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Der letzte Sonderfall

Von Walter Hämmerle

Analysen
© WZ/Hämmerle

Bei den Landtagswahlen am Sonntag steht die letzte absolute Mehrheit der Republik zur Disposition.


St. Pölten. Zu den Besonderheiten der österreichischen Spielart von Föderalismus gehört es, dass jedes Bundesland seine ganz eigene politische Kultur hervorgebracht hat. Und diese auch gegen den Strom der Zeit, die Angleichung aller Verhältnisse, mit Zähnen und Klauen verteidigt.

Geschichte, Gesellschaft und Traditionen spielen dabei zweifellos auch eine Rolle, entscheidend für den Charakter der jeweiligen Landeskultur sind aber jeweils der Charakter der Parteien, und hier natürlich vor allem jener der stärksten Kraft. Es ist der Machtinstinkt der stärksten Partei gekoppelt mit einer ganz besonderen Variante der politischen Prädestinationslehre, der die Mechanismen der regionalen Politik prägt. Das ist in Vorarlberg nicht anders als im Burgenland, diesseits des Semmerings nicht anders als jenseits, im Stadtland Wien ebenso wie im Flächenland Salzburg, und also eben auch in Niederösterreich.

Weil das ist aus Sicht der Politik der wichtigste Aspekt des heimischen Föderalismus: Dass die jeweils stärkste Partei auch in Zukunft die stärkste Partei bleibt. Das verbindet die neun Damen und Herren an der Spitze der Bundesländer, wenn sie zusammensitzen und der Bundesregierung und deren Abgesandten gemeinsam und Schulter an Schulter gegenübertreten quer über alle Parteigrenzen hinweg. Wer nach der wichtigsten Ursache für die Unmöglichkeit einer Staatsreform sucht: Hier findet er sie.

Niederösterreich also. Historisches Kernland Österreichs. Hier, in der "Marcha Orientalis", der Mark im Osten, die bereits im 9. Jahrhundert den Großteil des späteren Niederösterreichs umfasste. Hier schufen die Babenberger den Vorläufer jenes staatlichen Gebildes, das sich erst zu "Ostarrichi" und schließlich zu Österreich entwickelte.

Die ÖVP hat sich das Selbstbewusstsein, das aus dieser Geschichte spricht, auf ihre Fahnen geheftet. Und dass sie es damit auch ernst meint, zeigt sich schon allein darin, dass sie die Farben des Landes zu den ihren gemacht hat. Zwischen Poysdorf und Neunkirchen, zwischen Amstetten und Gänserndorf geben sich die Schwarzen weder schwarz noch türkis, sondern blau-gelb. Und aus diesem Selbstverständnis heraus macht die ÖVP auch Politik.

Erwin Pröll hat Johanna Mikl-Leitner einen der professionellsten Parteiapparate hinterlassen, den die liberale Demokratie kennt. Wobei, so ganz stimmt das mit dem Erbe des Alten nicht. Die jetzige Landeshauptfrau war maßgeblich an der umfassenden Professionalisierung der Landespartei beteiligt. Damals in den 1990er Jahren, als eine Welle der Amerikanisierung auch die österreichische Regionalpolitik erfasste, begann Mikl-Leitner 1995 als Marketingleiterin der Landespartei und stieg drei Jahre später zur Parteimanagerin auf.

Die Volkspartei versteht es dabei, die modernen mit den traditionellen Kommunikationsformen in einer hochprofessionellen Form zu fusionieren. Natürlich zentral, von der Parteispitze herab gesteuert, und zwar in aller Regel ohne große Debatten. Aber weil die ÖVP in jedem Nest und in jedem Bezirk über eine kampagnenfähige Struktur verfügt, funktioniert die Kommunikation durchaus auch umgekehrt von unten nach oben. In Wahlkampfzeiten findet kein Bezirks- oder Gemeindefest, kein Ball und keine Ehrung ohne den jeweils regional verankerten Landtagsabgeordneten und Landesrat statt.

Außenstehenden, Beobachtern und politischen Gegnern ringt diese Machtmaschine ein Gefühlsspektrum ab, das von professioneller Bewunderung bis hin zu Erinnerungen an prä-demokratische Zustände reicht.

Doch die Übermacht in den Gemeinden und bei Landtagswahlen verdeckt, dass es sich bei Niederösterreich bei bundesweiten Wahlen eigentlich um ein hart umkämpftes Territorium handelt. Bei den Nationalratswahlen 2017 lag zwar ebenfalls die ÖVP um zehn Prozentpunkte vor FPÖ und SPÖ, 2013 trennten jedoch nur 3 Prozentpunkte die Schwarzen von den Roten. Alexander Van der Bellen gelingt im Dezember 2016 mit 50,66 gegen 49,34 für Norbert Hofer im Land unter der Enns wortwörtlich ein "arschknapper" Sieg. Und in den 1990ern und 1980ern lag regelmäßig, wenngleich nicht immer, die SPÖ bei bundesweiten Wahlgängen vor der ÖVP. Das schwarze Land ist also keineswegs eine rote Wüste.

Mitunter aber eben doch auch. Die schwarze Übermacht im öffentlichen, halböffentlichen und privaten Bereich ist so legendär wie jene der SPÖ in Wien. Von daher ist es kein Wunder, dass es - abgesehen von der engeren Parteipolitik - eine tragfähige Politikachse zwischen der Bundeshauptstadt und dem sie umgebenden Bundesland gibt. Ähnliche Mentalitäten verbinden. Vielleicht liegt hierin auch der Grund, weshalb die Sozialdemokratie in Niederösterreich und die ÖVP in Wien dem Machtanspruch der dominierenden Partei so wenig entgegensetzen. Die entschlossenste Opposition kommt da wie dort vonseiten einer recht radikalen FPÖ. Für alle anderen Parteien, also insbesondere Grüne und Neos, ist das Bundesland ein karger, steiniger Boden, der kaum Erträge abwirft.

Bei den Landtagswahlen am Sonntag steht die letzte absolute Mehrheit der Republik zur Disposition. Was einst in den Ländern der Normalfall war, wurde im 21. Jahrhundert zum Sonderfall. Die Absolute ist das wahre politische Erbe der Ära von Erwin Pröll. Sie ist ein Relikt aus vergangenen Tagen, ein Geschenk der Wähler. Man kann sie erhoffen und erbitten, nur mit ihr rechnen, das kann man nicht. Heute nicht einmal mehr in Niederösterreich. Johanna Mikl-Leitner wird sich, wenn sie selbst ein politisches Erbe begründen will, etwas Neues einfallen lassen müssen.