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Kampfzone Frau

Von Judith Belfkih

Analysen

Vom Kopftuch bis zur Abtreibung - der weibliche Körper ist immer wieder Schauplatz von politischen Diskussionen.


Der Kampf um den Körper der Frau ist wieder entflammt. Aktuelles Thema ist einmal mehr das leidige Kopftuch, das Außenminister Sebastian Kurz jetzt gerne aus dem öffentlichen Dienst verbannt sähe. Sieht man keine Frauen mit Kopftuch, ist Integration geglückt, scheint die simple Formel dahinter zu sein. Ein Trugschluss, denn die einzige Konsequenz eines Kopftuchverbotes ist die Diskriminierung von muslimischen Frauen und Mädchen. Sie werden damit praktisch vom Staatsdienst ausgeschlossen, bleiben ob der Stigmatisierung ihrer Kopfbedeckung vermehrt zuhause und ziehen sich noch mehr in sogenannte Parallelgesellschaften zurück. Alles keine Effekte, die Integration fördern. Ganz im Gegenteil.

Frauen dazu zu bringen, ihr Kopftuch abzulegen, lässt sich nicht per Gesetz erreichen. Ein Verbot wirkt hier sogar kontraproduktiv und schürt die gesellschaftlichen Missstimmungen auf beiden Seiten. Nicht nur weibliche Muslime fühlen sich dadurch ein Stück mehr bevormundet und ausgegrenzt. Islamophobe Bürger bekommen gleichzeitig staatliche Rückendeckung für ihren Hass. Beides treibt eher die oft zitierte Spaltung der Gesellschaft voran, als einer Lösung auch nur einen Schritt weit näher zu kommen.

Der Schlüssel für Integration an sich und für die Kopftuchdebatte im Speziellen liegt in der von muslimischen Frauen immer wieder betonten Freiwilligkeit, mit der sie den Hidschab tragen. Jede Frau, die in einem muslimischen Land gelebt hat, weiß, wie sich diese Freiwilligkeit anfühlt. Die möglichst flächendeckende Körperbedeckung ist in vielen Ländern der einzige effektive Schutz davor, im öffentlichen Raum sexuell belästigt zu werden - sei es durch Blicke, Lichthupen oder klare verbale Angebote. Der Grund für den weiblichen Schleier ist also immer noch der männliche Blick. Er suggeriert der Frau, unterfüttert von einem entsprechenden gesellschaftlichen Moralkodex, dass ihr Körper etwas potenziell Sündhaftes an sich hat - und sei es nur dadurch, dass er den Mann zur Sündhaftigkeit anregt - und daher zu verhüllen ist. Eine Grundhaltung, von der sich das aufgeklärte und säkulare Europa zumindest in weiten Teilen der Bevölkerung vor gut 40 Jahren verabschiedet hat.

Frauen zu erklären, dass sie in Europa auch ohne Kopftuch geschützt sind, durch einen gesellschaftlichen Kodex und lange erkämpfte Rechte für Frauen, dass sie sich hier also gefahrlos frei bewegen können, diese Erkenntnis ist das Einzige, das diese kollektiv eingeprägte Freiwilligkeit verändern kann. Denn das Tragen des Kopftuchs ist auch in der arabischen Welt kein eindeutiger Indikator für Frömmigkeit, oft ist es ein Spiegelbild traditioneller, konservativer Kräfte. Es gibt ebenso tiefgläubige Muslimas ohne Kopftuch wie solche, die sich nur aus sozialen Gründen oder aus Gewohnheit bedecken.

Die Aufklärungsarbeit in Europa müsste demnach nicht nur bei den Frauen ansetzen, sondern genauso mit den Männern beziehungsweise den Vätern und Brüdern passieren. Nur eine Frau, die freiwillig oben ohne geht, das Kopftuch also aus freien Stücken ablegt, zählt in dieser Debatte als vermeintlicher Erfolg.

Ein offenes, tolerantes Europa muss sich jedoch auch - jenseits dieser angestrebten Enthüllungsfreuden - überlegen, ob es wirklich das Kopftuch ist, an dem sich der Grad der Integration messen lässt. Und es muss zur Diskussion stellen, ob es sich ausschließt, ein Kopftuch zu tragen und Europäerin zu sein. Die Gefahr, die viele von diesem Stück gebundenen Stoffs ausgehen sehen, lauert ganz woanders. Nämlich in dem, was sich nicht nur in den von Tüchern bedeckten Köpfen befindet - in den Gedanken und Gesinnungen aller Mitglieder einer Gesellschaft. Hier klare, nüchterne Regelungen bezüglich Hass- und Hetzpredigten auf beiden Seiten oder auch der Straffälligkeit von Asylwerbern zu beschließen, ist wesentlich sinnvoller, als beliebig Kleidervorschriften zu setzen.

Dabei muss sich die viel beschworene Wertegemeinschaft Europa jenseits des plakativen Diskurses auch mit den Fragen beschäftigen, die hier im wahrsten Sinne des Wortes verschleiert werden: Welche Werte sind für unser Zusammenleben unabdingbar? Wie müssen wir die Regeln für ein gesellschaftliches Miteinander neu denken und schreiben? Wie können wir gemeinsam an einer Gesellschaft bauen, in der sich niemand bedroht oder ausgegrenzt fühlt? Egal, ob mit Kopftuch oder ohne. Sind diese Fragen grundsätzlich geklärt, spielen Äußerlichkeiten wie Kleidung keine Rolle. Die aktuelle Debatte tut jedenfalls herzlich wenig für ein de-radikalisierendes Miteinander.

Dass es bei der Kopftuch-Diskussion nicht um Säkularisierung geht, das hat mit Staatssekretärin Muna Duzdar auch die Regierung erreicht. Auch sie stört an der Debatte, dass es nur um Muslime geht, von Kippas, Turbanen oder Kreuzen nie die Rede ist. Im Interview mit der "Wiener Zeitung" analysiert sie, dass es hier darum geht, "gegen die Mitglieder dieser Religion Stimmung zu machen".

Dass die gesellschaftliche Stimmung maßgeblich an der Wahl dieser populistischen Schaukämpfe ist, zeigt auch die Burkini-Debatte vergangenen Sommer. Vor dem Hintergrund der Anschläge in Paris und Nizza entlud sich die Frustration (nicht nur) der Franzosen an der Badebekleidung einiger weniger Frauen. Stellvertretend für alle jene Faktoren, die für das großflächige Scheitern von Integration und die dadurch resultierende Radikalisierung junger Muslime verantwortlich sind.

Doch gesellschaftliche Kämpfe werden nicht nur auf dem Körper von Frauen ausgetragen, sie werden auch um den Körper der Frau selbst geführt - jenseits vom Islam und Integration. Auch die Abtreibungsdiskussion, die im Sommer in Polen die Gemüter erhitzte, bedient ein ähnliches Muster. Auch hier wird ein plakatives Thema vorgeschoben, um sich dem Eigentlichen nicht widmen zu müssen. Um Frauen dazu zu animieren, Kinder zu bekommen, ist ein Verbot der Abtreibung kein probates Mittel. An den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zu arbeiten, wäre der konstruktivere Weg, der Frauen in ihrer Selbstbestimmung unterstützt und sie nicht in die Illegalität treibt. Doch Bedingungen - von Betreuung über finanzielle bis zu struktureller Unterstützung - zu schaffen, in denen Menschen beiderlei Geschlechts sich dazu entschließen, ein Kind in die Welt zu setzen, bedeutet mehr Arbeit, als ein Gesetz zu erlassen.

Die Debatten, die auf und um den weiblichen Körper geführt werden, sind letztlich sehr männliche Diskurse: Im Falle der Abtreibung ist es der Kampf um die Kontrolle über die Fortpflanzung, in den diversen Verhüllungsdiskussionen geht es um die Kontrolle des eigenen, männlichen Triebes. In beiden Fällen ist es dringend notwendig, den Schauplatz zu wechseln und den Kampf vom Körper der Frau dorthin zu verlegen, wo er auch gelöst werden kann. Als Thema, das alle angeht.