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Rendi-Wagners Glück und Pech

Von Walter Hämmerle

Politik

Neue Mehrheiten jenseits von Schwarz-Bau sind nicht in Sicht. Dennoch ist es eine Zeit der politischen Umbrüche.


So viel Überlebensinstinkt steckt also noch in der SPÖ, dass sie sich in einem Moment höchster Not geschlossen hinter ihrer einzigen Kandidatin für das Amt des Parteivorsitzes versammelt. Die Nominierung der 47-jährigen Medizinerin Joy Pamela Rendi-Wagner zur ersten Frau an der Spitze in der 129-jährigen Geschichte der SPÖ ist eine strategische Weichenstellung, und eine hoch riskante dazu.

Allerdings gibt es keine sicheren Wetten mehr, jedenfalls nicht in der Politik. Christian Kern schien, vor nicht einmal 30 Monaten, eine Bank zu sein, um Kanzler und Platz eins für seine Partei zu retten. So populär, so dynamisch, so eloquent, so gescheit. Zuvor hatte sich auch schon die ÖVP zwei Mal für vermeintlich sichere Lösungen entschieden. 2008 mit Josef Pröll, und dann noch einmal 2014 mit Reinhold Mitterlehner. Beide Male kamen die größten gemeinsamen Nenner zum Zug, einmal als Hoffnungsträger, das andere Mal als Vollprofi, beide beliebt über die engeren Parteigrenzen hinaus. Die in sie gesetzten Hoffnungen enttäuschten beide, wenngleich aus unterschiedlichen Gründen.

Zugegeben: Sebastian Kurz war eine sichere Wette, jedenfalls für die dann unmittelbar darauffolgenden Wahlen. Das gleiche gilt für den Erfolg dieser Konstellation, dieser Koalition deshalb aber noch lange nicht. Dafür sorgt schon die FPÖ. Doch Kurz kennt immerhin seine Partei – und die Partei kennt ihn seit Jugendtagen. Das wird bei all dem Gerede über die "neue ÖVP" oft übersehen.

Bei Pamela Rendi-Wagner und der SPÖ ist weder das eine noch das andere der Fall. Parteimitglied wurde sie erst, als sie Kern 2017 zur Gesundheitsministerin machte. Während Kurz nicht Alleinherrscher in der ÖVP ist, obwohl das ständig behauptet wird, ist er aber zweifellos das Machtzentrum seiner Partei. Rendi-Wagner ist kein Machtzentrum und verfügt auch über keines. Immerhin ist allen mächtigen Männern in der SPÖ klar, dass sie sich hinter ihre neue Vorsitzende stellen müssen, wenn sie nicht vollends jede Machtperspektive im Bund verlieren wollen.

Genau dies ist Rendi-Wagners stärkstes Machtmittel: Dass die SPÖ sie im Moment dringender braucht, als sie die Partei. Es bleibt trotzdem ein wackeliges Fundament.

Mit ihrer Wahl hat die SPÖ auch eine strategische Entscheidung für ihre künftige Ausrichtung getroffen. Mit Rendi-Wagner macht sich die Partei auf die Suche nach neuen Mehrheiten bei jenen, die sich als Gegenmodell zu Schwarz-Blau verstehen.

Diese Mehrheiten – die Mehrzahl ist deshalb angebracht, weil es keine feste, stabile Mehrheit mehr gibt, sondern diese in ihrer Zusammensetzung ständig wechseln – gibt es. Auch auf Bundesebene. Den Beweis dafür hat Alexander Van der Bellen bei der Bundespräsidentenwahl erbracht. In Wien stellt sie sogar das eigentliche, wenngleich immaterielle Machtfundament der SPÖ im noch jungen 21. Jahrhundert dar. Nur bei Nationalratswahlen, und das ist die entscheidende Kategorie, steht der Beleg für die Existenz einer solchen Mehrheit weiter aus.

Aus eigener Kraft kann die SPÖ eine solche Mehrheit nicht erreichen. Sie benötigt dazu starke Partner, also vor allem wohl stimmenstarke Grüne und Neos. Und auch dann wird die SPÖ wohl 30-Prozent-plus selbst beisteuern müssen. Christian Kern hat 2016 26 Prozent geschafft, und das nur um den Preis einer Kannibalisierung der Grünen, die nicht nur, aber eben auch deshalb aus dem Parlament geflogen sind. Wie Kern dürfte auch Rendi-Wagner vor allem in diese linksliberalen Milieus hineinstrahlen. Das sichert der SPÖ aus heutiger Sicht eine gewisse Mindeststärke, rückt aber neue Mehrheiten jenseits von SPÖ und ÖVP in weite Ferne. Dazu müsste sie Stimmen von der FPÖ abziehen. Und das nicht zu knapp.

Möglich, dass dafür der Kampf der roten Gewerkschaften gegen die Regierung ausreicht; möglich, dass die FPÖ ihre Wähler, die einst SPÖ wählten, durch eigenes Handeln wieder in die Arme der Opposition treibt. Schließlich ist es gemeinhin so, dass nicht die Opposition gewählt, sondern Regierungen abgewählt werden.

Das alles ist möglich. Aber weder die SPÖ noch Rendi-Wagner sollten sich darauf verlassen, dass die Regierung ihnen die Arbeit abnimmt. Keine Partei verfügt mehr über eine Bestandsgarantie. Die Grünen, die schon als neue Volkspartei hochgejubelt wurden, sind aktuell nicht einmal mehr im Nationalrat. Die FPÖ hat schon zwei Mal politische Nahtoderfahrungen gesammelt, 1986 als mit Rot-Blau eine krachende Niederlage droht, und nach Knittelfeld 2002. Die ÖVP galt über Jahrzehnte hinweg als hoffnungsloser Fall, den man nur noch durch radikale Neugründung vor dem Untergang bewahren könne. Und jetzt hat diese Erzählung die Sozialdemokratie mit voller Wucht erfasst.

Österreichs Politik ist seit Jahrzehnten im anhaltenden Umbruch. Ein Ende, das wieder so etwas wie Stabilität verspricht, ist weiter nicht in Sicht. Diese Entwicklung hat Sebastian Kurz genutzt, um mit 30 Jahren an die Spitze der Republik zu stürmen. Und das ist auch der Grund, weshalb die SPÖ ihr Glück zum ersten Mal in ihrer Geschichte mit einer Frau versucht, die praktisch erst gestern Mitglied wurde.

Das ist gleichzeitig das Glück und das Pech der designierten SPÖ-Vorsitzenden.