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Unter Männern

Von Katharina Schmidt

Politik

Die Rede von ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner offenbarte die Schwächen der Volkspartei.


Wien. Der Mut hat dieser Tage Hochkonjunktur. Alexander Van der Bellen wirbt mit einer Strophe aus der Bundeshymne dafür, mit ihm gemeinsam "mutig in die neuen Zeiten" zu schreiten. Und nun hat auch die Volkspartei den Mut als erstrebenswerte Eigenschaft für sich erkannt.

Diesen neuen Mut in Zeiten der allgemeinen Verunsicherung wollte Parteichef und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner in seiner aufwendig inszenierten Grundsatzrede zur Lage Österreichs am Freitag in der Aula der Wissenschaften unterstreichen. Die Ausgangssituation dafür war freilich denkbar schlecht: Schon die Zusammensetzung des Publikums in dem -wenn auch vollbesetzten - Saal ließ starke Zweifel an der Dynamik aufkommen, die man sich selbst verordnet hatte. Ein Raum voller großteils älterer Herren, nur hie und da blitzte ein weibliches oder gar - noch seltener - jugendliches Gesicht auf. Fast schien es so, als hätte man aus medienstrategischen Gründen sämtliche jungen ÖVP-Anhänger hinter dem Podium positioniert. Strategisch bezeichnend auch die Auswahl des Ehrengasts: Der Botschafter von Kanada, Mark Bailey, sollte die Zustimmung der Schwarzen zu Ceta unterstreichen.

Angekündigt wurde Mitterlehners Rede von Generalsekretär Werner Amon, der sich einen Seitenhieb auf den Koalitionspartner nicht verkneifen konnte: Er kritisierte die Weigerung von Sozialminister Alois Stöger, die Mindestsicherung zu kürzen. Gleichzeitig ließ er in Richtung der Medien anklingen, dass er sich positive Berichterstattung über das Event wünsche.

Nun, diesen Gefallen kann man dem Neo-Generalsekretär kaum tun. Denn Mitterlehners Rede war wenig dynamisch. Selbst die Musik zu Beginn und am Ende, die an den Titelsong aus "Fluch der Karibik" gemahnte und offensichtlich das neue Tempo der Volkspartei unterstreichen sollte, konnte daran kaum etwas ändern. In der knapp einstündigen Rede riss der ÖVP-Chef zahlreiche Themen an. Er blieb die meiste Zeit auf der Sachebene - allerdings mit wenig Esprit, was im Publikum für entsprechend wenig Resonanz sorgte.

Gleich zu Beginn betonte Mitterlehner, dass er sich (ganz im Gegensatz zum jüngsten Match mit Bundeskanzler Christian Kern im Parlament, Anm.) nicht dem Regierungsstreit widmen werde: "Sie werden sicher nicht Simmering gegen Kapfenberg von mir erleben." Den Slogan "Nur Mut bringt uns weiter" erklärte Mitterlehner damit, dass viele Bürger "schlicht und einfach Zukunftsängste" hätten. Die ÖVP aber sei schon immer eine Partei der Mutigen gewesen: "Uns kennzeichnet Mut in alle Lebenslagen", meinte er und verwies auf die berühmte Weihnachtsrede Leopold Figls 1945. Generell suchte sich der ÖVP-Chef Anleihen aus Literatur und Politik: Von Churchill über Kreisky und Merkel bis hin zu Christoph Leitl kamen in der Rede zahlreiche Zitate unter.

Grundsätzlich stehe unsere Gesellschaft vor der "größten Herausforderung seit 1945" - und die Politik reagiere darauf, indem sie sich an Vorurteilen und Angst orientiere. Aber, sagte Mitterlehner unter Berufung auf den heuer verstorbenen früheren deutschen Außenminister Hans-Dietrich Genscher: "Die Politik darf nicht das Populäre, sondern das Richtige tun - und das Richtige dann populär machen."

Für seine Vorschläge bekam Mitterlehner freundlichen, aber recht verhaltenen Applaus: Die EU zum Beispiel müsse für die großen Probleme große Lösungen schaffen, sich aber nicht dort einmischen, wo die Staaten die Probleme subsidiär lösen könnten. Mitterlehner sprach sich, wohl mit Blick auf die Gastronomie, auch gegen rückwirkende Gesetze und für deren Befristung aus. Etwas länger verweilte er beim Stichwort "Nudging", einem Begriff aus der Verhaltensökonomie. Damit sollen die Bürger angestoßen werden, sich besser zu verhalten. "Vorschriften sind die Gegenwart, Nudging wird die Zukunft sein", sagte Mitterlehner.

Von Ceta über Maschinensteuer bis Mindestsicherung

Und weiter im Galopp: Mit Freihandelsabkommen habe man "überhaupt keine Probleme" - da konnte sich Mitterlehner einen Seitenhieb doch nicht verkneifen und kritisierte die "Verzwergung" der Ceta-Debatte. Abermals wiederholte er die ÖVP-Ablehnung einer Maschinensteuer -"es wäre defensiv, auf die Entwicklung der Industrie mit neuen Steuern zu reagieren" -, vielmehr forderte er eine Änderung der Berufsausbildung und eine Flexibilisierung der Arbeitszeiten. Er sprach sich gegen neue Schulden und für eine Senkung der Körperschaftssteuer aus. Bei der Mindestsicherung berief sich Mitterlehner auf die christdemokratische Haltung der Volkspartei: Die Mindestsicherung könne nur eine Überbrückungshilfe sein, weil "wir auch mit jenen solidarisch sein müssen, die mit ihren Beiträgen und Steuern das gesamte Modell finanzieren". Ein neues Argument.

Und dann doch nochStanding Ovations

Ebenfalls ein neuer Vorschlag kam mit seinem Wunsch, die Lehrlingsausbildung für erwachsene Flüchtlinge zu öffnen, um Geflüchteten bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Seine Tour d’horizon beendete der Vizekanzler mit Verweisen auf das Start-up-Programm und die Bildungsreform. "Es gibt viel zu tun, packen wir es an," schloss er - und erntete doch noch Standing Ovations.

Weniger wohlwollend fielen die Reaktionen der politischen Mitbewerber aus: Obwohl er diesmal direkte Attacken auf den Koalitionspartner unterlassen hatte, warf SPÖ-Bundesgeschäftsführer Georg Niedermühlbichler Mitterlehner vor, bei der Mindestsicherung vor den "Angstmachern" in seiner Partei in die Knie gegangen zu sein: "Mehr Mutlosigkeit geht kaum mehr."

Auch die Neos nahmen der ÖVP den Mut zu Reformen nicht ab. Sie fuhren mit auf Fahrradanhängern montierten Plakaten vor der Veranstaltung auf. "Heiße Luft schafft keine Jobs", hieß es da etwa.