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Politik nationaler Egozentrik

Von David Ignatius

Analysen
Der Autor war Chefredakteur der "International Herald Tribune". Seine Kolumne erscheint auch in der "Washington Post".

Die Bedeutung internationaler Bündnisse und Verpflichtungen schwindet - in der Trump-Welt ist Gewinnen nicht das Wichtigste, es ist das Einzige.


In Erbil, der Hauptstadt des irakischen Kurdistan, heißt es - vor dem Hintergrund des Unabhängigkeitsreferendums im September - "Kurdistan zuerst".

Im angrenzenden Saudi-Arabien heißt es "Saudi zuerst" - ein ungestümer junger Kronprinz will dem Königreich mehr Geltung in der Region verschaffen.

In Moskau, das ich vor kurzem besucht habe, heißt es "Russland zuerst", und zwar exzessiv.

Und so ist das heute fast überall. Der nahezu allgegenwärtige Slogan lautet: "Hol’s dir". Der wichtigste Katalysator dieser Politik der nationalen Selbstsucht ist ganz offensichtlich US-Präsident Donald Trump. Gleich zu Beginn seines Wahlkampfs hatte er seine Vision von "Amerika zuerst" verkündet, wonach die Interessen der USA, seiner Unternehmen und Belegschaften wichtiger sind als internationale Verpflichtungen. Trumps Kritiker, und ich zähle mich dazu, argumentieren, dass diese selbstsüchtige Haltung die USA schwächt, indem durch sie das Netzwerk der globalen Verbindungen und Institutionen, auf dem die Stärke der USA basiert, geschreddert wird. Niemand will in der Trump-Welt der Dumme sein. Trumps Egozentrik ist ansteckend. Der neue Realismus: Gewinnen ist nicht das Wichtigste, es ist das Einzige.

Nahostpolitiker sind bemerkenswert aggressiv, wenn es darum geht, ihre Versionen nationaler Interessen durchzusetzen. Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate widersetzen sich dem dringenden Rat von US-Außenminister Rex Tillerson, ihre Blockade gegen Katar nicht weiter eskalieren zu lassen. Aus ihrer Antwort spricht Selbstbezogenheit: Will Katar mit den Golf-Arabern verbündet sein, muss es deren Regeln akzeptieren. Sonst droht der Ausschluss. Die Führer des irakischen Kurdistan stehen vor der Frage, ob sie ihren Unabhängigkeitstraum noch etwas aufschieben können. Aber sie haben sich bereits dafür entschieden, ihr Referendum durchzuziehen - trotz aller Bedenken hochrangiger US-Regierungsbeamter, diese Volksabstimmung könnte die Bemühungen der USA, den Irak zusammenzuhalten, untergraben und somit die Region destabilisieren. Das ist nicht unser Problem, drückt die Haltung der Kurden aus: Wir müssen tun, was für unsere Leute gut ist. Wer macht nicht mit bei diesem Ich-zuerst-Gerangel? Am ehesten die Europäer. Frankreich und Deutschland, die beiden Hauptakteure, halten an der Überzeugung fest, dass ihr Schicksal von etwas Größerem abhängt als bloß von nationaler Egozentrik. Angst und Nationalismus haben Europa erschüttert, aber nicht überwältigt. Auch China bewahrt das Bild, dass es für etwas Größeres als nur sich selbst steht - für von China angeführte gegenseitige Abhängigkeit.

Die Frage ist, wie Harvards Graham Allison in seinem provokativen neuen Buch "Destined for War" (Für den Krieg bestimmt) schreibt, ob die sich ausweitende Vormachtstellung Chinas mit der schwindenden Vormachtstellung der USA kollidieren wird.

In der Trump-Welt mag an der Politik der Egozentrik kein Weg vorbeiführen. Diese ist aber grundsätzlich nicht imstande, ein globales System aufzubauen. Das ist verhängnisvoll.

Übersetzung: Hilde Weiss