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Die Geister, die er rief . . .

Von Konstanze Walther

Analysen

Analyse: Kataloniens Regierungschef Carles Puigdemont flirtete lange mit der Idee der Unabhängigkeit, um mehr Rechte für Barcelona zu erwirken. Madrid mauert nach wie vor - und Puigdemont schiebt die Entscheidung Tag für Tag auf.


Barcelona. Sind die Katalanen ein eigenes Volk? Werden sie von Madrid unterdrückt? Nein, sagen viele internationale Verfassungsrechtler. So sähe es ganz und gar nicht aus. Die Katalanen gehören zu Spanien. Und Katalonien hat ein Autonomiestatut. Das bedeutet wiederum, dass sich Barcelona nach der gängigen Auslegung des Selbstbestimmungsrechts der Völker nicht einseitig von Madrid loslösen kann.

Fragt man bei jenen Katalanen nach, die nach Unabhängigkeit streben, so weisen sie daraufhin, dass sie sehr wohl ein eigenes Volk sind - und ihre eigene Sprache hartnäckig pflegen, wie viele Barcelona-Urlauber wohl schon am eigenen Leib erfahren haben. Katalanisch oder Englisch, aber keine Silbe der Sprache der Zentralregierung! Dass die nach Katalonien entsandte nationale Polizei und die Guardia Civil die Abstimmung vom vergangenen Sonntag derart gewaltsam zu verhindern versuchten, lieferte Sezessionsbefürwortern natürlich die Steilvorlage: Seht her - was ist das, wenn nicht Unterdrückung? Wir können nicht einmal in Ruhe und Frieden wählen.

Dass es zu der Polizeigewalt gekommen ist, scheint dem gerissenen Geduldsfaden des spanischen Premierministers Mariano Rajoy geschuldet zu sein. Denn bei der vorletzten Abstimmung in Katalonien über die Unabhängigkeit im November 2014 hieß es von der Regierung Rajoy bloß lapidar, es sei weder ein Referendum noch eine aussagekräftige Befragung. Auch diesmal hatte Madrid von Anfang an gesagt, die Abstimmung (bei der 90,18 Prozent der Teilnehmer für die Unabhängigkeit stimmten) sei wertlos.

Umso größer war die Fassungslosigkeit über die ausufernde Polizeigewalt bei einem Referendum, dem Madrid sowieso kein Gewicht geben wollte. Damit bekam Barcelona die moralische Überlegenheit, auch wenn nicht alle kursierenden Fotos, die blutüberströmte Gesichter zeigen, tatsächlich vom Tag der Abstimmung stammen. Aber es gibt genug authentische Bilder, die die internationale Meinung beeinflussen und das auch sollen.

Puigdemont hatte in seiner Antrittsrede im Februar 2016 vollmundig erklärt: "Es sind keine Zeiten für Feiglinge!" Man werde den Weg zur Unabhängigkeit unbeirrt gehen, versprach der Chef der liberal-separatistischen Allianz Junts pel Si (Gemeinsam fürs Ja), der mit der Unterstützung der kleinen linksradikalen Partei CUP gewählt worden war, damals. Er war an die Spitze gespült worden, weil die CUP den nationalistischen, aber konservativen Ex-Premier Artur Mas nicht unterstützen wollte. So führte Puigdemont eine Regierungskoalition an, deren einziger gemeinsamer Nenner der Feind - nämlich die Zentralregierung in Madrid - war.

Abgestimmt, und nun?

Der CUP ist auch jene Partei, die seit der Abstimmung vom Sonntag immer wieder geschickt in spanischen Medien lanciert, man werde wohl kommenden Montag die einseitige Unabhängigkeitserklärung abgeben.

Puigdemont verhält sich hier deutlich verhaltener. Er spielt auf Zeit, er muss taktieren, denn sein Spielraum hat sich verengt. Zu lange hat er den Katalanen die Selbstbestimmung in leuchtenden Farben geschildert, und die Ausschreitungen vom Sonntag haben den Unabhängigkeitsbestrebungen quasi rückwirkend Argumente geliefert. Jener Teil der Bevölkerung, der eine Löslösung von Spanien will, ist zweifellos heute noch glühender für die Unabhängigkeit als noch vor einer Woche und fordert von der Regierung, zu ihren Versprechen zu stehen: Hatte Puigdemont doch vor der Abstimmung erklärt, das Referendum sei bindend.

Womit man wieder beim Anfang ist: Ist es nun eine Frage des Selbstbestimmungsrechts der Völker? Oder ist es ein Fall wie Schottland? Dort einigten sich London und Edinburgh darauf, Edinburgh vorübergehend die Verfassungsmacht einzuräumen, um ein Referendum abzuhalten. Der Verhandlungserfolg auf Seiten Londons war übrigens damals, dass man Edinburgh im Gegenzug nötigte, es bei einem klaren Ja oder Nein für die Sezession zu belassen. Ursprünglich wollte der damalige schottische Regierungschef Alex Salmond noch als dritte Option die Frage dabei haben, ob Schottland nicht einfach mehr Autonomie zuerkannt bekommen solle. Mit der Streichung der dritten Option war den Schotten schließlich doch die Vertrautheit der Einheit ohne Wenn und Aber wichtiger als die ungewisse Eigenständigkeit.

Einfach mehr Rechte

Beobachter gehen denn auch davon aus, dass es den meisten Katalanen eigentlich nur um mehr Rechte gegangen ist. Und das war wohl ursprünglich auch Puigdemonts Kalkül.

Aber was ist nun der Plan? Madrid verweigert Verhandlungen. Unterdessen zeugen die 10.000 Einsatzkräfte von Nationalgarde und Guardia Civil, die Madrid in Barcelonas Hafen stationiert hat, davon, dass man auch gewillt ist, zu anderen Maßnahmen zu greifen. Etwa für den kommenden Montag: Für diesen Tag hatte das Regionalparlament eine Debattte über die weiteren Schritte zur Unabhängigkeit angesetzt. Eine Sitzung, die zwar Spaniens Verfassungsgericht untersagte, die aber wohl dennoch stattfinden werde, heißt es trotzig aus Katalonien.

Puigdemont scheint aber fast erleichtert zu sein: Um das Verbot zu umgehen, will er nun erst am Dienstag vor das katalanische Parlament treten. Ein Tag mehr, um auf Verhandlungen zu hoffen. Ein Tag mehr, um international genügend Sympathien zu erwirken, damit Madrid schließlich doch noch verhandlungsbereit ist. Puigdemont und Rajoy haben sich beide in eine ausweglose Situation gebracht. Wenn sie keinen anderen Rat wissen, als im High Noon stehen zu bleiben, werden sie beide gehen müssen.

Nicht nur in Katalonien wären Neuwahlen, wie sie Madrid fordert, eine gute Idee, sondern in ganz Spanien.