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Am Ende des großen Boulevards

Von Walter Hämmerle

Analysen

Werner Faymanns Aufstieg und Ende. Ein politisches Porträt.


Wien. Immerhin: Im Abgang hat Werner Faymann sein Image Lügen gestraft. Ein Schicksal, wie es die Partei - und zuvorderst er selbst - seinem Vorgänger zumutete, wollte er sich ersparen. Damals, im Frühsommer 2008, drängte er Alfred Gusenbauer aus der Macht, überließ diesem aber noch pro forma den Kanzler für einige Monate. Zu sagen hatte Gusenbauer nichts mehr, er war von seiner Partei zur Unsichtbarkeit im Amt verurteilt. Faymann zog es vor, sofort zu gehen.

Ein paar Monate hätte sich Faymann womöglich noch halten können, nicht länger. Sein Kredit bei Partei und Wählern war spätestens mit dem Debakel des SPÖ-Kandidaten bei der Bundespräsidentenwahl aufgebraucht. Trotzdem trauten Unterstützer und Gegner Faymann zu, dem Schicksal noch einmal von der Schaufel zu springen. "Rechnen Sie weiter mit mir", erklärte Faymann am 3. Mai. Und bis zum letzten Augenblick hielten dem Kanzler seine Verbündeten in den Boulevardmedien die Treue. Doch die Bilder vom Aufstand gegen den Vorsitzenden beim Hochamt der Sozialdemokratie, dem 1.-Mai-Aufmarsch am Wiener Rathausplatz, waren zu übermächtig.

Medienkanzler

Die Verbundenheit der Kleinformate ließ sich der Kanzler mit Steuergeld viel kosten, und der Boulevard dankte es ihm mit wohlwollender bis hymnischer Berichterstattung. Es war dies eine der Achsen, die Faymann vom Wiener Rathaus, wo er als Wohnbaustadtrat von 1994 bis 2006 fungierte, zuerst in das Infrastrukturministerium und schließlich ins Amt des Parteivorsitzenden und Bundeskanzlers trug.

Eine andere waren persönliche Loyalitäten. Mit Kanzleramtsminister Josef Ostermayer verband Faymann eine jahrzehntelange politische Symbiose, die in der Wiener Mietervereinigung in den späten 1980ern begann. Für Ostermayer war dabei die längste Zeit die Rolle des Vertrauten reserviert, der im Hintergrund die Fäden zog - als Kabinettschef, als Staatssekretär und schließlich als Minister. Noch am Samstag orakelte Ostermayer von einer Kompromisslösung, die dem Kanzler ein Überleben sichern sollte. Doris Bures, heute Nationalratspräsidentin, zählt auch zu diesem zuletzt geschrumpften Zirkel. Sie stammt - wie Faymann - aus der SPÖ-Liesing.

Jugendfunktionär, Gemeinderat, Mietervereinigung, Stadtrat, Minister, Kanzler: Faymanns berufliche Karriere bewegte sich ausschließlich im geschlossenen System der roten Politik. Sogar seinen Zivildienst absolvierte er in einer SPÖ-Vorfeldorganisation. Und seine zweite Frau, Martina Ludwig-Faymann, ist Gemeinderätin für die Wiener SPÖ.

Politische Sphinx

Siebeneinhalb Jahre lang stand der 1960 geborene Faymann an der Spitze der Republik und der stimmenstärksten Partei. Diese Zeit hat nicht ausgereicht zu klären, was ihn im Innersten antreibt. Kritiker sind überzeugt: allein Ämter und Macht. In der Tat fällt es schwer, einen roten Faden aus Faymanns Karriere herauszulesen. Am ehesten noch sein striktes Nein zu einer FPÖ-Koalition, das er tatsächlich vom ersten bis zum letzten Tag seiner Kanzlerschaft predigte. Allerdings scheiterte er daran, diese Überzeugung auf die SPÖ in allen ihren Gliedern zu übertragen. Die rot-blaue Koalition im Burgenland kam im Frühjahr 2015 zustande. Dass er den Tabubruch akzeptierte, wurde seitdem gegen ihn in die Waagschale geworfen.

Das Thema Europa war Faymann zunächst bloßes Mittel zum Zweck. Dass er im Juni 2008 per Leserbrief an die "Krone" eine Kehrtwende in der SPÖ-Europapolitik verkündete und auf den Zug des EU-Skeptizimus aufsprang, galt seinen Kritikern als Ursünde von Faymanns Kanzlerschaft. Dass er sich in den Jahren danach zum überzeugten Europäer wandelte, wurde gewürdigt, aber der Makel blieb haften.

Es taugt als ironischer Treppenwitz, dass es ausgerechnet Europa war, welches den Kanzler am Höhepunkt der Flüchtlingskrise im Stich ließ. Erst nachdem klar war - diese Lesart der Ereignisse ist zumindest legitim -, dass die EU-Staaten an einer solidarischen Lösung scheiterten und Österreich 2015 rund 90.000 Hilfesuchende aufgenommen hatte, musste die Regierung die Notbremse ziehen. Egal, ob notwendig oder nicht: Für seine Kritiker hatte der Kanzler eine weitere 180-Grad-Wendung vollzogen, nachdem er im Nationalratswahlkampf 2013 vehement für die Einführung einer Vermögenssteuer eintrat, diese aber in den Koalitionsverhandlungen mit der ÖVP nicht durchzusetzen vermochte.

Was bleibt?

Was bleibt von den Regierungen Faymann? Überraschende Herausforderungen wie die Schuldenkrise nach 2008 und die Flüchtlingskrise wurden durchaus erfolgreich gemanagt. Langfristige Projekte versandeten. Die Arbeitslosigkeit bewegt sich auf Rekordhöhen, der Wirtschaftsstandort verliert an Wettbewerbsfähigkeit, die Stimmung bei Unternehmern wie Arbeitnehmern ist im Keller. Eine umfassende Staats- und Verwaltungsreform: Fehlanzeige. Im Bildungsbereich haben es sich SPÖ und ÖVP in den Schützengräben ihrer verwelkenden Ideologien bequem eingerichtet. Ein Konzept für Industriepolitik ist nicht zu erkennen.

Unter Faymann hat die Idee der großen Koalition, haben SPÖ und ÖVP einen Grad zuvor nicht für möglich gehaltener Erschöpfung erreicht. So gesehen könnte seine Kanzlerschaft durchaus als Zäsur in die Geschichte eingehen. Nur in welche Richtung, das ist heute noch nicht zu sagen.

Für seine persönliche Zukunft hat Faymann bereits eine vage Vorstellung: Er könne sich vorstellen, künftig in Brüssel aktiv zu sein.