Zum Hauptinhalt springen

Zwei Gegner und ein lachender Dritter

Von Walter Hämmerle

Analysen
Die FPÖ kann sich freuen, wenn es SPÖ und ÖVP zerreisst.
© wz (Quelle: fotolia)

Die verbitterte Konkurrenz von SPÖ und ÖVP gibt Strache, was Le Pen verwehrt bleibt. Eine Analyse.


Etwas Neues wird kommen, so viel immerhin steht fest: Der müde Gaul der großen Koalition wurde von SPÖ und ÖVP zu Tode geritten, Österreichs Politik wird nach den Nationalratswahlen ein völlig neues Gesicht haben. Das rückt die Rolle der FPÖ in den Fokus, zumal ein Dreikampf zwischen Christian Kern (SPÖ), Sebastian Kurz (ÖVP) und Heinz-Christian Strache (FPÖ) die Wahrscheinlichkeit einer alternativen Mehrheit - rot-grün-pink oder schwarz-grün-pink - bescheiden hält. Nicht zuletzt deshalb werden Kern wie Kurz die Tür zu Strache im Wahlkampf weit offen halten.

Warum tickt hier Österreich anders als Frankreich? Marine Le Pen und ihr Front National haben es trotz 34 Prozent bei den Präsidentschaftswahlen nicht geschafft, zu einem akzeptierten Partner aufzusteigen. Im Gegenteil: Hinter Emmanuel Macron, dem neuen Präsidenten, versammelten sich Sozialdemokraten, Liberale, Grüne, Zentristen und Konservative, um Le Pen zu verhindern. Einzig die extreme Linke verweigerte sich diesem "cordon sanitaire".

Zwar verdankt auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen seine Wahl einem breiten Bündnis von ganz weit links bis in die rechte Mitte gegen den Kandidaten der FPÖ, Norbert Hofer. Trotzdem ist der Umgang der österreichischen Politik mit der FPÖ ein völlig anderer als jener der französischen mit dem Front National. Immerhin regiert im Burgenland Rot-Blau und in Oberösterreich Schwarz-Blau; hinzu kommt die Tradition der Proporzregierung in vielen Ländern und allen Gemeinden.

Aber es wäre zu einfach, die Unterschiede nur mit verfassungsrechtlichen Spielregeln zu erklären, obwohl zweifellos das französische Mehrheitswahlrecht eine grundlegend andere Dynamik entfaltet als das strikte österreichische Verhältniswahlrecht.

Eine mindestens so wichtige Rolle spiel die politische Kultur. In Frankreich bildet die Erzählung von der "Résistance", dem Widerstand gegen die NS-Besatzer, einen Kitt, der alle republikanischen Parteien bis heute zusammenhält. Dass es daneben auch ein anderes Frankreich gab, das kollaborierte? Weitgehend vergessen und verdrängt. Auch die Stunde Null der Zweiten Republik beruht auf der Zusammenarbeit der anti-faschistischen Parteien, also von SPÖ, ÖVP und KPÖ.

Die ÖVP begann, die SPÖ folgte

Doch anders als in Frankreich geriet das Bekenntnis zum Anti-Faschismus schnell zum Lippenbekenntnis, das sich an der Nützlichkeit orientierte. Ab den Nationalratswahlen 1949, bei denen 90 Prozent der 550.000 als NS-belastet eingestuften Österreicher wieder wählen durften, warb nicht nur der neu gegründete Verband der Unabhängigen (VdU) als Vorläufer der FPÖ um diese Zielgruppe, sondern auch SPÖ und ÖVP.

Für beide Großparteien hatte das Ziel, Nummer eins zu werden oder zu bleiben, stets Vorrang vor einer konsequenten Abgrenzungspolitik nach Rechtsaußen. Schon 1953 sondierte die ÖVP Koalitionsmöglichkeiten mit dem VdU, um Begehrlichkeiten der SPÖ auf mehr Macht in der Regierung entgegenzutreten. Der damalige Bundespräsident Theodor Körner, von der SPÖ nominiert, legte jedoch ein Veto ein.

Als Nächstes war dann die SPÖ an der Reihe. 1970 bot Bruno Kreisky der FPÖ und ihrem Parteichef Friedrich Peter, einem ehemaligen Mitglied der Waffen-SS, eine für beide günstige Wahlrechtsreform im Gegenzug für die Tolerierung einer roten Minderheitsregierung an. Die Blauen schlugen ein, und im Jahr darauf, eroberte die SPÖ die absolute Mehrheit, die sie bis 1983 nicht wieder abgab. "Der Vater der neuen, der starken FPÖ heißt Bruno Kreisky", erklärte 1973 Anton Pelinka im "profil".

Ausgerechnet Kreisky, der agnostische Jude, der die NS-Zeit im Exil überstand, zeigte ebenfalls keine Berührungsängste mit ehemaligen Nationalsozialisten in der eigenen Partei. Sechs davon erhob er sogar zu Ministerehren, die Rolle einer diesbezüglichen "Jobbörse" hatte der Bund Sozialistischer Akademiker (BSA) inne, der etlichen Ehemaligen bei ihrem Aufstieg in der Republik die Leiter machte. Kreiskys er- und verbitterter Streit mit Simon Wiesenthal war zweifellos ein Tiefpunkt.

Alle Versuche, die FPÖ von außen zu zähmen, scheitern

Auf ÖVP-Seite waren weniger ehemalige Nationalsozialisten aktiv, einer war Eduard Wallnöfer, später Tiroler Landeshauptmann. Das hing damit zusammen, dass es eine starke personelle Kontinuität vom Ständestaat gab, der nicht nur die Nazis, sondern auch Sozialdemokraten in die Gefängnisse steckte. Antisemitismus war Teil dieser Kontinuität: So schreckte die ÖVP 1970 nicht davor zurück, Kanzler Josef Klaus als "echten Österreicher" zu plakatieren - eine offene Anspielung auf den Juden Kreisky.

1983 verlor Kreisky die Absolute und fädelte vor seinem Abgang noch eine Koalition mit der FPÖ ein. In seinen Memoiren erläuterte er die Annäherung an die FPÖ so: "Im Übrigen war ich der Meinung, dass innerhalb der Freiheitlichen Partei denen eine Chance eingeräumt werden müsse, die aus ihr eine liberale Partei machen wollten. Dies schien mir umso wichtiger, als der politische Liberalismus in Österreich seit Langem tot war (. . .). Die katastrophale Folge davon war, dass bürgerlich Liberale, mit denen man ein ganzes Stück des Weges hätte gemeinsam gehen können, in die bürgerliche Front gedrängt worden waren und damit zur Verstärkung des klerikalen Elements beitrugen. Hätte man eine Partei gehabt, die ihnen einerseits in ihrer bürgerlichen Gesinnung entsprach, andererseits aber auch ihren Liberalitätstendenzen entgegenkam, so hätte man einen Partner gefunden. (. . .)."

Man könnte Kreiskys Umgang mit der FPÖ auch einfach nur Machtpolitik nennen. Für SPÖ wie ÖVP war und ist die FPÖ vor allem Mittel zum Zweck, den jeweils anderen zu bekämpfen.

Die FPÖ zu einer liberalen Partei zu machen, haben seitdem viele versucht. Bis jetzt vergeblich. Aber allein schon der Zugang, die FPÖ durch Einbindung verändern zu wollen, zeigt den himmelweiten Unterschied zum Umgang mit dem Front National in Frankreich.

Die Koalition mit der SPÖ ließ die FPÖ in den 1980ern an die Existenzschwelle abstürzen. In dieser Situation riss 1986 Jörg Haider die Partei an sich und stellte den liberalen Flügel kalt. Er formte aus der FPÖ eine Partei ganz neuen Typs: Eine Kampagnenmaschinerie im Non-Stopp-Modus, mit ihm als Superstar, eine Anti-System-Partei für alle Enttäuschten, die mit ständigen Volten überraschte und immer wieder mit Versatzstücken der NS-Zeit hantierte.

Franz Vranitzky kündigte nach der Wahl Haiders Rot-Blau auf, und erklärte die Freiheitlichen zum Tabu. Die "Vranitzky-Doktrin" war geboren. Seitdem arbeiten sich das halbe Land und sämtliche Medien an der Frage der Koalitionsfähigkeit der FPÖ ab. Die Tabuisierung der Blauen hatte, wenn man von Fragen der Moral einmal absieht, vor allem zwei Konsequenzen: Sie sicherte der SPÖ den Kanzler und zwang die ÖVP als Nummer zwei in die Rolle des Juniorpartners.

Dank SPÖ und ÖVP schaden der FPÖ auch ihre Skandale nicht

So gesehen ist es wenig verwunderlich, dass seitdem vor allem aus der ÖVP immer wieder Vorstöße für eine schwarz-blaue Koalition kamen, um sich aus der ungeliebten großen Koalition zu befreien. Bürgerliche Parteien neigen dazu, Pragamatismus über Moral-Debatten zu stellen.

Dass es, nachdem es im Februar 2000 unter heftigen Schmerzen und hohen Wellen schließlich zur ersten schwarz-blauen Koalition kam, heute immer noch ein Thema ist, ob eine Zusammenarbeit mit der FPÖ zulässig ist, hat sich die FPÖ selbst zuzuschreiben: Das Ausmaß an Unfähigkeit und krimineller Energie, die im Bund und dann in Kärnten in den blauen Reihen zutage getreten ist, haben die Debatte neu befeuert. Etliche Korruptionsverfahren und mit der Hypo Alpe Adria die größte Pleite der Zweiten Republik legen beredtes Zeugnis davon ab.

Aber weil es der Partei dank SPÖ und ÖVP trotzdem gelungen ist, immer stärker zu werden, ist die FPÖ erneut ein Faktor. 46 Prozent für Norbert Hofer lassen daran wenig Zweifel. Und irgendwann gerät schließlich auch der Ausschluss einer immer stärker werdenden Minderheit von der Macht zur Grenzfrage für die Demokratie.

Dass selbst ausgewiesene Linke für Rot-Blau im Burgenland plädierten, um Schwarz-Blau zu verhindern, veranschaulicht das Dilemma, in das sich SPÖ und ÖVP hineinmanövrierten: Beide betrachten sich nach wie vor als die einzigen Fixsterne im österreichischen politischen Universum, um die alle anderen kreisen.

Dabei besteht die durchaus paradoxe Möglichkeit, dass ausgerechnet diese betriebsblinde Selbstbezogenheit von SPÖ und ÖVP dazu führt, dass Kern und Kurz die FPÖ nach unten redimensionieren. Dann bestünde endlich die Chance, dass sich ein demokratiepolitisch notwendiges Wechselspiel zwischen Mitte-Links und Mitte-Rechts an der Regierung einpendelt. Scheitert auch dieser Versuch, geht Österreich durch das Fegefeuer einer FPÖ-Kanzlerschaft.