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Die Schwarzmaler

Von Walter Hämmerle

Analysen
© stock.adobe/Leigh Prather

Sicherheit - so lautet das Versprechen aller Politik. Und trotzdem investieren alle Parteien ihre Energien in Verunsicherung.


Wien. Wer Politik betreiben will, der sieht sich in der Regel auf die Bewirtschaftung gesellschaftlicher Mangelerscheinungen zurückgeworfen, und zwar solcher emotionaler wie materieller Natur. Das ist beileibe keine neue Beobachtung. Zu allen Zeiten haben sich die Menschen nach dem gesehnt, was sie nicht (oder nicht mehr) haben, von dem sie aber wissen, dass es grundsätzlich (wieder) erreichbar ist.

Gefühle von Verlust und Mangel bestimmen also unsere Gegenwart. Darauf mit Fakten zu kontern, die belegen, dass noch nie zuvor so viele in so großem Wohlstand lebten, ist kein probates Gegenrezept. Jedenfalls nicht, wenn dahinter nicht auch eine überzeugende politische Erzählung steht. Und eine solche ist bis auf Weiteres nicht in Sicht.

Also regieren im politischen Wettbewerb Geschichten, die vom Niedergang erzählen. Was unweigerlich dazu führt, dass der Einzelne seine soziale und wirtschaftliche Stellung gefährdet sieht. Auch deshalb ist ein Gefühl von Bedrohung, manchmal vage und unbestimmt, dann wieder handfest, wohl auch das stärkste Band, das die Gesellschaft in der Gegenwart zusammenhält.

Diese Stimmungslage, in welcher Moll und düstere Farben dominieren, ist nicht naturgegeben, sondern bewusst herbeigeführt. Zwar ist es auf den ersten Blick durchaus naheliegend, dass eine großteils saturierte Wohlstandsgesellschaft wie die Europas im Allgemeinen und die Österreichs im Besonderen vor allem die Sorge vor dem wirtschaftlichen oder sozialen Abstieg umtreibt. Aber zumindest beim näheren Hinsehen erstaunt das fast völlige Fehlen jeglicher, politisch propagierter Zuversicht dann doch.

Stattdessen inszeniert die Politik eine Gegenwart, die vorgeblich mit dem Rücken zur Wand steht. Einzige Ausnahme: Wenn es um die Bewerbung der eigenen Leistungen geht, tönt es heiter in Dur. Was praktischerweise zu geschlossenen Reihen in den Parteien führt, schließlich verspricht allein das eigene Programm, der eigene Chef - es ist tatsächlich, jedenfalls in Österreich, ein ausschließlich männliches Phänomen - Rettung vor dem Untergang. Es sei denn, man macht es wie Christian Kern, dem es im Handumdrehen gelungen ist, die eigene Partei restlos zu verunsichern.

Ansonsten aber ist die Liste der Befürchtungen so lang wie breit und ihre politischen Lautsprecher reichen von ganz weit rechts bis ans linke Ende des politischen Spektrums. Nicht einmal die auch rhetorisch nur noch schütter besetzte Mitte vertraut auf die Zugkraft einer ganz säkular gemeinten Frohen Botschaft. Wie auch, wo sich gerade die Mitte selbst am stärksten gefährdet sieht?

Aus Angst hat noch keiner Zuversicht geschöpft, am wenigsten die Politik. Also operiert auch das versprengte Zentrum mit der Aussicht auf den Untergang. Dessen einzig verbliebener Wettbewerbsvorteil ist, dass die Bedrohungen aus zwei Richtungen, von links wie rechts, kommen können.

Ausländer und Neoliberale

Die drohende Apokalypse lässt sich dabei aus vielen Perspektiven an die Wand werfen, je nach Standpunkt und Zielgruppe eben. Entweder drohen uns Umvolkung und Räuberbanden aus aller Herren Länder oder die mutwillige Zerschlagung des weltbesten Gesundheits- und Sozialversicherungssystems, also ein allzu früher Tod dank neoliberaler Ausbeutung.

Unsere Kinder werden entweder absichtlich dumm gehalten, sei es durch faule oder indoktrinierte Lehrer, irregeleitete Schulreformen oder einfach nur, weil genau das das höchste Ziel des "herrschenden Systems" ist; oder die Jugend kann sich sicher sein, dass für ihre Pensionen später kein Geld mehr da sein wird, was zwingend im Elend endet.

Dagegen ist es fast schon schlüssig, wenn Bezieher von Arbeitslosengeld als Opfer eines herz- und seelenlosen Kapitalismus oder als arbeitsscheue Zeitgenossen beschrieben werden.

Stimmig ergänzt werden diese politischen Schauermärchen durch die ewigen Grenzgänger im politisch-medialen Komplex: die kampagnenstarken Nichtregierungsorganisationen und all die anderen Vereine, deren stärkstes Kapital ihr Anspruch auf eine höhere Moral ist. Neben deren inhaltlicher Mission, sei es der Kampf für eine gesunde Umwelt, Tierschutz, gegen Armut oder Rassismus, müssen sie auch für das damit einhergehende Spendenaufkommen sorgen. Und dass der Weg zur Erlösung am ehesten mit düsteren Zukunftsszenarien und einem schlechten Gewissen gelingt, weiß die Kirche seit 2000 Jahren. Die Frohe Botschaft strahlt umso heller, je dunkler die Gegenwart gezeichnet wird.

Natürlich ist im Hier und Heute nicht alles paletti. Wer das behauptet, hat tatsächlich Visionen. Und zweifellos gibt es auch einen besorgniserregenden Hang, gravierende Fehlentwicklungen nicht nur nicht zu korrigieren, sondern gleich zu ignorieren. Unser Umgang mit endlichen Ressourcen zum Beispiel. Ebenso stimmt, dass steigende Mieten und explodierende Immobilienpreise die Menschen ebenso verunsichern wie die geopolitischen Umwälzungen in unserer näheren und entfernteren Nachbarschaft, ganz zu schweigen von der höchst realen und allgegenwärtigen Möglichkeit von Terror. Und richtig ist zudem, dass die allumfassende gesellschaftliche Disruption der Digitalisierung, die auch Experten gerne mit einem "Tsunami" vergleichen, uns vor Herausforderungen stellt, deren Ausmaß weder Eliten noch Bürger wirklich erahnen. All diese Probleme und Gefährdungen sind Realität, und leugnen wäre nicht nur widersinnig, sondern auch zwecklos. Es gibt also durchaus gute Gründe, verunsichert zu sein.

Trotzdem passt die Summe der empirisch erfassbaren Gegenwart nicht zu jenem grassierenden Gefühl von Verunsicherung, das jede politische Debatte, jedes Streitgespräch und jedes Interview von Politikern, Experten oder sonstigen Berufenen bestimmt.

Gefühle gegen Fakten

Die Wirklichkeit, soweit sie sich in überprüfbaren Fakten wiedergeben lässt, ist nämlich folgende: Die Arbeitslosigkeit wird weniger bei gleichzeitiger Rekordbeschäftigung, die Konjunktur läuft auf Hochtouren, und sogar die Kriminalität, diese Urangst des kleinen Mannes, sinkt: 510.536 Anzeigen gab es laut Innenministerium 2017, das ist die niedrigste Zahl seit zehn Jahren; einen leichten Anstieg verzeichnet der Bereich der Sexualdelikte, wobei jener Anteil, bei dem Gewalt im Spiel ist, relativ konstant ist, und vor allem die Anzeigen wegen sexueller Belästigung nach oben gehen, was teils mit neuen Straftatbeständen - Stichwort Po-Grapschen - und einem gestiegenen Bewusstsein unter Opfern zu tun hat.

Zugegeben, die Statistik vermeldet auch Negatives, etwa einen Anstieg der Tötungsdelikte von 46 auf 54 Fälle; der Einsatz von Hieb- und Stichwaffen hat sich binnen zehn Jahren sogar vervierfacht; und auch die Cyberkriminalität entwickelt sich dynamisch und anhaltend nach oben.

Diese Zahlen sind ernst, aber für sich genommen keine rationale Rechtfertigung für den allgegenwärtigen Pessimismus.

Stattdessen gilt: Nach der Krise ist vor der Krise. Der Verlust von Zuversicht ist längst zum Bauchgefühl geworden. Parteien und Politiker orakeln nur mehr in Warnungen. Gefühlt seit Jahren gibt es keine Rede, kein Interview mehr, wo nicht jedes Thema mit der Mahnungen daherkommt, ja nur wachsam im Angesicht der lauernden Gefahr zu sein. Variiert wird nur die inhaltliche Ausrichtung. Was den einen die Migranten sind, sind für die anderen
die Nationalisten und Neuen Rechten.

Die Strategie, Politik mit Feindbildern zu machen, ist dabei das Gegenteil von irrational. Parteien setzen darauf, mit negativen Gefühlen wie Angst und Ablehnung mehr Wähler überzeugen zu können als ohne sie. Die Belege dafür sind Legion, die Ausnahmen muss man in der Geschichte der vergangenen dreißig Jahre mit der Lupe suchen.

Wie lässt sich dieser lange Zyklus, in dem die Parteien nun Sicherheit versprechen und mit Verunsicherung politisieren, durchbrechen? Vor allem, wenn, was wahrscheinlich ist, weder die realen noch die aufgeblasenen und am wenigsten die imaginierten Probleme über Nacht aus den Köpfen verschwinden werden? Irgendwie und irgendwann sicher, aber keiner weiß genau wie? Und das ist der sehr viel tragischere Aspekt dieser Geschichte.