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Der Aufstand im Osten

Von WZ-Korrespondentin Karin Rogalska

Analysen

Die AfD erzielt im ostdeutschen Sachsen-Anhalt aus dem Stand knapp 25 Prozent - die Traditionsparteien brauchen neue Gegenstrategien.


Mit einer so hohen Zustimmung hat in der Bundesrepublik noch keine Partei den Ersteinzug in ein Parlament geschafft: Knapp ein Viertel der Wähler in Sachsen-Anhalt - 24,2 Prozent - stimmte am Sonntag für die rechtspopulistische Alternative für Deutschland (AfD). Bei den Traditionsparteien sitzt der Schock tief. Die CDU bleibt zwar mit dem amtierenden Ministerpräsidenten Reiner Haseloff und einem relativ stabilen Ergebnis von 29,8 Prozent der Stimmen (2011: 32,5 Prozent) stärkste politische Kraft. Auf die AfD hat sie aber nicht einmal 6 Prozentpunkte Vorsprung. Deutlich das Nachsehen hatten Die Linke (16,3 Prozent) und die SPD (10,6 Prozent), wobei den Sozialdemokraten mehr als die Hälfte ihrer bisherigen Wähler abhanden kam. Die Grünen stehen mit 5,2 Prozent nur wenig schlechter da als vor fünf Jahren.

Kaum ein Bundesland hat so viele Städte vorzuweisen, die Deutschlands Geistesleben und Geschichte so nachhaltig geprägt haben wie Sachsen-Anhalt. Der Aufschrei über den Aufstieg der AfD ist mehr als ein Entsetzen über den vollzogenen massiven Rechtsruck. Er geht einher mit der Sorge darum, ob der Wahlausgang in Sachsen-Anhalt die Absage an das markiert, worauf die Deutschen so stolz zu sein scheinen: Weltoffenheit, kulturelle Vielfalt und Innovation.

Das herkömmliche Politikverständnis trägt jedenfalls nicht mehr. Wahlvorhersagen galten bisher als verlässlich, insofern sie nicht extremistische Parteien betrafen. Bei der AfD Sachsen-Anhalt lagen jedoch zwischen Umfragewerten und Wahlergebnis knapp 10 Prozentpunkte. Auch die Hypothese, dass eine hohe Wahlbeteiligung die Parteien der Mitte stabilisiere, ist nicht mehr haltbar. In Sachsen-Anhalt gaben 61,1 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme ab, mehr waren es zuletzt 1998 - und profitiert haben davon just die Rechtspopulisten. Nicht nur Meinungsforscher und Politologen werden also umdenken müssen, was den Umgang mit der neuen Aufsteigerpartei AfD angeht, soll es in Sachsen-Anhalt künftig nicht von Extremisten wimmeln.

Umdenken müssen auch die Vertreter der Traditionsparteien, insbesondere des bürgerlichen Lagers, die mit bloßer Abgrenzung zur AfD offenbar nicht mehr weiterkommen. Ministerpräsident Haseloff nennt die Rechtspopulisten "Rattenfänger" und will nicht mit ihnen koalieren. Er selbst heizte aber zuletzt selbst die Stimmung an, als er Bundeskanzlerin Angela Merkel scharf wegen ihrer Flüchtlingspolitik kritisierte.

Die an der Fünf-Prozent-Hürde gescheiterte FDP positionierte sich als "Alternative für Demokratie", nahm den Rechtspopulisten damit aber nicht den Wind aus den Segeln. Dazu waren die Angebote der Spitzenkandidaten auch nicht angetan. So warb Haseloff für sich mit der Feststellung, dass er Ministerpräsident sei, präsentierte sich die SPD mit Spitzenkandidatin Katrin Budde als "kluge Wahl" oder wollte die an der Fünf-Prozent-Hürde gescheiterte FDP unter Frank Sitta "etwas aus Sachsen-Anhalt machen". Demgegenüber wusste sich die AfD als Partei der klaren Ansagen zu profilieren.

Das kam vor allem bei Erstwählern an, die in Sachsen-Anhalt kaum Perspektiven sehen. Im Rest der Republik wird über das Bundesland gern als den vergessenen weißen Fleck gewitzelt. Es ist Schlusslicht in den meisten Statistiken zu Investitionen und Wirtschaftskraft. Belastbare Straßen und Internetverbindungen sind Mangelware. Die Arbeitslosigkeit liegt bei knapp 11 Prozent, bei jungen Menschen unter 25 sind es 9,5 Prozent. Dabei gab es nach der Wiedervereinigung eine Vielzahl vielversprechender Initiativen, um das einstige Industrie-Mekka zukunftsfähig zu machen. Die meisten davon sind aber gescheitert, wovon die seit 2008 anhaltenden Pleiten in "Solar Valley" bei Bitterfeld-Wolfen zeugen. Gäbe es im niedersächsischen Wolfsburg nicht Volkswagen, wären Jobs noch dünner gesät.