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Die Spannung kehrt zurück

Von Walter Hämmerle

Analysen

Die Folgen der Affäre Silberstein für das Wahlergebnis sind völlig offen. Alles ist möglich.


Wien. SPÖ gegen ÖVP: Das ist Brutalität, die wahrscheinlich sogar den kürzlich verstorbenen Otto Wanz abgeschreckt hätte. Weil der einzige heimische Show-Wrestler von Relevanz wusste, dass bei seinen Kämpfen die Faustschläge und Untergriffe eben nur vorgetäuscht waren. Es sollte nur echt wirken. Bei den beiden Parteien, die die Republik gemeinsam gegründet und dann über Jahrzehnte hinweg regiert haben, ist dagegen alles echt: die Abneigung, die Wut und das Gefühl, betrogen worden zu sein. Nur die Fakten, die sind heftig umstritten.

Die Auswüchse der Affäre rund um den israelischen Wahlkampfberater Tal Silberstein haben einen langen Wahlkampf am Ende völlig entgleisen lassen. Während sich also SPÖ und ÖVP mit einer bis vor kurzem unvorstellbaren Leidenschaft vor Publikum und wechselseitig die persönliche wie politische Ehre absprechen, zieht auf der anderen Seite des politisch-medialen Komplexes eine neue, ebenfalls bisher unbekannte Bescheidenheit ein: Wie sich die mittlerweile fast täglich überschlagenden Ereignisse auf das Wahlergebnis am nächsten Sonntag auswirken werden, traut sich kaum ein Beobachter verlässlich einzuschätzen. Sogar meinungsstarke Journalisten fügen dieser Tage wieder ein "vielleicht" oder "womöglich" in ihre ansonsten apodiktischen Vorhersagen ein.

Die aktuellen Turbulenzen und ihre unbekannten Folgen für das Stimmverhalten am Sonntag zeigen der Meinungsforschung ihre natürlichen Grenzen auf. "Die Wahlumfragen sind in Permanenz obsolet", erklärt stellvertretend für die Branche Peter Hajek von Public Opinion Strategies. In solchen Zeiten der quasi wissenschaftlich verbürgten Ungewissheit blühen natürlich die Spekulationen. Im Folgenden eine kleine Orientierungshilfe - notwendigerweise ohne Gewähr.

Geteiltes Leid,halbes Leid?

Welchen Parteien schaden die jüngsten Ereignisse? Zu Beginn der Affäre, als öffentlich wurde, dass die Facebook-Seiten gegen Kurz in Auftrag des SPÖ-Beraters Silberstein und mit den Geldern der Partei initiiert und betrieben wurden, galt die Angelegenheit als Super-GAU für die ohnehin angeschlagene Kanzlerpartei. Seitdem auch massiv über eine Rolle der ÖVP diskutiert wird, ist das längst nicht mehr so klar.

Die SPÖ hinkte schon lange vor dem Auffliegen der Causa Silberstein in den Umfragen der ÖVP hinterher; dieser harte Kern der sozialdemokratischen Wähler könnte sich nun in der Krise als robust erweisen, eben weil die Wechselwähler längst das Weite gesucht haben. So gesehen liegt die SPÖ zwar noch immer schlecht im Rennen um den Kanzlerjob, aber ein Absturz ins Bodenlose erscheint eine Woche vor der Wahl als wenig wahrscheinlich.

Ganz anders stellt sich die Situation aus Sicht der ÖVP dar. Ihren Höhenflug in den Umfragen verdanken die Türkisen ihrem Zuwachs an Wechselwählern aus freiheitlichen Gefilden. Die könnten es sich jetzt kurzfristig noch einmal anders überlegen. So gesehen droht der ÖVP möglicherweise ein größerer Schaden durch die irrlichternde Silberstein-Affäre als der SPÖ, die an deren Wiege stand. Das muss man nicht verstehen, möglich bleibt es trotzdem.

Was uns direkt zur nächsten Frage führt: Wer profitiert von der fortgesetzten rot-türkisen Selbstbeschädigung?

Grundsätzlich können sich alle anderen Parteien berechtigte Hoffnungen machen, als Trittbrettfahrer von der Schlammschlacht der beiden Kontrahenten zu profitieren. Und dies erste Reihe fußfrei. Der klassische Albtraum der kleineren Parteien - also in diesem Fall die Grünen, Neos und die Liste Pilz -, in den entscheidenden Tagen vor der Wahl keine Rolle in der Auseinandersetzung mehr zu spielen, erweist sich dieses Mal als ungewohnter Vorteil: Weil sie eben nicht mit im Sumpf stecken, gibt es wohl Zulauf verschreckter oder verärgerter Wähler. Diese Entwicklung hat das Potenzial, das Wahlergebnis am Wahlabend noch nachhaltig zu verändern: Ob fünf oder sechs Fraktionen dem nächsten Nationalrat angehören, ist kein kleiner Unterschied.

Die Blauenals lachender Dritter?

Bleiben die möglichen Folgen der turbulenten Schlussphase des Wahlkampfes für die FPÖ. Lange vor dessen Beginn hatten sich die Freiheitlichen ja eigentlich gute Chancen ausgerechnet, im Rennen um Platz eins ein gewichtiges Wort mitreden zu können. Diese Hoffnung hat sich dann mit der Übernahme der SPÖ durch Christian Kern und, ein Jahr später, der ÖVP durch Sebastian Kurz schnell erledigt. Für die FPÖ ging es nur darum, ein Plus vor dem Wahlergebnis von 2013, das bei 20,5 Prozent lag, zu verbuchen. Und ein solcher Art bestätigter dritter Platz würde dann auch die Türen zu einer Regierungsbeteiligung weit öffnen. Die FPÖ brauchte gar keinen Triumph, um alle ihre Ziele zu erreichen.

Jetzt kann die Partei, die einen relativ gemäßigten und wie üblich hochprofessionellen Wahlkampf führt, noch einmal neue Hoffnung schöpfen: Plötzlich stehen ausgerechnet die Freiheitlichen mit verhältnismäßig weißer Weste da, während sich SPÖ und ÖVP gegenseitig mit Dreck bewerfen. Die Chance auf Platz zwei ist damit wieder gewachsen, und viel spricht dafür, dass alle drei großen Parteien wieder näher zusammenrücken. Auch das könnte massive Folgen für die Bildung der neuen Regierung haben.

Und das groß angelegte Wählervertreibungsprojekt der Wahlkampfmanager könnte schließlich auch die Erwartung zerbröseln lassen, die Wahlbeteiligung könnte wieder in Richtung 80 Prozent steigen, nachdem sie 2013 bei 75 Prozent und 2008 bei 79 Prozent lag. Womöglich sinkt die Wahlbeteiligung nach den ungustiösen Vorkommnissen der letzten acht Tage nun aber ein weiteres Mal in Richtung 70 Prozent.

Kein Totalschadenfür die Demokratie

Es gibt aber auch Stimmen, die bei der Beurteilung der Affäre für das politische System für Augenmaß und kühlen Kopf plädieren. "Es ist ein Stärkezeichen für die Demokratie, dass so etwas aufgedeckt wird und den Parteien schadet, die dafür die Verantwortung tragen", findet der Politologe Anton Pelinka. "Das ist Demokratie. Der Täter wird bestraft. Was will man denn mehr haben?"

Ein Versäumnis beklagt aber auch Pelinka: "Es wird viel zu viel über die Performance der Parteien und über ,Dirty Campaigning‘ geredet." Kein Wort werde jedoch darüber verloren, was die österreichischen Parteien von den EU-Reformvorstellungen von Frankreichs Staatspräsident Macron und EU-Kommissionspräsident Juncker halten: Das ist viel zu wenig vorgekommen. Dabei ist das viel wichtiger für Österreich als eine verlogene Wahlkampagne."

Pelinkas Gesamturteil über den Wahlkampf fällt entsprechend harsch aus: Beschämend und provinziell sei er gewesen, der Wahlkampf. Und das Schlimmste: Er ist noch immer nicht vorbei.