Tunis. Als Übergangspräsident Tunesiens hat Moncef Marzouki Zugang zu den Archiven seines Vorgängers Ben Ali. Eine besonders heikles Dossier aus diesem Archiv hat er jetzt zutage gefördert. Es geht um die Bestechung von Journalisten. Nicht alle finden seine Initiative gut.

Die Aufzeichnung des einstündigen Interviews mit dem libanesischen Minister lief gut. Einen Tag später ruft seine Pressesprecherin die Produzentin des Senders an. "Für dich liegt eine Uhr von Rolex oder Cartier bereit, du musst sie nur noch abholen", sagt sie.


Links
tunisialive: Black Book’ Implicates Foreign Journalists in Ben Ali Deals
wienerzeitung.at ist nicht verantwortlich für die Inhalte externer Internetseiten.

Die Produzentin lehnt empört ab. Doch die Bestechung von Journalisten ist in der arabischen Welt weit verbreitet. Allerdings wird normalerweise nie öffentlich darüber gesprochen. Der tunesische Übergangspräsident und ehemalige Menschenrechtler Moncef Marzouki hat dieses Tabu jetzt gebrochen.

"Schwarzbuch"

Er hat Auszüge aus den Archiven der für Journalismus zuständigen Tunesischen Agentur für Kommunikation mit dem Ausland (ATCE) aus der Regierungszeit des 2011 gestürzten Präsidenten Zine el-Abidine Ben Ali veröffentlicht. Darin wird ein inzwischen verstorbener libanesischer Verleger genannt, der alleine im Jahr 2009 aus Tunis 400 000 US-Dollar für positive Berichte erhalten haben soll. In diesen Texten ging es laut Archiveintrag unter anderen um Banalitäten wie "den Dialog mit der tunesischen Jugend" und die Feiern zum 7. November, dem Tag der Machtergreifung Ben Alis.

In Marzoukis "Schwarzbuch", das seit einigen Tagen auf Arabisch online zugänglich ist, wird teilweise sehr detailliert beschrieben, welches Medium und welcher Journalist für seine regimefreundliche Berichterstattung wie viel Geld erhalten haben soll. Die meisten von ihnen arbeiteten für lokale Medien, aber es werden auch tunesische Mitarbeiter internationaler Medien und einige Ausländer genannt. Auch die journalistische Begleitung der Rufmord-Kampagnen des Regimes gegen bestimmte Oppositionelle wurde demnach in barer Münze entlohnt.

Zu den veröffentlichten Dokumenten zählt auch eine "Preisliste". Ein Artikel über ein "nationales Ereignis" brachte dem Journalisten demnach 200 Dinar (rund 87 Euro) ein. Für einen Bericht über die Aktivitäten von Oppositionellen konnte man 320 Dinar kassieren.

Große und kleine Fische

In Marzoukis "Schwarzbuch" werden auch einige Ausländer genannt, entweder als Empfänger von Bestechungsgeld oder als "Freunde" des damaligen Chefs des Presseamtes, Ousama Ramadhani. In der Liste der "Freunde" tauchen neben zahlreichen Ägyptern und einigen Libanesen etliche Franzosen auf, zum Teil Mitarbeiter renommierter Medien. Allerdings merken Beobachter zu Recht an, dass nicht jeder, der zu Ramadhanis "Freunden" gezählt wurde, sich selbst auch als "Freund" des tunesischen Funktionärs bezeichnet hätte.

Deshalb und weil zusammen mit den korrupten Journalisten auch "kleine Fische" aufgelistet werden, die für das Presseamt übersetzt haben, heimst Marzouki für seine Aktion nicht nur Lob ein. Eine heiße Debatte ist in Tunesien darüber entbrannt, ob der Übergangspräsident überhaupt das Recht hatte, staatliche Dokumenten nach Gutdünken zu veröffentlichen, anstatt abzuwarten, bis das System der Übergangsjustiz funktioniert.

Rache?

Von den Journalisten, die in dem "Schwarzbuch" aufgeführt sind, haben bisher nur sehr wenige zu den Vorwürfen Stellung genommen. Und wer über die Medien seine Sicht der Dinge zu Protokoll geben wollte, äußerte sich in der Regel nicht zu geflossenen Geldbeträgen.

Zu ihnen gehört der tunesische Journalist Mohamed Bousnina, der sich 2004 über die Pressezensur durch die Behörden beklagt hatte. Er wirft Marzouki jetzt vor, dieser wolle sich mit seinem Buch an Journalisten rächen, die kritisch über seine Amtsführung berichten. "Warum hat er zum Beispiel nicht das Archiv über die Opposition geöffnet?", fragt Bousnina in einem Beitrag für die Website "Tunivision.net".

Der Journalist Kamal bin Younis setzt sich laut einem Bericht von "Al-Ikhbaria" mit dem Argument zur Wehr: "Wenn die Berichte und Dokumente im Palast von Karthago wirklich so präzise gewesen wären, dann wäre Ben Ali nicht gestürzt."

Auch in Ägypten, das sich selbst gerne als Mutterland des arabischen Journalismus sieht, hat das "Schwarzbuch" hohe Wellen geschlagen. Schließlich sind in dem Buch mehrere private und staatliche ägyptische Medien genannt, die von Ben Alis Presseamt finanzielle Zuwendungen erhalten haben sollen. Bisher werden die Vorwürfe allerdings nur auf den "Facebook"-Seiten der ägyptischen Journalisten diskutiert. Die Journalisten-Gewerkschaft beschäftigt sich noch nicht damit.