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Zwei auf unmöglicher Mission

Von Brigitte Pechar

Analysen

SPÖ und ÖVP haben sich ihr Dilemma hart erarbeitet. Retten können sie sich auch nur selbst.


"Wenn wir dieses Schauspiel weiter liefern, ein Schauspiel der Machtversessenheit und der Zukunftsvergessenheit, dann haben wir nur noch wenige Monate bis zum endgültigen Aufprall, wenige Monate, bis das Vertrauen und die Zustimmung in der Bevölkerung restlos verbraucht sind."

Also sprach Christian Kern, damals noch nicht Bundeskanzler, am vergangenen Dienstag bei seinem ersten öffentlichen Auftritt nach der Wahl durch die SPÖ-Gremien. Ein Résumé, das das Problem punktgenau trifft. Aber wie konnte es so weit kommen?

Seit 1986 gelingt es den Regierenden immer weniger, dem spezifischen Rechtspopulismus mit linkem Einschlag, der ja eine Erfindung Jörg Haiders ist, etwas entgegenzuhalten. Bild und Wirklichkeit gehen da nicht immer konform. Denn die Fundamentaldaten der österreichischen Wirtschaft bilden den katastrophalen Zustand der Politik keineswegs ab. Zwar hat sich die anhaltende Wirtschaftskrise seit 2008 auch hierzulande niedergeschlagen und wird zunehmend in schlechter werdenden Arbeitsmarktdaten sichtbar. Eine hinreichende Erklärung für die Entfremdung zwischen Regierung und Wahlvolk liefern sie aber nicht.

Politik verließ sichauf Marketing

Dabei ist das Politikversagen durchaus nicht einfach nur herbeigeredet oder -geschrieben worden. Vielmehr hat die Politik - in der allgemeinen Hochzeit des Marketings zumal - mehr auf den Verkauf von Botschaften gesetzt. Es ging um den Schein. Spin-Doktoren haben die Herrschaft in den Ministerbüros übernommen. Inhaltsleere, völlig sinnentleerte Worthülsen wurden den Menschen vorgesetzt - wenn überhaupt ein Erklärungsversuch unternommen wurde.

Der Wandel kann sehr schön am Beispiel Viktor Klimas aufgezeigt werden. Dieser stand als Verkehrs- und Finanzminister durchaus noch im Ruf, ein Macher zu sein. Schließlich kam auch er als Quereinsteiger - er war Finanzvorstand bei der OMV - in die Politik. Nach vollzogenem CA-Deal (die rote Bank Autria schluckte damals die schwarze CA) und erfolgreichem TV-Duell mit Jörg Haider hatte sich Klima die Sporen für Höheres verdient. Kanzler Franz Vranitzky, der ebenfalls als Ex-Banker zuerst Finanzminister und dann erfolgreicher Kanzler wurde, erkor Klima 1997 zu seinem Nachfolger.

Statt Informationsarbeitgalt Presseabwehrarbeit

Mit Klima hat eine Zäsur in den Ministersekretariaten stattgefunden. Immer weniger wurde bei der Personalauswahl auf spezifische Fachkenntnisse Wert gelegt. Die Pressearbeit wurde vorrangig nicht als Informations-, sondern als Presseabwehrarbeit verstanden. Diese Strategie wurde unter Schwarz-Blau noch weiterentwickelt, indem fachkundige Ministerialbeamte von der Presse völlig abgeschirmt wurden. Für diese galt ein Sprechverbot mit Journalisten.

Hier geht es nicht um journalistische Eitelkeiten, sondern darum, fundierte Auskünfte über das Wirken verschiedener gesetzlicher Maßnahmen zu erhalten. Die Abschirmung von Fachwissen erfolgte aber nicht nur nach außen, sondern auch zunehmend nach innen. Eine Ödnis an Ideen, ein Austrocknen des Beamtentums war die Folge. Der Schein wurde immer mehr zum Sein.

Über die Jahre haben die Ministerialbeamten teilweise aufgegeben, haben sich zunehmend als ausführende Organe, nicht mehr so sehr als entwickelnde, kreative Akademiker an Zentralstellen empfunden. Das frustriert. Wo Fähigkeiten nicht nachgefragt werden, verdorren sie. Gleichzeitig wurde immer weniger Wert gelegt auf einen intensiven Gedankenaustausch mit Wissenschaftern, Künstlern und Wirtschaftstreibenden. Alfred Gusenbauer hat die rote Tradition der Gesprächszirkel mit führenden Köpfen des Landes, die Kreisky begründete und Vranitzky hochgehalten hatte, noch fortgeführt. Aber die Umsetzung von Ideen, das Bohren dicker Bretter, das Politikmachen, wurde immer weniger ernst genommen.

Hinzu kam die Unfähigkeit, sich direkt an die Bürger zu wenden. Diese Artikulationsunfähigkeit wurde den Politikern über Jahre antrainiert. Aalglatt sollten sie sein, auf alles eine Antwort haben - ohne tatsächlich etwas zu sagen. Einerseits aus Vorsicht gegenüber dem politischen Gegner, den Interessenvertretern da und dort, um nicht anzuecken, keine Debatten auszulösen. Aber vor allem aus Mangel an Konzepten im Hintergrund. Wer nicht weiß, wohin die Reise gehen soll, kann die Menschen nicht mitnehmen. Den Spitzenpolitikern ist der Gestaltungsanspruch abhandengekommen. W.o. noch vor Matchbeginn.

Heute verstehen die Bürger die Sprache der Politik nicht mehr. Das ist gewollt. Klare Botschaften werden vermieden - man könnte damit anecken, in eine Rechtfertigungsstrategie kommen.

Stolpersteine,wohin man schaut

Das alles hat auch sehr viel zu tun mit der Verfasstheit des Landes. Da sind die Sozialpartner und Lobbys, die Landeshauptleute - Stolpersteine und Querschläge allerorten. Kern hat dies bereits in seiner Antrittsrede im Parlament am Donnerstag erwähnt und die hohen Erwartungen an ihn zu dämpfen versucht mit dem Hinweis darauf, dass Österreich ein Land sei, das durch eine Vielzahl von Institutionen geprägt ist.

"In dieses geistige Vakuum, in diese Ritzen dieses Vakuums, dieses Gebäudes, kriecht natürlich umso leichter das Vorurteil und die billige Pointe." So hat Bundeskanzler Kern das in seiner Regierungserklärung im Nationalrat formuliert. Er nahm aber nicht nur die Regierung in die Pflicht, sondern auch die Opposition, von der er ebenso eine Änderung der Gangart erwartet wie von SPÖ und ÖVP. Das ist schon alleine aus demokratiepolitischer Sicht der richtige Ansatz. Es gibt keine Branche, die ihr Image so beschädigt, wie das die Politik in den vergangenen Jahren getan hat. Ihr Ansehen liegt gleichtief mit dem ältesten Gewerbe der Welt. Das zu ändern, muss im Interesse aller Parteien liegen - es ist eine demokratiepolitische Notwendigkeit.

Vorerst einmal hat Kern mit wenigen öffentlichen Auftritten eine Aufbruchsstimmung ausgelöst. Von dieser fühlte sich auch Vizekanzler Reinhold Mitterlehner erfasst, der Kern das Momentum des Neuen zubilligte: "Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne." Dem Vizekanzler war der Wille zu einer neuen Zusammenarbeit deutlich anzumerken.

Vielleicht war es kein Fehler von Kern, als einzige Ansage einen wirtschaftspolitischen Neuanfang anzukündigen. Damit hat er sich die erste Anerkennung des Vizekanzlers und Wirtschaftsministers gesichert, der ja noch dazu aus dem ÖVP-Wirtschaftsbund kommt. Dem Vizekanzler ist klar, dass er die ausgestreckte Hand des neuen Kanzlers ergreifen muss. Sie ist auch eine persönliche Überlebenschance für ihn. Denn ein Scheitern dieses neuen Teams würde auch sein Ende als Vizekanzler und ÖVP-Obmann besiegeln.

Der Anfang eines neuen Regierens ist getan. Jetzt müssen Kanzler und Vizekanzler zeigen, dass sie erstens Ideen für die Zukunft entwickeln können, die beide für sinnvoll erachten; dass sie diese Ideen in machbare Reformen umwandeln können und dass sie diese Vorhaben mit Nachdruck und Verve gegenüber den Interessenvertretern beider Seiten durchsetzen können. Und nicht ganz zu vergessen: Bei den neuen Vorhaben, die Kern als New Deal bezeichnet hat, sollten die Menschen mitgenommen werden.

Das erinnert an eine unmögliche Mission. Immerhin verbleiben SPÖ und ÖVP nur noch wenig mehr als zwei Jahre ihrer fünfjährigen Legislaturperiode. Wenn die beiden Regierungsparteien überhaupt bis zum Ende durchhalten. Fix ist das keineswegs.

Wenn die Politik wieder gestaltet, ein Ziel formuliert, wo dieses Land in einigen Jahren stehen soll, und dafür die ersten Grundsteine setzt - gut möglich, dass die Stimmung im Land wieder besser wird.

Dass bei Wahlen dann beide Regierungsparteien gewinnen, ist dennoch unwahrscheinlich. Dankbarkeit ist bekanntlich keine politische Kategorie.