ihr. Ihr Vorschlag, einen möglichen Angriff auf den kommunalen Wohnbau durch die EU-Kommission publizistisch zu nutzen, scheiterte an Ansprechpartnern in der SPÖ.

Wille zum Erfolg geht verloren

Auf deutlich höherem Organisationsniveau erging es Othmar Karas durchaus ähnlich. Auch er stützte sich stark auf sein 4000 Leute umfassendes Personen-Komitee - die brachten vermutlich mehr als die gesamte Vorarlberger Volkspartei. Kauer schaffte mit minimalem finanziellen Aufwand 1007 Vorzugsstimmen. Karas ärgerte sich, dass er das sechste Mandat ins Europaparlament nicht mehr schaffte.

Dieser Erfolgswille - gepaart mit konsequentem Handeln - ist den großen Partei-Organisationen eher unheimlich, obwohl starke Eigenleistungen von Kandidaten - nicht nur bei der Europawahl - ein stärkeres Abrutschen der Volks-Parteien verhindert. Doch der Normierungszwang schreckt starke Persönlichkeiten von der Politik eher ab. Denn die Normierung der Argumente führt auch zu einer Gleichschaltung der jeweiligen Wahrheiten.

Individualisten tun sich da schwer, was - bei allem Respekt - nicht gerade zu einer Verbesserung der "Human Resources" in den politischen Parteien führt. Und auf diesem Weg geht auch der Wille zum Erfolg irgendwann verloren. Die ÖVP hat die Nummer 1 verteidigt, die SPÖ leichte Zugewinne. Das stimmt zweifellos, aber es ist halt nur ein kleiner Teil des tatsächlichen Zustandes.